Prozess-Auftakt im VW-Dieselskandal: Richter hat Zweifel an Forderungen der Anleger
In Braunschweig hat der Prozess um Schadensersatzansprüche von Anlegern gegen Volkswagen begonnen. Ein Teil der Forderungen könnte schon verjährt sein.
Im Schadenersatzprozess von Anlegern gegen Volkswagen und seine Konzernmutter Porsche SE hat das Gericht signalisiert, dass ein Teil der Forderungen im Zusammenhang mit dem Abgasskandal verjährt sein könnte. Richter Christian Jäde sagte in einer vorläufigen Einschätzung am ersten Verhandlungstag vor dem Oberlandesgericht Braunschweig am Montag, dass wahrscheinlich nur ein Teil der Ansprüche berücksichtigt würden; dabei ließ er offen, in welcher Höhe. Der 3. Zivilsenat verhandelt über eine Klage der Fondsgesellschaft Deka Investment wegen erlittener Kursverluste. Hinter der Musterklägerin stehen knapp 1700 vergleichbare Fälle, die Summe der Forderungen beläuft sich auf neun Milliarden Euro.
Jäde sagte, das Verfahren sei derart komplex, dass sich der Senat zu Beginn nicht festlegen wolle. Dazu seien zu viele rechtliche Fragen zu klären. Das Gericht wolle die so genannten Feststellungsziele nacheinander abarbeiten, von denen 183 Volkswagen betreffen und zehn die Porsche SE. Dabei machte der Richter klar, dass seiner Ansicht der Zeitraum ab dem Frühjahr 2014 für Entscheidungen über die Kapitalmarktrelevanz von "Dieselgate" wichtig ist. Zu dem Zeitpunkt hatten Mitarbeiter von einer Untersuchung in den USA erfahren, die zum Ergebnis kam, dass Dieselautos der Wolfsburger auf der Straße ein Vielfaches mehr an Stickoxid ausstießen als im Labor. Nachdem sich daraufhin die US-Umweltbehörden einschalteten, gründete die Entwicklungsabteilung eine Task Force, um Antworten auf deren Fragen zu formulieren. Damals entschieden Mitarbeiter, scheinbar mit den US-Behörden zu kooperieren, die Existenz eines in den USA illegalen "Defeat Device" aber zu leugnen.
Streit zwischen Senat und Anwälten
Zum Streit zwischen Klägeranwalt Andreas Tilp und dem Senat kam es über die Frage, ob Volkswagen die zwischen 2005 und 2007 getroffene Entscheidung zum Einbau einer Manipulationssoftware der Börse hätte bekanntgeben müssen. Der Senat vertrat die Auffassung, dass die Entscheidung zwar illegal war. Wichtig für das Kapitalanleger-Musterverfahren sei aber, ob sie gefällt wurde, um Anleger hinters Licht zu führen. "Das haben wir bisher nicht erkennen können", sagte Jäde. Dem hielt Tilp entgegen, man könne den Beginn der Abgas-Manipulation in dem Verfahren nicht ausblenden. Volkswagen hätte bekanntgeben müssen, dass es den Ingenieuren mit legalen Mitteln nicht gelungen sei, die Abgasvorschriften in den USA zu erfüllen. Sollte der Senat dies nicht so sehen, würde er die Möglichkeiten der Kläger beschneiden. "Sie würden diesen Fall an der Wurzel kappen", sagte Tilp.
Für das Verfahren ist nach Meinung von Juristen entscheidend, wann Volkswagen das Ausmaß der Abgasmanipulation und die finanziellen Folgen bewusst wurden. Davon hängt ab, wann der Konzern die Börse mit einer Pflichtmitteilung informieren musste. Die Kläger - überwiegend institutionelle Investoren - werfen den Wolfsburgern vor, die Information zu lange geheim gehalten und ihnen dadurch einen Wertverlust eingebrockt zu haben. Dem hält VW entgegen, die Kursrelevanz sei erst durch die Veröffentlichung der US-Umweltbehörde am 18. September erkennbar geworden. Die EPA hatte damals eine Strafe von bis zu 18 Milliarden Dollar angedroht. Die Wiedergutmachung des Abgasskandals kostete Volkswagen allein in den USA bisher umgerechnet mehr als 25 Milliarden Euro. Einschließlich eines Bußgelds von einer Milliarde in Deutschland sowie weiteren Rückstellungen türmen sich die Kosten inzwischen auf mehr als 27 Milliarden Euro. (Reuters)