Volkswagen und der Abgas-Skandal: Richtig in den Dreck gefahren
Nach dem Rücktritt von Konzernchef Martin Winterkorn ringt VW weiter um einen Ausweg aus der Krise. Wer kämpfte gegen wen, und wer wusste was? Fragen und Antworten zum Abgas-Skandal.
- Alfons Frese
- Henrik Mortsiefer
- Antje Sirleschtov
- Markus Mechnich
Der VW-Konzern hat nicht viel Zeit, um aus der Defensive zu kommen. Er braucht jetzt eine neue vertrauenswürdige Führung. Nach dem Rücktritt Martin Winterkorns wird der Nachfolger am Freitag vom Aufsichtsrat bestimmt.
Wer entscheidet über die VW-Führung?
In keinem anderen Unternehmen Deutschlands haben Betriebsrat und IG Metall so einen großen Einfluss wie bei VW. Und das gilt seit dem Rücktritt des Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch im April erst recht: Berthold Huber, bis 2013 Vorsitzender der IG Metall und langjähriger Stellvertreter von Piëch, führt das Gremium seit dessen Abgang. Huber leitete auch am Mittwoch die Sitzung des Aufsichtsratspräsidiums; ein Gremium, das die Entscheidungen des 20-köpfigen Aufsichtsrats vorbereitet. Neben Huber gehören zum Präsidium Betriebsratschef Bernd Osterloh, dessen Vertreter Stephan Wolf und für die Kapitalseite Wolfgang Porsche und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Diese fünf Herren mussten sich am Mittwoch einig sein, dass Martin Winterkorn zurücktreten musste.
Wie wurde Winterkorn überzeugt?
Huber und Weil wollten einen Neuanfang ohne Winterkorn, Wolfgang Porsche wusste anfangs nicht so recht und die Betriebsräte standen weitgehend loyal zu Winterkorn. Womöglich auch deshalb, weil Winterkorn Osterloh gern als Ersatz für den demnächst in Rente gehenden Personalvorstand gehabt hätte. Osterloh wäre dann im engsten Führungskreis dabei und würde, mit einem vielfach höheren Einkommen als bisher, den Konzernumbau mitgestalten. Es kam anders. Winterkorn hat nach eigenen Angaben „den Aufsichtsrat gebeten, mit mir eine Vereinbarung zur Beendigung meiner Funktion als Vorstandsvorsitzender zu treffen“. Das sagt man dann so. Sicherlich bekommt Winterkorn seinen bis Ende 2016 laufenden Vertrag ausgezahlt.
Wichtiger als Geld aber ist die Ehre: Nicht nur Winterkorn, auch das Präsidium betonte, dass der seit 2007 amtierende Vorstandschef keine Kenntnis von den Manipulationen hatte. Und weiter im Text der Erklärung des Aufsichtsratspräsidiums: „Unschätzbare Verdienste“ habe sich Winterkorn erworben; sein Name sei wegen der „überragenden Leistung“ mit dem „Aufstieg des Unternehmens zu einem Weltkonzern verbunden“. Es sei schließlich „beispielhaft“ wie er mit dem Rücktritt Verantwortung übernehme.
Welche Rolle spielt Ferdinand Piëch?
Im Hintergrund immer dabei: die Familie Piëch und damit auch Ferdinand als dritter Großaktionär neben den Porsches und Niedersachsen. Piëchs Ziel seit April: Winterkorn soll weg. Das ist erreicht. Die Gefahr war: Wenn Piëch das mit Nachdruck fordert, könnte sein Vetter Wolfgang Porsche aus Prinzip dagegen sein: Die beiden sind sich in herzlicher Abneigung zugetan.
Kommt jetzt Porsche-Chef Matthias Müller?
Müller, vor 62 Jahren in Sachsen geboren, ist „ein Top-Mann“. So spricht man im Porsche-Betriebsrat über den Nachfolger von Wendelin Wiedeking. Seit 2010 ist Müller Porsche-Chef, und das Unternehmen hat sich seitdem prächtig entwickelt: Die Rendite liegt konstant bei 15 Prozent, der neue Geländewagen Macan verkauft sich prima und die Belegschaft wächst von Jahr zu Jahr.
Müller hat Werkzeugmacher bei Audi gelernt, Informatik studiert und anschließend wieder für Audi gearbeitet. Unter anderem koordinierte er die Planung sämtlicher Baureihen der VW-Tochter und war damit einer der engsten Mitarbeiter des damaligen Audi-Chefs Martin Winterkorn. Als der 2007 Vorstandsvorsitzender von Volkswagen wurde, nahm er Müller mit nach Wolfsburg, wo dieser als Leiter der VW-Produktstrategie fungierte. Bis er dann bei Porsche gebraucht wurde. „Der Mann steht für Auto“, heißt es über Müller: fachlich ausgezeichnet, bodenständig und klar strukturiert. Und er kann mit den Arbeitnehmern.
Warum werden die Vorwürfe erst jetzt zum Problem für Volkswagen?
Die Volkswagen-Spitze glaubte offenbar, entsprechende Untersuchungen in den USA seit 2014 auf dem Verhandlungswege beenden zu können. Hintergrund des Falls ist eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie des Forschungsinstituts International Council on Clean Transportation und der Universität West Virginia, die erhöhte Emissionswerte einiger Volkswagen aufgedeckt hatte. Nach einem Bericht der US-Umweltbehörde EPA, deren Veröffentlichung am vergangenen Freitag die Affäre ins Rollen brachte, waren die Vorwürfe seit Mai 2014 bekannt. Im Dezember rief VW 500 000 Fahrzeuge in den USA freiwillig zurück und versicherte, die Softwaremanipulation zu beheben. Doch es geschah nichts. Die EPA ging dem Fall deshalb nach – und konfrontierte VW in der vergangenen Woche mit den Ergebnissen.
Haben auch andere Hersteller getrickst?
Mobile Messungen im Fahrbetrieb haben bereits öfter gezeigt, dass selbst die höheren europäischen Grenzwerte auch von anderen Herstellern teils deutlich überschritten werden. So hat die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg im April 2014 erhebliche Überschreitungen festgestellt. Die Werte der modernen Diesel, welche die Euro-6-Norm erfüllen, lagen teils um das Achtfache über dem Grenzwert. Die Deutsche Umwelthilfe geht davon aus, dass auch andere Hersteller über die Software in den zentralen Steuergeräten die Abgasnachbehandlung an- und ausschalten. „Uns liegen Protokolle und eine Reihe von Indizien vor, die belegen, dass im realen Fahrmodus die Abgasnachbehandlung ausgeschaltet wird“, sagt Jürgen Resch von der Umwelthilfe. In der Stadt würden manche Modelle nicht die passende Betriebstemperatur für eine ordentliche Reduzierung der Emissionen erreichen und bei höheren Geschwindigkeiten würde die Abgasnachbehandlung zugunsten von mehr Leistung deaktiviert. Resch geht davon aus, dass nahezu alle großen Hersteller betroffen sind. „Wir haben ausreichend Hinweise und Belege.“ Die Umwelthilfe prüfe juristische Schritte gegen die Zulassung einer Vielzahl aktueller Modelle, die angeblich die Euro-6-Norm erfüllen.
Wie groß ist der Schaden für die deutsche Autoindustrie und die Wirtschaft?
Der Autoverband VDA kritisierte die Manipulationen bei Volkswagen am Mittwoch scharf. „Eine missbräuchliche Anwendung einer speziellen Motorensoftware – das geht nun wirklich überhaupt nicht“, sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann auf der Automesse IAA in Frankfurt am Main. Der Verband nehme das Thema sehr ernst. Allerdings dürfe nicht der Fehler gemacht werden, die Gesetzesverstöße eines Unternehmens in den USA zu nutzen, um Hunderte von Zulieferern und Herstellern unter Generalverdacht zu stellen.
Was Wissmann und die Branche beunruhigt, ist der Imageschaden für Dieselfahrzeuge. Jedes zweite in Europa verkaufte Auto ist ein Diesel, die deutschen Anbieter haben einen Marktanteil von 53 Prozent. Die niedrigen CO2-Emissionen der Selbstzünder sind für die Hersteller außerdem wichtig, um die EU-Abgasnormen zu erfüllen, die in den kommenden Jahren immer strenger werden. „Ohne den Diesel werden wir die EU-Klimaziele nicht erreichen“, heißt es in der Branche. Da der Verkauf von emissionsfreien Elektroautos nicht in Schwung kommt, müssen die Hersteller hohe Strafzahlungen nach 2020 fürchten.
Wissmann verwies darauf, dass unabhängige Institute wie auch der TÜV den Euro 6 Diesel oft getestet und dem Treibstoff „absolute Topwerte“ bei der Senkung von Schadstoffen bescheinigt hätten. Der Fall in den USA stelle die Abgasnachbehandlung und -reinigung beim Diesel nicht generell infrage. „Der Diesel ist unverzichtbar für die internationale Automobilindustrie“, sagte Wissmann.
Der Volkswagen-Skandal ist für den VDA besonders pikant. Der Konzern ist das einflussreichste VDA-Mitglied, er dominiert als Marktführer die deutsche Autoindustrie – und er beschädigt gerade deren bislang tadelloses Image als Export- und Qualitätsweltmeister. In der Branche beeilt man sich deshalb zu sagen: Uns ist nur dieser Betrugsfall bekannt. Alles andere wäre für die Autoindustrie auch eine Katastrophe. Mit einem Gesamtumsatz von mehreren hundert Milliarden Euro und vielen hunderttausend Beschäftigten ist sie eine Säule der Wirtschaft. Fatal wirkt nach außen vor allem, dass es offenbar findige deutsche Autoingenieure waren, die mit krimineller Energie die US-Behörden hinters Licht führten. Von den gut 49 Milliarden Euro, die die deutschen Konzerne 2014 in Forschung und Entwicklung steckten, entfielen knapp 26 Milliarden auf die Autoindustrie – davon zwölf Milliarden Euro allein auf VW.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) kritisierte am Mittwoch die VW-Manipulationen ebenfalls. BDI-Präsident Ulrich Grillo nahm zugleich die deutsche Industrie insgesamt in Schutz. „Ich stelle mich vor die deutsche Industrie und vor die gute Arbeit, die täglich millionenfach geleistet wird“, sagte Grillo in Berlin. „,Made in Germany‘ steht für exzellente Produkte.“ Deutsche Ingenieurkunst und Facharbeit würden weltweit zu Recht geachtet. Grillo ergänzte zugleich: „Wir kritisieren jegliche Manipulation scharf.“ Jedes Unternehmen müsse sich an die geltenden Regeln halten. Jedes Fehlverhalten müsse lückenlos aufgeklärt werden: „Jetzt helfen nur Transparenz, Offenheit und Tempo.“
Wie verhält sich die Bundesregierung - und wer wusste wann was?
Der Verkehrsminister behauptet, von der Abgasmanipulation, wie sie VW eingeräumt hat, aus der Zeitung erfahren zu haben. Das zumindest hat Alexander Dobrindt (CDU) den Abgeordneten des Verkehrsausschusses im Bundestag am Mittwoch erklärt. Und viel mehr wohl auch nicht. Immer wieder, berichteten Ausschussmitglieder, habe der Minister auf Ergebnisse der Sonderkommission verwiesen, die er eingesetzt habe und die nun erst einmal ermitteln müsse. Für die Grünen ganz klar eine Hinhaltestrategie. Schließlich habe Dobrindts Haus letztmalig im Juli in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen Kenntnisse über eine mögliche rechtswidrige Nutzung der sogenannten „Abschalteinrichtungen“ offenbart. In der Tat befassen sich sowohl nationale Parlamente und Regierungen als auch die EU-Einrichtungen seit Jahren mit dem Thema „Abschalteinrichtungen“.
Schon in der EU-Verordnung 715 aus dem Jahre 2007 wurde festgelegt, wann die Nutzung der emissionshemmenden Einrichtungen legal oder illegal ist. Man darf also getrost davon ausgehen, dass es in den Behörden zumindest den Verdacht illegaler Einsätze schon vor Jahren gegeben hat. Sollte es auch zu Betrügereien in Deutschland gekommen sein, berichtete Dobrindts Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU) im Bundestags-Umweltausschuss, könne die Betriebserlaubnis für die Fahrzeuge entzogen werden, per Auflage verfügt werden, dass bei Neuwagen ab einem bestimmten Stichtag die Abgaswerte eingehalten werden müssen, oder das Kraftfahrzeugbundesamt könnte die betroffenen Dieselautos zurück in die Werkstatt zur Umrüstung schicken.