Martin Winterkorn und Ferdinand Piëch: Rehabilitiert und angeschlagen
Paradoxerweise hat Ferdinand Piëch dem Unternehmen einen doppelten Dienst erwiesen: Seine Machtfülle wird kleiner werden und Martin Winterkorns Management angreifbar sein. Ein Kommentar.
Martin Winterkorn bleibt, was er seit 2007 ist: Volkswagen-Chef. Statt seiner Entmachtung über Nacht wünscht sich der Aufsichtsrat eine Verlängerung seiner Amtszeit. Ist alle Aufregung, die VW-Patriarch Ferdinand Piëch vor einer Woche stiftete, umsonst gewesen? Bleibt alles beim Alten im zweitgrößten Automobilkonzern der Welt? Man müsste sich mit den beiden ergrauten Männern an der VW-Spitze nicht länger beschäftigen, wenn in Wolfsburg und Salzburg nicht binnen einer Woche (Unternehmens)Geschichte geschrieben worden wäre. Auf offener Bühne, mit harten Worten – und weitreichenden Folgen, nicht nur für Volkswagen und seine 600 000 Beschäftigten in aller Welt.
Wie muss sich das anfühlen: Martin Winterkorn (67), mit knapp 16 Millionen Euro im Jahr der am besten bezahlte deutsche Manager, wird mit nur einem bösen Satz seines Aufsichtsratsvorsitzenden (78) buchstäblich vom Sockel der Großartigkeit gestoßen. Am Donnerstag vor acht Tagen konnte sich der VW-Boss noch an seiner Erfolgsbilanz freuen: Der Zwölf-Marken-Konzern mit 200 Milliarden Euro Umsatz dürfte Weltmarktführer vor Toyota werden. Nur einen Tag später aber, nach Piëchs Satz, werden in aller Öffentlichkeit seine Fehler und Versäumnisse diskutiert. Volkswagen gleicht einer Baustelle. Aus dem Star ist ein Verstoßener geworden. Und nun: „Ziehvater“ Piëch spricht Winterkorn das Vertrauen aus, das er ihm gerade entzogen hatte. Die Botschaft: Alles ist gut bei VW.
Der scheinbar Unangreifbare
Doch nichts dergleichen. „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, hatte Piëch gesagt. Ein harmloser Satz. Doch von Piëch gesprochen, lakonisch-sperrig wie immer, werden die Worte zur Waffe zwischen zwei Männern, die an wenig mehr denken als an „ihr“ Unternehmen. Es sind feudale Verhältnisse im VW-Reich: Der Mächtigste im Clan der Piëchs und Porsches, denen das Unternehmen mehrheitlich gehört, regiert wie ein König. Wer in Ungnade fällt, muss gehen. Wer wie Winterkorn („Wiko“) lange erfolgreich bleibt, wird vergöttert. Wer wie der Betriebsrat den Frieden nicht stört, wird hofiert. Alles bekannt. Oft kritisiert. Gewandelt hat sich bei VW wenig.
Das könnte jetzt anders werden. Die Rehabilitierung Winterkorns ist zugleich eine Niederlage für Piëch, den scheinbar Unangreifbaren. Der Enkel des Käfer-Erfinders Ferdinand Porsche wird deshalb nicht berechenbarer. Solange er lebt und bei Sinnen ist, wird er das Erbe verteidigen. Doch sein Wunsch, Winterkorn vorzeitig aus dem Amt zu drängen, hat nicht die Zustimmung der Arbeitnehmerbank, des Landes Niedersachsen und sogar Teilen der Familie gefunden. Paradoxerweise hat Piëch dem Unternehmen einen doppelten Dienst erwiesen: Seine Machtfülle wird kleiner werden und Winterkorns Management angreifbar sein.
Jüngere Männer, etwa der künftige VW-Markenchef Diess oder Lkw-Vorstand Renschler, werden das Unternehmen künftig stärker prägen. Schwächen wie die schlappe Produktivität von VW, der Rückstand auf dem US-Markt, das fehlende Billig-Auto oder die Zentralisierung wichtiger Prozesse und Entscheidungen, sind nun für alle sichtbar.
War es am Ende also gut, dass Ferdinand Piëch ein mächtiges Wort gesprochen hat? Hat er nur getan, was ein Aufsichtsrat im Sinne der Corporate Governance tun muss: den Vorstand kontrollieren? Es sieht so aus. Sympathisch muss einem der Autokrat deshalb nicht sein.