Neue Richtlinie gegen unfaire Handelspraktiken: Rewe und Edeka haben Angst vor Zerschlagung
Das Europaparlament will Genossenschaften in die Knie zwingen und Multis wie Nestlé schützen. Deutschland will das verhindern.
Rewe-Vorstand Thomas Nonn versteht die Welt nicht mehr. „Es ist surreal, was hier passiert“, sagt der Handelsmanager. Denn wenn das, was das Europaparlament Ende Oktober beschlossen hat, Wirklichkeit wird, können die größten deutschen Einzelhandelsketten, Rewe und Edeka, einpacken. „Bei unseren selbstständigen Rewe-Händlern stehen 100.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel“, warnt Nonn.
Es begann mit dem Schutz kleiner Bauern
Dabei begann alles ganz harmlos. Um kleine und mittelgroße Agrarbetriebe vor unfairen Handelspraktiken zu schützen, brachte die EU-Kommission vor einiger Zeit eine Richtlinie auf den Weg. Die UTP-Richtlinie („unfair trading practices“) sollte Bauern davor bewahren, dass Handelsketten Verträge nachträglich ändern, Bestellungen stornieren oder die Ware erst mit Verzögerung bezahlen.
Doch im Europaparlament bekam das Projekt plötzlich einen ungeahnten Schub. Was als „Kampf David gegen Goliath“ startete, so der sozialdemokratische Berichterstatter im EU-Parlament, Paolo de Castro, könnte jetzt Einkaufsverbünden und -Genossenschaften den Garaus machen.
Das liegt an dem Änderungsantrag des CSU-Europaabgeordneten Albert Deß, den die Parlamentarier angenommen haben: Zusammenschlüsse von Einzel- und Großhandel sollen danach verboten werden. Das würde die Genossenschaften treffen, und damit Handelsriesen wie Edeka und Rewe, die als Genossenschaften organisiert sind. „Wenn alle Kaufleute selbst verhandeln müssen, haben sie angesichts der niedrigen Gewinnmargen keine Chance zu überleben“, warnt Günter Althaus, Präsident des Mittelstandsverbunds.
Genossenschaften sollen verboten werden
Bislang verhandeln nämlich die Edeka- und Rewe-Zentralen mit den überregionalen Lieferanten. Die gebündelte Einkaufsmacht sorgt für gute Konditionen, was Lieferbedingungen und Preise angeht. Ginge es nach dem Europaparlament, wäre das künftig verboten. Nonn ist entsetzt.
„Wie soll das denn gehen?“, fragt sich der Rewe-Manager „Soll jeder unserer 2000 Kaufleute mit Nestlé und Unilever selber verhandeln und 20 Kitkat-Riegel oder 30 Packungen Knorrfix bestellen?“ Und wie sollten Lagerhaltung und Logistik funktionieren? Auch Errungenschaften des Handels wie mehr Tierwohl, Gentechnikfreiheit oder die Reduzierung von Plastik über die geltenden Gesetze hinaus, wären künftig verboten, sagt Nonn.
„Das ist doch widersinnig.“ Auch der Deutsche Bauernverband, der einen besseren Schutz der Landwirte für nötig hält und daher die ursprüngliche Idee aus Brüssel befürwortet, hält Handelsgenossenschaften nicht für gefährlicher als Familienunternehmen oder Aktiengesellschaften. "Nach unserer Beobachtung ist nicht die Rechtsform entscheidend, sondern die Größe der Einkaufsmacht und da unterscheiden sich die großen Lebensmittelhändler nicht", sagte der Geschäftsführer des Bauernverbands, Bernhard Krüsken, dem Tagesspiegel.
Nestlé und Unilever werden geschont
Was den Händlern das Leben zusätzlich erschwert, ist ein weiterer Coup der Parlamentarier. Sie haben beschlossen, dass nicht nur kleine Bauernbetriebe, sondern auch große Lebensmultis wie Nestlé und Unilever unter den Schutz der Richtlinie fallen sollen. „Ein Prozent der Lieferanten machen 50 Prozent unseres Umsatzes aus“, sagt Nonn mit Blick auf die Großkonzerne.
Warum diese schutzwürdig sein sollten, versteht er nicht. Die Lebensmittelkonzerne begrüßen dagegen naturgemäß das unerwartete Geschenk aus Straßburg. Bei Auseinandersetzungen über Preise, wie derzeit zwischen Kaufland und Unilever, hilft ihnen das. Man begüße, dass es künftig „gleiche Regeln für alle“ geben soll, sagte ein Nestlé-Sprecher dem Tagesspiegel.
Österreich und Deutschland wollen Widerstand leisten
Doch ob das so kommt, ist fraglich. Der Trialog, also die Verhandlungen zwischen Parlament, EU-Kommission und den Mitgliedstaaten, läuft bereits. „Wir hoffen, dass zum Wohle des Sektors bald eine Einigung erzielt werden kann“, betont eine Kommissionssprecherin. Aber in den Mitgliedstaaten regt sich Protest.
Etwa in Österreich, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat und die Richtlinie gern bis Jahresende verabschiedet wüsste. Die Position des Rates sehe nicht vor, „dass Händler unter einem Dach zum Beispiel von Spar oder Edeka in Zukunft nicht mehr gemeinsam einkaufen dürfen“, sagte die österreichische Agrarministerin Elisabeth Köstinger dem „Handelsblatt“. Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will die Alleingänge des Europaparlaments nicht mitmachen.
Die Erstreckung des Schutzes auch auf Großunternehmen und ein generelles Verbot von Einkaufsgenossenschaften sehe „die von der Bundesregierung unterstützte Rats-Position nicht vor“, sagte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums dem Tagesspiegel.