Kampf gegen den Corona-Crash: Rettet die Vier-Tage-Woche Deutschland die Jobs?
Je länger die Wirtschaftskrise dauert, desto nötiger werden Instrumente zur Beschäftigungssicherung. Was diskutiert wird und was Erfolg verspricht. Ein Überblick.
Gewerkschaften bemühen sich oft genug, die Arbeitszeit von Beschäftigten zu verkürzen. Dieses Mal, mitten im Strukturwandel und in der Coronakrise, geht es vor allem um die Rettung von Jobs in der Metall- und Elektroindustrie: Die IG Metall schlägt eine Vier-Tage-Woche vor und stößt damit bei Arbeitsminister Hubertus Heil auf offene Ohren.
Gute und pragmatische Ideen seien gefragt, um gemeinsam durch die Krise zu kommen, sagte der SPD-Politiker. Heil sieht dabei vor allem die Sozialpartner in der Pflicht, die sich auf solche Modelle verständigen müssten. Sind sie durchsetzbar?
Was schlägt die IG Metall vor?
Für die IG Metall geht es um die Rettung von Jobs: „Die Vier-Tage-Woche wäre die Antwort auf den Strukturwandel in Branchen wie der Autoindustrie. Damit lassen sich Industriejobs halten, statt sie abzuschreiben“, hatte der Vorsitzende der Gewerkschaft, Jörg Hofmann, gesagt.
Er sprach von „einem gewissen Lohnausgleich für die Beschäftigten, damit es sich die Mitarbeiter leisten können“. Vielleicht so wie bei der Vier-Tage-Woche bei Volkswagen, wo die Beschäftigten in den 1990er Jahren 20 Prozent weniger arbeiteten aber nur zehn Prozent weniger Lohn bekamen.
Hofmann formuliert vorsichtig, weil er weiß, dass es in der Anfang kommenden Jahres anstehenden Tarifauseinandersetzung Anfang des kommenden Jahres nicht viel zu verteilen gibt. Die Transformation der Autoindustrie ist schon schwer genug.
Dann kam auch noch die Coronakrise und eine weltweite Rezession hinzu. Deshalb unterscheidet Hofmann auch zwischen Kurzarbeit, die über die Konjunkturkrise hinweghilft, und der längerfristigen Strukturkrise, in der mit einer Arbeitszeitverkürzung Arbeitsplätze gesichert werden könnten.
Ganz konkret betrifft der Wandel vom Verbrennungs- zum Elektromotor in diesem Jahrzehnt hunderttausende Arbeitsplätze in der Industrie. Mit weniger Arbeitszeit für alle oder zumindest viele könnte der Wandel geschmeidiger verlaufen – und Zeiträume für berufliche Weiterbildung schaffen.
Im größten deutschen Industriebereich sind die Tarifpartner ohnehin besonders kreativ, wenn es um Arbeitsplätze geht. In der Konjunkturkrise der 1990er Jahre erfand man den Tarifvertrag Besch, kurz für „Beschäftigungssicherung“, mit dem die Betriebsparteien ohne Lohnausgleich die Arbeitszeit senken können und entsprechend Lohnkosten sparen.
Nach der letzten Finanzkrise 2008/09 hieß ein ähnliches Modell ZiA, für Zukunft in Arbeit“, und vor zweieinhalb Jahren gab es den T-Zug für „tarifliches Zusatzgeld“, der bestimmten Beschäftigtengruppen die Wahl lässt zwischen Geld und Freizeit.
Bei Daimler haben sich IG Metall, Betriebsrat und Konzern jetzt verständigt, die Wahlmöglichkeit erstmal zu streichen: Die Beschäftigten müssten die Zeit nehmen, damit das Unternehmen Geld spart. Dazu gibt es eine Arbeitszeitverkürzung um zwei Stunden für alle Daimler-Mitarbeiter außerhalb der Produktion – der Konzern spart dadurch 5,71 Prozent Lohnkosten pro Kopf.
Welche Unternehmen setzen auf Arbeitszeitverkürzung?
Neun Milliarden vom Staat, Kurzarbeit für Zehntausende und Einkommenskürzungen durch Arbeitszeitverkürzung nach der Kurzarbeit, um die Kündigung von mehr als 20 000 Mitarbeitern zu vermeiden – das sind die wichtigsten Bestandteile Kernelemente des Sanierungspakets der Lufthansa.
Frühestens 2023 rechnet der Konzern mit einem Verkehrsniveau wie 2019 und will dauerhaft 100 der zuletzt gut 750 Flugzeuge außer Betrieb nehmen. Das hat Konsequenzen für die Belegschaft, die vor Corona weltweit knapp 138.000 Menschen umfasste.
Nach Berechnungen des Managements werden davon 22.000 nicht mehr gebraucht, rund die Hälfte davon in Deutschland. Kurzarbeit hilft da nicht mehr: Ohne Fortführungsperspektive nach einer temporären Krise gibt es kein Kurzarbeitergeld von der Bundesagentur für Arbeit.
22.000 Beschäftigte zu viel
Seit Monaten verhandelt die Lufthansa mit den Gewerkschaften Verdi (für das Bodenpersonal), Ufo (für die Flugbegleiter) und VC Cockpit (für die Piloten) über Sparmaßnahmen. Mit der Ufo verständigte sich der Konzern bereits Ende Juni auf ein Sparpaket in Höhe von mehr als eine halbe Milliarde Euro bis einschließlich 2023. Unter anderem werden Einkommenserhöhungen für die 22 000 Stewardessen und Purser ausgesetzt und die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich reduziert.
Nach dem Ende der gesetzlichen Voraussetzungen zur Kurzarbeit werden die Flugstunden abgesenkt, wodurch Grundgehalt und Zulagen um 7,14 Prozent niedriger ausfallen. Für die Flugbegleiter ist das schmerzhaft: Nach fünf Jahre liegt das Durchschnittseinkommen nach Ufo-Angaben bei rund 2500 Euro brutto.
Piloten wollten auf 380 Millionen verzichten
Bei den deutlich höheren Einkommen der Piloten ist Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich eher möglich. Deshalb hatte die VC Cockpit auch bereits vor Wochen Zustimmung zu einem Sparvolumen von 380 Millionen Euro signalisiert.
Allein bei der Kernmarke Lufthansa wird der Pilotenüberhang mit rund 600 angegeben. Die 380 Millionen konnte die VC-Führung in den eigenen Reihen nicht durchsetzen, sodass man sich jetzt erstmal auf eine Übergangslösung verständigt hat, mit der Kündigung bis März 2021 ausgeschlossen sind. Im Gegenzug werden Tariferhöhungen verschoben, Beiträge zur betrieblichen Altersvorsorge reduziert und ebenso die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes.
Keine Lösung für das Personal am Boden
Damit gewinnen beide Seiten etwas Zeit, mehr aber auch nicht: Die Verhandlungen über ein Sparvolumen bis 2023 gehen mit den Piloten ebenso weiter wie mit Verdi. Gleichzeitig bereitet die Lufthansa Sozialpläne und betriebsbedingten Kündigungen vor, wenn es zu keiner Verständigung kommt über flächendeckende Arbeitszeitverkürzungen und Gehaltseinsparungen.
Der zuletzt von Verdi angebotene Sparbeitrag von 600 Millionen Euro von den 26 000 Beschäftigten am Boden reicht der Lufthansa nicht.
Was taugt die Vier-Tage-Woche?
Das Hauptinstrument, um in der aktuellen Krise Kündigungen zu verhindern, ist die Kurzarbeit – da sind Politik und Arbeitsmarktforscher sich einig. Für die Firmen, die länger brauchen, um sich aus der Krise herauszuarbeiten, soll die Bezugsdauer des Kurzarbeitergelds deswegen auch auf bis zu 24 Monate verlängert werden.
Arbeitszeitverkürzungen können allenfalls ein ergänzendes Instrument sein. Der Vorstoß der IG Metall zielt auch weniger auf die aktuelle Coronakrise ab als auf den Wandel, in dem viele deutsche Unternehmen sich befinden – etwa durch Digitalisierung oder den Umstieg auf eine klimafreundliche Produktionsweise.
Wie stehen die Beschäftigten dazu?
Die Erfahrung mit Tarifabschlüssen, bei denen Beschäftigte zwischen Zeit und Geld wählen konnten, zeigt: Es gibt in den Belegschaften ein Interesse, flexibler bei den Arbeitszeiten zu werden und diese auch zu reduzieren. Unter dem Strich wollen Arbeitnehmer heute allerdings nicht weniger arbeiten als früher, sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Das gelte auch für die jüngere Generation, wie Erhebungen zu den Arbeitszeitwünschen zeigten.
Das bedeute aber nicht, dass jeder Beschäftigte genau so viel arbeite, wie er wolle. „Viele wollen durchaus weniger arbeiten, andere auch lieber mehr.“ Weber plädiert deshalb für mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten. „Wer eine 4-Tage-Woche haben will, sollte diese Möglichkeit auch bekommen.“ Eine Reduzierung der Arbeitszeit dürfe nicht dazu führen, dass Arbeitnehmer deswegen in ihrer Karriere gebremst würden. Genauso müsse eine Aufstockung der Arbeitszeiten auch wieder machbar sein.
Welchen Einfluss hat der Strukturwandel?
IAB-Arbeitsmarktforscher Weber hält es nicht für sinnvoll, alle Arbeitnehmer auf eine Vier- Tage-Woche zu setzen. „Durch den technologischen Wandel wird uns die Arbeit nicht ausgehen“, sagt er. „Die Arbeit wird aber eine andere sein.“
Dem Strukturwandel müsse man deshalb mit Qualifizierung begegnen, nicht mit einer generellen Arbeitszeitverkürzung. Selbst in der Autoindustrie, in der nach Berechnungen des IAB durch die Umstellung auf Elektromobilität in diesem Jahrzehnt über 100 000 Jobs verloren gehen könnten, hält Weber das nicht für notwendig. Durch den demographischen Wandel werde die Zahl der Arbeitskräfte so stark sinken, dass auch hier nicht die Arbeitszeiten pauschal für alle Beschäftigten verkürzt werden müssten.
Lohnausgleich ist entscheidend
Johanna Wenckebach hält Arbeitszeitverkürzungen hingegen für ein sinnvolles Instrument, um Beschäftigung zu sichern. Arbeitnehmer benötigten außerdem Zeit, um sich zu qualifizieren und neuen Jobanforderungen etwa durch Digitalisierung standhalten zu können, sagt die Direktorin des gewerkschaftsnahen Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht. Wenckebach hält einen „Kulturwandel“ beim Thema Arbeitszeit auch deswegen für nötig, um für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen.
„Die 40-Stunden-Woche ist in Deutschland immer noch die Norm“, sagt sie. Die Arbeitswelt müsse es Eltern ermöglichen, Sorgearbeit gleichberechtigt zu übernehmen.
Aus Sicht von Wenckebach ist die Frage des Lohnausgleichs entscheidend. „Es geht eben nicht nur um Zeit, sondern auch um Geld.“ In vielen Berufen könnten die Beschäftigten es sich nicht leisten, auf Gehalt zu verzichten.
Was meint die Politik?
Aus der SPD gibt es Sympathie für die Ideen des IG-Metall-Chefs, Betrieben tarifvertraglich die Option einer Vier-Tage-Woche einzuräumen. Linkspartei-Chefin Katja Kipping reicht das nicht aus. Sie fordert eine generelle Verkürzung der Arbeitszeiten auf 30 Stunden pro Woche in Vollzeit, um mehr Zeit für Familie und Sorgearbeit, politische Einmischung, persönliche Weiterbildung und Muße zu ermöglichen.
FDP-Chef Christian Lindner hingegen macht, ähnlich wie Vertreter des Wirtschaftsflügels der Union, aus seiner Skepsis keinen Hehl. Via Twitter fragte er, ob es ein Beispiel gebe, dass sich ein Land aus einer Wirtschaftskrise mit weniger Arbeit befreit habe.
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