Nach dem Machtkampf bei VW: Stürzt Ferdinand Piëch vom Sockel?
Nach der Bestätigung von Winterkorn gilt Patriarch Ferdinand Piëch als angeschlagen. Was passiert als nächstes im VW-Konzern? Fragen und Antworten am Tag nach dem Showdown in Salzburg.
Niederlagen kommen im Weltbild von VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch eigentlich nicht vor. Er würde wohl von Herausforderungen sprechen. Dennoch hat sich der als VW-Patriarch Gefürchtete, der am Freitag 78 geworden ist, mit seinem jüngsten Machtwort nicht durchgesetzt: Martin Winterkorn bleibt mindestens bis Ende 2016 Vorstandsvorsitzender von Volkswagen.
Mit dem Satz „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, hatte Piëch vor einer Woche dem VW-Chef öffentlich das Vertrauen entzogen und im Konzern für erhebliche Unruhe gesorgt. Am Freitag nun erklärte das Präsidium des Aufsichtsrates nach einer Krisensitzung in Salzburg, „dass Professor Dr. Martin Winterkorn der bestmögliche Vorsitzende des Vorstands für Volkswagen ist“. Das sechsköpfige Präsidium, das wichtige Entscheidungen des 20 Mitglieder zählenden VW-Aufsichtsrates vorbereitet, lege großen Wert darauf, dass Winterkorn „seine Funktion als Vorsitzender des Vorstands auch weiterhin so aktiv und erfolgreich wie bisher verfolgt“. Hierbei habe er „die uneingeschränkte Unterstützung des Gremiums“. Dem Vernehmen nach sollen nur fünf der sechs Präsidiumsmitglieder dafür gestimmt haben. Eine eigene Erklärung von Aufsichtsratschef Piëch gab es zunächst nicht.
Wie groß ist die Niederlage für Piëch?
„Natürlich ist das eine große Niederlage für Piëch“, sagte Frank Schwope, Autoanalyst bei der Nord LB, dem Tagesspiegel. „Aber seine Ära geht nicht zu Ende, da er Eigentümer ist.“ Aber er ist nur ein Eigentümer von mehreren. Piëch, Enkel des Erfinders des VW Käfer Ferdinand Porsche, hält mit seiner Familie und dem Porsche-Clan zusammen 50,73 Prozent der stimmberechtigten VW-Aktien.
Im Fall Winterkorn hatte sich die Familie Porsche von Piëch distanziert und von einer „Privatmeinung“ des „Alten“ gesprochen, wie er im Unternehmen genannt wird. Auch die einflussreichen Arbeitnehmervertreter, die die Hälfte des Aufsichtsrates besetzen, sowie das Land Niedersachsen (20 Prozent plus Vetorecht) standen im Machtkampf gegen Piëch und hinter Winterkorn. Fällt der alte Firmenpatriarch vom Sockel? Betriebsratschef Bernd Osterloh begrüßte die Entscheidung des Präsidiums gegen Piëch. „Wir werden unseren Erfolgskurs mit Martin Winterkorn fortsetzen. Er ist der richtige Mann auf dem richtigen Platz.“ Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erklärte die Debatte um die Führungsspitze für beendet. „Die Diskussionen der vergangenen Woche waren nicht gut für Volkswagen.“
Was bringt die Zukunft?
Wird sich die Auseinandersetzung auf das Geschäft von VW auswirken? Wie geht es mit dem Autokonzern weiter?
Unmittelbaren Einfluss auf das operative Geschäft von Volkswagen wird die Entscheidung vom Freitag nicht haben. Dennoch nahm die Börse wohlwollend zur Kenntnis, dass Winterkorn im Amt bleibt – und dass sein Vertrag nach dem Willen des Aufsichtsratspräsidiums über 2016 hinaus verlängert werden soll. Die VW-Aktie war am Freitag lange Zeit der einzige der 30 Dax-Werte mit einem Kursgewinn. Beobachter rechnen damit, dass nach der Intervention von Piëch die Schwachstellen des Autoherstellers, der weltweit mehr als 100 Werke betreibt und 2014 mehr als elf Milliarden Euro verdiente, analysiert werden. „Piëch weist stets so auf die Probleme hin, dass es alle verstanden haben“, sagte Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer. Piëch wolle „Staub aufwirbeln, aber kein Chaos stiften“. Volkswagen ist zwar auf dem besten Wege, vor Toyota Weltmarktführer zu werden. Dennoch gibt es eine lange Liste von Problemen. So erzielt die Kernmarke VW nur eine Rendite von 2,5 Prozent, statt der geplanten sechs Prozent. Die Fertigungstiefe, die Verarbeitungsqualität sowie die hohen Personalkosten machen VW zu schaffen. Außerdem verliert Volkswagen auf dem wichtigen US-Markt Marktanteile – auf einem ohnehin niedrigen Niveau. Auch die Frage, wann VW ein seit Jahren geplantes Billigauto auf den Markt bringt, ist immer noch unbeantwortet.
Die Frage ist, wie durchsetzungsstark Martin Winterkorn nach Piëchs Attacke noch ist. Zumal er die Zuständigkeit für die Kernmarke VW im Sommer an den früheren BMW-Manager Herbert Diess abgeben wird. Mit Porsche-Chef Matthias Müller sitzt seit Februar außerdem ein zuletzt als potenzieller Nachfolger gehandelter Manager im Konzernvorstand von VW. Porsche und Audi sind die wichtigsten Gewinnbringer im Konzern. „Man habe zunächst „eine für den Vorstandsvorsitzenden gesichtswahrende Lösung gefunden“, glaubt Frank Schwope. „Jetzt ist erst einmal Ruhe. Aber Piëch hat sicherlich noch einige Pfeile im Köcher“, sagte der Analyst. Bis zum April 2016, wenn der Aufsichtsrat über Winterkorns Vertragsverlängerung entscheide, „kann noch einiges passieren“. Dudenhöffer glaubt, dass es früher oder später weitere Kollisionen zwischen Piëch und Winterkorn geben wird. Die geplante Vertragsverlängerung sei nur ein „Etappensieg“ für Winterkorn. Von einem „Burgfrieden“ war am Freitag die Rede.
Wie lange bleiben Winterkorn und Piëch an der Spitze von VW? Wer könnte das Unternehmen in die Zukunft führen?
Beobachter halten es für wahrscheinlich, dass die Ankündigung des Aufsichtsratspräsidiums, den Vertrag von Winterkorn nach 2016 zu verlängern, nicht um gesetzt wird. „Piëch hat seit Freitag noch eine Rechnung offen“, hieß es. Die Attacke auf den VW-Chef zeige deutlich, dass der „Alte“ Winterkorn nicht als seinen Nachfolger sehe. „Ich strebe an, dass an die Spitze des Aufsichtsrats und des Vorstands die Richtigen kommen, und das sind keine Familienmitglieder, das ist auch nicht meine Frau“, war Piëch zitiert worden. Entschieden werden soll erst Anfang 2017 kurz vor dem Ende seines Mandats. Käme es dennoch zur Vertragsverlängerung bei Winterkorn, wäre dieser ab 2016 weiter gebunden und stünde nicht direkt als Aufsichtsratschef zur Verfügung. Beobachter schätzen, dass eine entsprechende Sprachregelung gefunden wird, um Winterkorn den Aufsichtsratsposten zu verweigern – etwa mit Verweis auf den Corporate-Governance-Kodex, der einen direkten Wechsel an die Aufsichtsratsspitze verbietet.
Aus Sicht von Branchenexperte Stefan Bratzel hängt nun vieles davon ab, wie sich der Aufsichtsratsvorsitzende künftig zum Vorstandschef positioniert: „Interessant wird sein, ob Piëch sich positiv zu Winterkorn äußert.“ Kommt es nicht dazu und verliert Winterkorn an Rückhalt im Konzern, könnten sich Andreas Renschler (57), der von Daimler zu VW wechselte, und Herbert Diess (56) von BMW auf die Rolle als Kronprinzen vorbereiten. Auch Skoda-Chef Winfried Vahland (58) gilt als Kandidat. Porsche-Chef Müller (61) ist wegen seines Alters für den Übergang im Gespräch.