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Jede sechste Sendung in Deutschland wird wieder zurückgeschickt.
© picture alliance / dpa

Onlinehandel: Schon ein geöffnetes Siegel kann zur Vernichtung der Retoure führen

Viele Rücksendungen können wegen ihres schlechten Zustands nicht weiterverwendet werden. Manche Hersteller verbieten Händlern eine Spende sogar explizit.

Bislang war eigentlich nur eine Prozentzahl bekannt: 3,9 Prozent. Dieser Anteil an den Retouren in Deutschland werde jährlich vernichtet, statt ihn weiterzuverkaufen, zu spenden oder anderweitig zu verwenden. Im Jahr 2018 wurden insgesamt 487 Millionen Artikel zurückgesendet; das bedeutet knapp 20 Millionen davon wurden verschrottet. Die Aufregung war groß. Zahlreiche Politiker, angeführt von der ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, forderten ein Verbot dieser Praxis. Nun hat die Universität Bamberg, auf deren Publikationen schon das Wissen um die oben genannten 3,9 Prozent zurückging, erforscht, weshalb diese Waren überhaupt vernichtet werden.

Demnach ist in circa 53 Prozent der Fälle eine Wiederaufbereitung technisch nicht möglich; die Artikel sind also defekt oder derart beschädigt, dass sie nicht mehr weiterverwendet werden können. In rund 40 Prozent der Fälle wäre eine Spende aus Sicht des Händlers zwar möglich. Dies findet in der Praxis allerdings nicht statt. Das liegt laut der Studie in erster Linie an steuerlichen Gründen, etwa daran, dass die auf Spenden zu entrichtende Umsatzsteuer die Entsorgungskosten übersteigt.

Außerdem geben vor allem kleine Händler an, es wäre zu aufwendig, eine geeignete Spendenorganisation auszuwählen. „Offensichtlich brauchen die Händler mehr Informationen darüber, wer Sachspenden in kleinen Stückzahlen annimmt“, meint Studienleiter Björn Asdecker. Er schlägt deshalb ein Register für Annahmestellen von Sachspenden vor.

Vor allem Elektroartikel werden zerstört

Dass die Problematik trotz der öffentlichen Aufmerksamkeit in den Büchern der Firmen nur eine untergeordnete Rolle spielt, zeigt die Tatsache, dass nur 45 Prozent der befragten Händler die genauen Kosten für die Entsorgung eines Artikels kennen. Die Übrigen taxieren die Kosten im Mittel auf 0,85 Euro pro Artikel. Insgesamt wurden für die stichprobenartige Untersuchung 139 Fragebögen ausgewertet, was laut den Studienautoren „ein realistisches Abbild der Situation erlaubt“. Die Teilnehmer stehen demnach für einen E-Commerce-Umsatz in Höhe von 5,5 Milliarden Euro, rund 8,4 Prozent des gesamten deutschen Onlinehandels 2018.

Bemerkenswert sind die verbleibenden gut fünf Prozent der Retouren. Diese rund eine Million Artikel sind nämlich noch gebrauchsfähig, werden aber entsorgt, weil der jeweilige Marken- und Patentinhaber dies vorgibt und den Händlern eine Verwertung aktiv untersagt. „Hierbei handelt es sich um eine unnötige Verschwendung von Ressourcen und ist unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit äußerst bedenklich“, heißt es in der Auswertung der Studie weiter.

Branchenkenner berichten, dass vor allem Elektroartikel des mittleren Preissegments von solchen Absprachen betroffen sind, beispielsweise in der Größenordnung eines Küchenmixers. Bei teureren Geräten wie etwa Fernsehern wäre der Wertverlust dem Vernehmen hingegen nach zu groß. Hersteller, die mit ihrer Marke ein gewisses Qualitätsversprechen verknüpfen, fordern Insidern zufolge zudem häufig die Entsorgung, weil sie unter ihrem Namen nur komplett neuwertige Ware verkaufen wollen. Ein geöffnetes Siegel kann hier schon ein Grund sein, den Artikel nicht mehr anzubieten.

Auch wollen sie den Markt wohl nicht durch praktisch neuwertige Ware auf Gebrauchtwarenplattformen kannibalisieren. Nicht immer, so ist zu hören, beruhen derlei Absprachen auf Verträgen. Mitunter würden auch schnellere Belieferung oder andere Vorteile daran gekoppelt.

Bundesregierung will Umsatzsteuer für Spenden nicht streichen

Um diesen Missständen zu begegnen, will die Bundesregierung das Kreislaufwirtschaftsgesetz ändern. So soll eine sogenannte Obhutspflicht für die Waren eingeführt werden. „Unternehmen sollen Überhänge und Retouren nur noch dann vernichten dürfen, wenn dies zum Beispiel aus Sicherheits- oder Gesundheitsgründen notwendig ist“, hieß es Ende September vom Bundesumweltministerium (BMU) nach einem Treffen mit Händlern und Verbänden.

Die Befreiung von der Umsatzsteuer für Spenden ist hingegen nicht geplant. Das Finanzministerium riet Online-Händlern auf Anfrage von Göring-Eckardt allerdings vor einigen Wochen zu einem Umweg, wie sie zurückgeschickte Produkte kostengünstig spenden können: Die Händler sollen den Marktwert der unverkäuflichen Retouren einfach so niedrig ansetzen, dass sie keine oder nur wenig Umsatzsteuer zahlen müssten.

Ein Problem ist laut der Studie auch die schlechte Qualität der Waren. So seien viele Artikel - die Retouren gehen von Kleidung über Elektro- und Freizeitartikel, Möbel und Haushaltswaren bis hin zu Produkten des täglichen Bedarfs - von derart schlechter Qualität, dass eine Wiederaufbereitung nach dem Versandt nicht mehr lohnenswert sei. Insgesamt wird in Deutschland jedes sechste Paket zurückgesendet. Von einem simplen Verbot der Vernichtung von Retouren halten die Forscher der Universität Bamberg indes nichts. Es sei kaum zu kontrollieren und würde die Probleme nicht lösen.

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