Insolvente Fluggesellschaft: Schicksal von Air Berlin wird zum Nervenkrimi
Das Finale für Air Berlin: Politiker pokern um eine Transfergesellschaft, Gläubiger verkaufen die Fracht-Tochter und Berlin weist Ex-Chef Hartmut Mehdorn in die Schranken.
Bei Air Berlin geht es mittlerweile eher um Stunden als Tage. Wenn am Freitagabend der letzte Flieger mit AB-Flugnummer in Tegel landet, hat ein Großteil der 8000 Mitarbeiter keine Aufgabe mehr. Ihnen müsste am Wochenende gekündigt werden. Wie vielen Mitarbeitern man dieses Schicksal ersparen kann, wird derzeit noch intensiv auf zwei Ebenen verhandelt, die miteinander verschränkt sind: Zum einen laufen Gespräche mit potenziellen Investoren, die sich für Teile der Airline interessieren. Parallel verhandeln Vertreter von Bund um Ländern über eine finanzielle Beteiligung an einer Auffanggesellschaft für die Mitarbeiter, die – Stand jetzt – rund 4000 Mitarbeiter, die nicht im Lufthansa-Konzern oder einer anderen Firma unterkommen.
Am Mittwochnachmittag soll im Roten Rathaus die Entscheidung fallen, ob es eine Transfergesellschaft geben wird. Für das Land Berlin führt Björn Böhning, Chef der Senatskanzlei, die Gespräche. „Wir brauchen die Bereitschaft von allen, sich an den Gesamtkosten der Transfergesellschaft zu beteiligen. Rosinenpickerei wird nichts bringen“, sagte der Staatssekretär am Dienstagnachmittag. Der Senat erklärte seine Bereitschaft, sich zu beteiligen. Sollten sich auch die Länder Nordrhein-Westfalen und Bayern beteiligen, „brauchen wir auch die Verantwortung der Käufer und von Air Berlin“. Gemeint ist also der Lufthansa-Konzern.
Kosten werden auf 50 Millionen Euro geschätzt
Alle Beteiligten müssten sich bereit erklären, sich an den Gesamtkosten von geschätzt 50 Millionen Euro zu beteiligen, betonte Böhning. Zehn Millionen Euro würde Air Berlin in eine Transfergesellschaft schießen. Bund, Berlin, Bayern und Nordrhein-Westfalen müssten den Rest, rund 40 Millionen, tragen. Diese Kosten decken sogenannte Arbeitskosten ab, also Sozialleistungen und Urlaubsgelder, die eigentlich von der Arbeitgeberseite zu zahlen wären. Zu den 50 Millionen Euro kommen noch die Mittel der Bundesagentur für Arbeit für die Qualifizierung.
Bisher war bei Lufthansa keine Bereitschaft zu erkennen, sich zu beteiligen. Auch beim Bund gibt es Vorbehalte. Der Bund hatte der insolventen Fluggesellschaft im August über die staatliche KfW einen Kredit über 150 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Böhning appellierte an die Verantwortung des Bundes, auch nicht die Arbeitnehmer zu vergessen. Eine Beteiligung an einer Transfergesellschaft dürfte auch bei den Jamaika-Sondierungsgesprächen thematisiert worden sein.
Wie hoch genau die finanzielle Beteiligung der Länder sein würde, ist noch offen. Gemäß der Zahl der Mitarbeiter an den Air-Berlin-Standorten entfielen 47 Prozent auf Berlin, 41 Prozent auf Nordrhein-Westfalen und die restlichen zwölf auf Bayern. Sollte es zu keiner gemeinsamen Finanzierung kommen, wird sich Berlin allein wohl nicht in einer Gesellschaft engagieren, hieß es.
Frachttochter geht an Berliner Logistikfirma Zeitfracht
Derweil gab es einen kleinen Erfolg bei den Investorengesprächen: Für Air Berlins Tochtergesellschaft Leisure Cargo mit ihren 60 Mitarbeitern ist ein Käufer gefunden. Die Berliner Zeitfracht-Gruppe übernimmt das Düsseldorfer Tochter-Unternehmen, wie Air Berlin mitteilte. Der Gläubigerausschuss der insolventen Air Berlin stimmte demnach einer entsprechenden Vorlage der Geschäftsführung und des Generalbevollmächtigten zu. Leisure Cargo vermittelt Frachtraum in Passagiermaschinen. Air Berlin-Chef Thomas Winkelmann sprach von einem „kleinen, aber wichtigen Schritt im Insolvenzverfahren“. Der Kaufpreis wurde nicht genannt.
Noch keine Entscheidung gibt es über die Zukunft der Technik-Tochter, an der Zeitfracht ebenfalls interessiert ist. Zeitfracht-Chef Wolfram Simon sagte, die Verhandlungen der Bietergemeinschaft über Air Berlin Technik würden fortgesetzt mit dem Ziel, bald erfolgreich abgeschlossen zu werden und dabei möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern.
Kritik an Mehdorn-Äußerungen zur Air-Berlin-Misere
Der Berliner CDU-Wirtschaftspolitiker Christian Gräff und Verkehrspolitiker Oliver Friederici warnten derweil davor, dass es nach einer Übernahme von Air Berlin durch die Lufthansa zu einer schlechteren Anbindung der Hauptstadt kommen könne. „Die Lufthansa will aus betriebswirtschaftlichen Gründen das Angebot ausdünnen. Geschäftsreisende sollen in dem Konzept bevorzugt behandelt werden. Nicht jeder Reisende wird zu den Zeiten fliegen können, die er bisher gewohnt war“, kritisierten die Politiker. Sie erwarteten von Lufthansa „ein verbindliches Engagement für die nicht übernommenen Mitarbeiter der Air Berlin“.
Politiker aus Berliner Senat und Abgeordnetenhaus reagierten zudem auf die Äußerungen des ehemaligen Air-Berlin-Chefs Hartmut Mehdorn, der im Tagesspiegel-Interview der Politik einen großen Teil der Schuld an der Misere der Airline zuwies. „Herr Mehdorn hat grundsätzlich völlig recht mit seiner Kritik an der Lufthansa und der Berliner Landespolitik", sagte CDU-Mann Gräff. Er frage sich aber: Warum die drei Kernprobleme der Air Berlin - zu hohe Leasingkosten, nicht wettbewerbsfähige Kosten der LTU-Piloten und Zinslasten der ehemaligen Eigentümer - nicht angegangen sei?
"Vielleicht hätten wir dann mehr Chancen für den Luftfahrtstandort Berlin gehabt", sagte Gräff. Dass Berlin abgehängt wird und viele Mitarbeiter auf der Straße stehen, sei auch Herrn Mehdorns Schuld. Unter ihm sei immer Geld für Logo-Änderungen dagewesen, nie aber für die strukturellen Reformen. "Herr Mehdorn müsste, wie die heutigen Vorstandsvorsitzenden von Lufthansa und Air Berlin, eigentlich vor einen Richter für diesen Wirtschaftsskandal“, erklärte der Wirtschaftsfachmann der Berliner CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) reagierte ebenfalls verärgert: "Herr Mehdorn hätte es in seiner Zeit als Chef der Air Berlin und später der Flughafengesellschaft selbst in der Hand gehabt, wichtige Zukunftsentscheidungen auf den Weg zu bringen."
Mehdorn hatte in einem Interview Berlins Verkehrspolitik als „schwach und taub“ bezeichnet. „Die dreht sich nur um Radfahrer und Beschränkung des individuellen Autoverkehrs, aber nicht darum, wie man Berlin per Fernbahn, Fernstraßen, Flughafen und Wasserstraßen adäquat anbindet“, kritisierte er. „Berlin wird wie ein Dorf behandelt.“