Lausitz: Sie sind wegen der Kohle hier
Obwohl der Braunkohleausstieg beschlossen ist, werden in Brandenburg zahlreiche junge Menschen von Förderunternehmen ausgebildet. Was treibt sie an?
Vizekanzler Olaf Scholz steht in einer großen, lauten Werkhalle am Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in der Lausitz und blickt einem Schweißer in Ausbildung über die Schulter. Die Funken sprühen, plötzlich muss Scholz blinzeln. Der Teenager vor ihm reagiert schnell und zeigt auf die Schutzbrille in der Hand des SPD-Politikers, die dieser viel zu früh abgesetzt hatte. Dann beobachtet Scholz noch, wie sich das glühende Metallstück verformt. Von der Werkhalle findet es vielleicht irgendwann den Weg ins Kraftwerk, oder es wird im nahegelegenen Tagebau eingesetzt.
Geht es nach den Revierplänen des ostdeutschen Braunkohlekonzerns Leag, der Jänschwalde betreibt, soll in der Lausitz noch bis 2045 Braunkohle gefördert und verbrannt werden. Klimaschützer fordern von der Bundesregierung aber, dass der Ausstieg wesentlich früher beginnt. Über das finale Datum wird die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ entscheiden, die kommende Woche wieder in Berlin tagt.
Noch lange nicht in Rente
Ob der Ausstieg nun früh oder spät kommt, der Auszubildende neben Scholz wird noch lange nicht in Rente sein, wenn in Deutschland das letzte Kohlekraftwerk vom Netz geht. Was treibt junge Menschen an, sich heute noch von einem Braunkohleunternehmen ausbilden zu lassen?
Scholz ist der Einladung des Brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) und Leag-Chef Helmar Rendez an die Ausbildungsstätte des Konzerns in Jänschwalde gefolgt, um sich ein Bild zu machen. Der gebürtige Hamburger wohnt in Potsdam, seine Frau Britta Ernst ist Landesbildungsministerin. Außerdem ist Scholz Vize-Chef der traditionellen Kohlekumpel-Partei SPD.
Eine, die mit Scholz gesprochen hat, ist Isabel Titze, Auszubildende der Leag Bergbau. „Es war gut, dass man uns zugehört hat“, sagt die 21-Jährige am Rande der Veranstaltung. Klar würden sie sich viele Sorgen machen, was mit ihnen passiert, wenn Deutschland aus der Kohle aussteigt. „Aber da erwarte ich, dass man uns Alternativen bietet.“
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Sie würde natürlich gerne bei der Leag bleiben, auch dann, wenn der Konzern keine Kohlekraftwerke mehr hat, aber vielleicht neue, saubere Geschäftsfelder aufbaut. Viele Jugendliche locke die gute Bezahlung, die das Unternehmen bietet. „Außerdem ist es am Ort. Ich wollte nicht weit wegziehen für meine Ausbildung“, so die gebürtige Hoyerswerderin.
Fachkräfte für den Strukturwandel
Titze ist angehende Brunnenbauerin im dritten Ausbildungsjahr. Übte sie das Bauen anfangs noch auf der Straße, ist sie mittlerweile regelmäßig im Tagebau unterwegs. Gerade hat sie mit der Entwässerung der Gruben zu tun. Als Brunnenbauerin werde sie wohl auch gut bei anderem Unternehmen unterkommen, glaubt Titze. „Das ist ja eine hochqualifizierte Arbeit, die ich hier lerne.“ Das glaubt auch Vizekanzler Scholz. „Die Fachkräfte werden auch in Zukunft zentral sein für die Region.“
Die Kommission müsse darauf aufbauen sowie auf die bestehende Infrastruktur bei der Energiewirtschaft, meint Scholz. Später wird der Finanzminister auch sagen, dass ausreichend Mittel zur Finanzierung des Strukturwandels in der Lausitz beiseite gelegt würden.
Ministerpräsident Woidke gibt zu bedenken, dass die Signale aus Berlin die Lausitzer zuweilen vor den Kopf stoßen. Die Lausitz sei ein Industriestandort, der sich „nicht mit Almosen“ abspeisen ließe. „Der Strukturwandel kann nur mit den Menschen gemeinsam stattfinden, nicht über ihre Köpfe hinweg.“ Und Leag-Chef Rendez sagt: „Energiepolitik wird in Berlin gemacht, aber das wahre Leben spielt in der Lausitz.“ Kohle aus der Region würde für die sichere Energieversorgung Deutschlands noch länger eine Rolle spielen.
Schon der Großvater hat als Kohlekumpel gearbeitet
Dass der Kohleausstieg natürlich trotzdem kommen wird, hat die Leag in der Planung ihrer Ausbildungslehrgänge noch nicht berücksichtigt. Schweißer, Mechatroniker, Brunnenbauer, Lokführer sind nur ein paar Fachrichtungen, in denen das Unternehmen schult. Gerade hat ein neuer Jahrgang mit knapp 200 jungen Männern und Frauen begonnen, insgesamt sind es 600, 13 Prozent davon weiblich. „Wir haben weniger gute Bewerbungen bekommen als in den Vorjahren“, berichtet Axel Ziller, Ausbildungsleiter bei der Leag.
Das auf die Debatte um den Braunkohleausstieg zurückzuführen, hält er aber für übertrieben. „Den Fachkräftemangel erleben doch viele Unternehmen in ganz Deutschland.“ Dass die Leag es dennoch schafft, junge Menschen in der Lausitz für sich zu begeistern, liegt laut Ziller aber nicht nur am Gehalt. „Das Unternehmen ist hier am Ort, hat hier einen guten Ruf. Und wir legen uns in der Ausbildung richtig ins Zeug.“ Viel Werbung müsse man auch nicht machen. „Bei vielen hat ja schon ein Elternteil in der Braunkohle gearbeitet.“
Olaf Scholz lässt sich noch die einzelnen Werkhallen zeigen, dann muss er dringend nach Berlin zurück. Die Schutzbrille hat er dem Schweißer zurückgegeben. Für die Kohle-Kommission braucht er sie nicht. Auch wenn dort mal die Funken sprühen.
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