OECD-Chefvolkswirtin Laurence Boone: „Regierungen müssen die gesamte Wirtschaft digitalisieren“
Trotz Impfstoff wird sich die Weltwirtschaft nur langsam erholen, zeigt die neue Prognose der OECD. Chefvolkswirtin Laurence Boone erklärt im Interview, was Regierungen nun tun sollten.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) rechnet für ihre Mitgliedsstaaten in diesem Jahr mit einem Minus beim Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent. Das geht aus ihrer am Dienstag vorgestellten Prognose hervor. Einen solchen Rückgang sagt die Organisation auch für Deutschland voraus. Im nächsten Jahr kommt dann mit der Verbreitung des Impfstoffs allmählich die Erholung. Trotzdem dürfte auch 2021 die Arbeitslosigkeit hierzulande zunächst noch weiter ansteigen, bevor sie im Laufe der ersten Jahreshälfte ihren Höhepunkt erreicht. Laurence Boone, seit 2018 Chefvolkswirtin der OECD, hat deshalb konkrete Vorstellungen, was Regierungen nun tun sollten.
Frau Boone, es wird schon sehr bald einen Impfstoff gegen Covid-19 geben. Wie lange wird es dauern, bis es mit der Wirtschaft wieder aufwärts geht?
Natürlich macht uns der Impfstoff Hoffnung, aber noch stecken wir mitten in der Krise. Der Impfstoff muss erst einmal produziert und verteilt werden.
Das wird seine Zeit dauern. Deshalb werden wir sicherlich vorerst mit weiteren Einschränkungen leben müssen. Die Wirtschaft in den OECD-Staaten wird sich erholen – aber nicht von heute auf morgen, sondern allmählich.
Sie sagen für die OECD-Staaten für das kommende Jahr ein Wachstum von 4,2 Prozent voraus – betonen aber, dass diese Prognose mit hoher Unsicherheit verbunden ist. Wo sehen Sie die größten Risiken?
Es kann natürlich auch sein, dass der Impfstoff schneller als erwartet für einen großen Teil der Bevölkerung bereitsteht. Dann kann sich auch die Wirtschaft schneller erholen, als wir das bislang annehmen.
Aber wir haben in den letzten Monaten gelernt vorsichtig zu sein. Zumal sich die Verteilung des Impfstoffs genauso gut hinziehen kann. Auch kann sich die Stimmung der Unternehmen weiter eintrüben. Das würde dann dazu führen, dass die Wirtschaft langsamer wächst als erwartet.
Bleibt die Frage, wie wir die Zeit überbrücken, bis die Wirtschaft wieder anspringt.
Wir haben bewusst empfohlen, Firmen und Mitarbeiter im Lockdown zu stützen, so wie es auch Deutschland derzeit tut. Zumal wir nach der ersten Coronawelle im Frühjahr gesehen haben, dass die Wirtschaft schnell wieder anspringt, sobald die Beschränkungen aufgehoben werden können.
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Gerade die Kurzarbeit hat sich als gutes Instrument erwiesen, um Jobs zu erhalten. So können die Menschen schneller zur Normalität zurückkehren, wenn die Krise vorbei ist.
Was sollten Regierungen jetzt tun, um die Wirtschaft auf die Zeit nach Corona vorzubereiten?
Sie müssen jetzt wichtige Investitionen anstoßen – und zwar sowohl kurz- wie langfristige. Kurzfristig zum Beispiel müssen die Schulen mit Laptops und Tablets ausgestattet werden, damit wir verhindern, dass manche Schüler zurückbleiben. Langfristig müssen die Regierungen die komplette Wirtschaft digitalisieren. Das ist ein enormes Projekt, das muss man jetzt planen, um es langfristig umzusetzen.
In Japan zum Beispiel subventioniert die Regierung kleine und mittlere Firmen bei der Anschaffung neuer Technik und unterstützt sie bei der Schulung der Mitarbeiter, damit sie die neue Technologie auch einsetzen können.
Während die Wirtschaft in den Industriestaaten einbricht, wächst sie in China schon wieder. Was bedeutet das für die Weltwirtschaft? Verschiebt sich das Gewicht weiter Richtung Asien?
China wird im nächsten Jahr sicherlich sehr viel mehr zum Wachstum der Weltwirtschaft beitragen als bislang. Das liegt allein schon daran, dass das Land keine zweite Coronawelle erlebt hat. Trotzdem ist auch in China nicht alles perfekt.
Die Probleme sind dort heute die gleichen wie vor der Pandemie: Die Volksrepublik will nicht mehr die Werkbank der Welt sein. Sie will sich weiterentwickeln zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Auch will der Staat den privaten Konsum stärker ankurbeln, statt wie bislang vor allem auf Investitionen durch Staatskonzerne zu setzen. Das dauert aber.
Können die Industriestaaten nach der Pandemie wieder zu China aufschließen oder behält die Volksrepublik diese Vormachtstellung?
Das hängt davon ab, ob die Industriestaaten die Krise nutzen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Wenn Firmen und Angestellte jetzt fit für das 21. Jahrhundert gemacht werden, können die Industriestaaten wirtschaftlich wieder aufholen. So gesehen ist die Krise durchaus eine Chance zur Modernisierung.
Solch eine Modernisierung kostet allerdings und die Staatsverschuldung steigt schon jetzt enorm an.
Das ist richtig. Allerdings darf 2021 kein Jahr des Sparens werden. Erst wenn die Krise vorbei ist, kann man die Ausgaben zurückfahren und gegebenenfalls die Steuern erhöhen. Sonst läuft man Gefahr, die Wirtschaft zu früh wieder abzuwürgen.
Viele Entwicklungsländer dürften sich mit der Rückkehr zur Normalität deutlich schwerer tun als Industriestaaten. Wie können die reichen den ärmeren Ländern jetzt helfen?
Das fängt schon bei der Verteilung des Impfstoffs an, bei der die Industriestaaten nicht nur an sich denken dürfen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Schuldenmoratorium, das zu Recht gerade verlängert worden ist. Langfristig würde Entwicklungsländern auch eine globale Reform der Unternehmensbesteuerung helfen, bei der die Gewinne dort besteuert werden, wo die Kunden sitzen.
Und zuletzt müssen wir auch die globalen Lieferketten im Blick behalten. Statt mehr Protektionismus brauchen wir auch in Zukunft einen freien Warenverkehr.
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