Erotikfachhandel: Schluss mit schmuddelig
Der Erotikfachhandel versucht sich neu zu erfinden. Konkurrenz und Zielgruppe verändern sich. Verlierer sind traditionelle Anbieter wie Beate Uhse.
Er kommt – ein letztes Mal: Pünktlich zum morgigen Valentinstag hat Beate Uhse, die wohl traditionsreichste Erotikhandelsgesellschaft der Welt, ihren Bestellkatalog herausgebracht. Immerhin 60 Jahre lang hatte die 1946 in Flensburg gegründete Firma Angebote für Spielzeug und Wäsche auf Papierseiten verschickt. Während in der Ausgabe von 1999, dem Jahr des Börsengangs, noch ein vollnacktes Model mit Körbchengröße DD auf dem Cover „Neue Sex Hits. Prall und verführerisch“ versprach, macht es sich auf der Titelseite 2016 ein mit leichter Spitze bekleidetes Paar auf dem Sofa bequem. „Celebrate Love“, heißt es dazu artig. Feier die Liebe!
Danach ist mutmaßlich den wenigsten Mitarbeitern zumute. 150 der noch knapp 600 Angestellten müssen gehen, teilte die Beate Uhse AG Anfang des Monats mit. Die umsatzschwächsten 16 von 78 Shops wurden geschlossen, drei davon in Deutschland, die anderen in den Niederlanden. Der Umsatz war im vergangenen Jahr von 143 auf 128 Millionen Euro eingebrochen, auch wegen des schleppenden Kataloggeschäfts. Vor Zinsen und Steuern (Ebit) sei ein Verlust zwischen 13 und 17 Millionen Euro zu erwarten, hieß es.
Sex sells? Heißt es doch. Aber wie?
Auch eine Wertminderung eines Teils der 5000 Exponate aus Beate Uhses Erotik-Museum, das Ende 2014 in der Berliner City-West 2014 einem Geschäfts- und Büroneubau weichen musste, belasten das Ergebnis.
Sex sells? Heißt es doch. Aber wie? Und wo? „Wir glauben, dass die Nachfrage immer bestehen wird“, sagt Beate Uhses Alleinvorstand Kees Vlasblom dem Tagesspiegel. Der Niederländer begründet seinen Geschäftsoptimismus mit einer zunehmend liberal eingestellten Gesellschaft: „Heutzutage ist es fast selbstverständlich, mit Kundinnen über Lovetoys in der Nachttischschublade zu sprechen. Das gab es vor 20 Jahren nicht.“
Die Serie „Sex and the City“ (1998 bis 2004) sowie das Buch und der Film „Fifty Shades of Grey“ (2015) hätten den Wandel gebracht. „Heute gibt es auch Lack- und Lederelemente in der Mode. Lange völlig undenkbar.“ Aber ist das nicht auch Teil seines Problems? Hübsche Wäsche gibt es heute nicht mehr nur beim Erotikfachhändler – sondern auch bei Kaufhof.
Neue Zielgruppe: Frauen statt Männer
Die größere Herausforderung für stationäre Händler allgemein ist natürlich die Digitalisierung. Im Falle der Erotikfachhändler kommt erschwerend hinzu, dass die wichtigste Kundengruppe eben dadurch fast komplett abhandenkam: Männer. „Die haben sich als Zielgruppe quasi selbst abgeschafft“, bedauert der Beate-Uhse-Chef. Steuerten sie früher die mit schweren Vorhängen abgedunkelten Sexshops massenhaft auf der Suche nach Pornofilmen an, bleiben sie seit wenigen Jahren weg. Filme sind dank schneller DSL-Leitungen ruckelfrei und in der Regel kostenlos überall verfügbar geworden. Bleiben die Frauen, eigentlich die interessantere Gruppe, da sie erfahrungsgemäß mehr an haptischen Produkten wie Wäsche und Sexspielzeug interessiert sind.
Schon vor Jahren schwenkte Beate Uhse um, gestaltete alles neu – vom Firmenlogo über die Internetseite bis zur Shopeinrichtung: verspielter, heller, freundlicher. Offenbar ohne durchschlagenden Erfolg. Auch ein vor sechs Jahren gegründetes Joint Venture mit dem Onlinehändler El Asira brachte nicht die Wende: Über diese Marke nahm Beate Uhse gläubige Muslime in den Blick. Für viele sind Dildos und Pornos Höllenzeug – Dessous, Cremes und duftende Massageöle ohne Alkohol aber konform mit der Scharia.
Die junge Konkurrenz jagt dem einstigen Marktführer derzeit eiskalt Marktanteile ab – ohne bewiesen zu haben, dass man immernoch großes Geld in dem Segment verdienen kann: Die 2006 in Bielefeld gegründete Firma Eis.de reklamiert für sich mit einem Sortiment von 25 000 Produkten und 6,5 Millionen Bestellungen in neun Jahren die Marktführerschaft hierzulande. Ein gut gemachter Werbeclip der Hamburger Agentur Jung von Matt plus eine relativ unpeinliche Youtube-Serie von Erklärfilmchen zu Liebeskugeln oder Flick-Tipps für die Gummipuppe halten die Neugier der Kunden aufrecht.
Die Idee vom Berliner Start-ups Amorelie
Die direkte Konkurrenz kommt aus Berlin von der vor drei Jahre gegründeten Firma Amorelie. Das Start-up ist angetreten, ein ausgewählteres und höherwertiges Sortiment zu pflegen als Eis.de. Freitag vorvergangener Woche in einem Hinterhof am Paul-Lincke-Ufer in Berlin-Kreuzberg: Die Geschäftsführung ließ eine Lagerfeuertonne und drei mannshohe Eissäulen aufstellen. Darin tiefgefroren lagen Dildos, Vibratoren, Penisringe und Liebeskugeln, die vom Design her nicht alle auf den ersten Blick als solche zu erkennen waren. Hippe Mitte-20-Jährige aus den umliegenden Firmen meißelten das Spielzeug gackernd aus den Blocks. Auch ein paar Passanten schauten sich den Spaß an.
Der Onlinehändler, von Sebastian Pollock und Lea Sophie Cramer aus dem Rocket-Internet-Kosmos gegründet, nimmt ebenfalls junge Frauen ins Visier und schließt vom Sortiment her auch keine Altersgruppe oder Homosexuelle aus, wie Amorelie-Sprecherin Johanna Rief erklärt.
„Einen interessanten Markt sehen wir auch in der gehobenen Altersgruppe“, erklärt sie. Denn Sex in der Generation 60 plus sei nach wie vor ein gesellschaftliches Tabuthema. Man bediene aber keine sexuellen Fetische und sei daher für Personengruppen, die das bevorzugten, weniger interessant, meint Rief. So grenzt sich die Firma, die zu 75 Prozent der ProSiebenSat1 Media AG gehört, ab von Vertriebsfirmen wie der 2004 in Berlin-Weißensee gegründeten Firma Dildoking, die stärker die Schwulenszene und Fetischfreunde anspricht.
Branchenzahlen? Gibt es scheinbar nicht
Mancher Betriebswirt argumentiert, die Sexindustrie habe große Innovationen vorangetrieben – vor allem in der Unterhaltungselektronik: Pornofilme, beziehungsweise deren Betrachter, haben der Legende nach Videosystemen wie VHS oder der DVD zum Durchbruch verholfen. Mit entsprechend großer Neugier könnte man verfolgen, was andere unter Digitalisierungsdruck stehende Branchen, etwa die Medien oder Banken, von den neuen disruptiven Innovationen der Erotikwirtschaft lernen können: vielleicht, dass Kunden, die einmal untreu geworden sind, selten zurückkommen. Und womöglich, dass auch gar nicht genau nachvollzogen werden kann, wohin sie gehen.
Firmen wie Eis.de und Amorelie müssen sich derzeit nicht der Börsenöffentlichkeit stellen, bleiben Erfolgsbelege schuldig. Die meisten Erfolgsversprechen der Firmen gründen auf der Annahme, dass Gesellschaften sich linear in eine Richtung entwickeln, aus Perspektive der Sexindustrie also liberaler werden. Einige Umfragen scheinen das zu widerlegen. In vielen Ländern sind Konservative auf dem Vormarsch. Eher driften die Interessen von Kundengruppen auseinander.
Fragt man den Rechtsanwalt Uwe Kaltenberg vom Bundesverband Erotik Handel (BEH) in Hamburg nach ein paar Branchenzahlen, winkt er ab: „Die hätten wir auch gern.“ Auch er könne nicht sagen, wie und wohin die Kundenströme fließen. Er erinnere sich aber an Verbandstreffen mit 150 bis 200 Mitgliedern in den 1990er- und Nullerjahren. Beim nächsten Jahrestreffen im hessischen Dietzenbach im April rechnet er mit zehn bis 15 Teilnehmern.
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