Digitalisierung: Rathaus der Zukunft nicht in Sicht
Bei der Digitalisierung der Verwaltung tut sich nicht viel in Berlin. Obwohl die Bürgerämter überlastet sind und die Wartezeiten viel zu lang.
Der nächste freie Termin ist Dienstag, der 19. Januar 2016. Wer seinen Personalausweis früher verlängern muss, hat Pech gehabt – jedenfalls wenn er sich auf den elektronischen Kalender der Berliner Verwaltung verlässt. Die Länge der virtuellen Warteschlange vor den Bürgerämtern ist inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Personell ausgedünnt und chronisch überlastet könnte das Internet die Rettung für die Verwaltung bringen.
Doch von den fünf Diensten, die Bürger am häufigsten bei der Berliner Verwaltung nachfragen, können sie genau einen online erledigen: eine Firma gründen. Ausweis und Reisepass beantragen oder sich ummelden – für diese Leistungen müssen sich die Betroffenen selbst auf den Weg machen.
E-Government gibt es kaum
Experten wie Jens Fromm finden das zum Teil nachvollziehbar. Wer beispielsweise einen Ausweis beantragt, müsse sich schon aus rechtlichen Gründen eindeutig identifizieren, also persönlich erscheinen. Aber: „Warum zum Beispiel kann ich die Anwohnerparkplakette nicht komplett online abwickeln?“, fragt Fromm, der das Kompetenzzentrum Öffentliche IT (Öfit) am Fraunhofer Fokus- Institut in Berlin leitet.
In einer aktuellen Studie haben er und seine Kollegen untersucht, wie weit die deutschen Verwaltungen bei der Digitalisierung sind. In Berlin ließen sich etwas mehr als 20 Verwaltungsanträge mit elektronischer Unterstützung wahrnehmen, sagt er. Angesichts von rund 4400 Einträgen, die sich im Leistungskatalog der deutschen Verwaltung finden, sei das „traurig“.
Fast noch trauriger sei es, dass Berlin mit diesem Ergebnis beim E-Government hierzulande durchaus zur Spitze zählt. „Im Vergleich zu vielen Kommunen steht Berlin tatsächlich gut da.“ Allerdings seien Stadtstaaten wie Hamburg, Bremen und eben Berlin wegen ihrer hohen Verwaltungsdichte nur bedingt vergleichbar mit kleinen Städten und Gemeinden. Zentrales Ergebnis der Studie: Mit elektronischer Hilfe erbrachte Bürgerdienstleistungen – kurz E-Government – sind Mangelware. „Wir waren schockiert: Faktisch gibt es wirksames E-Government nicht.“
Das sogenannte Rathaus der Zukunft
Dabei sind die technischen Voraussetzungen für digitale Bürgerdienste nach Einschätzung von Fachleuten durchaus vorhanden. Die Bundesdruckerei stellte gerade gemeinsam mit dem Fraunhofer Fokus und der Universität der Künste das sogenannte Rathaus der Zukunft vor. Über eine geschützte Plattform könne die Verwaltung datensicher mit Bürgern in Verbindung treten und umgekehrt. So könnten etwa bei der Geburt eines Kindes alle Verwaltungsakte zu einem interaktiven Verwaltungsangebot für die Eltern zusammengefasst werden, sagt Manfred Paeschke, Innovationschef bei der Bundesdruckerei. „Das spart den jungen Eltern Zeit und der Verwaltung Kosten.“ Nun sucht die Bundesdruckerei eine Behörde oder Kommune, mit der sie die Plattform erproben kann.
Ob unter den möglichen Testkandidaten Berlin eine Rolle spielt, sagt Paeschke nicht. Er lobt jedoch „ausdrücklich die Bemühungen des Regierenden Bürgermeisters, die Verwaltung in Berlin digitaler, effizienter und moderner zu gestalten“. Der Senat hat erst kürzlich einen Gesetzentwurf für ein Berlin E-Government-Gesetz vorgelegt, über den das Abgeordnetenhaus erst noch beraten muss.
Unabhängig vom Erfolg oder Misserfolg des Entwurfes gibt es aber in der Praxis eine Reihe von Hürden. „Speziell in Berlin behindern mehrere Faktoren einen schnelleren Ausbau“, sagt Öfit-Leiter Fromm. „Es wird zu stark in Bezirken gehandelt. Dadurch gibt es kaum gemeinsame Softwareanwendungen. Es fehlt also an einem gemeinsamen übergreifendem politischen Willen.“ In dem Zusammenhang fordert er eine Stärkung des landeseigenen Rechenzentrums ITDZ, wenn es um die Anschaffung neuer Technologie und die Entwicklung gemeinsamer Softwareanwendungen geht. „Wir brauchen in Berlin eine starke zentrale IT-Steuerung, sonst wird es nicht gehen“, sagt ITDZ-Vorstand Konrad Kandziora. „Wir haben ein IT-Gesetz, darin ist die Rede von IT-Arbeitsplatz, E-Akte und Serverkonsolidierung. Da sage ich: Papier ist geduldig.“ Geduldig sind eben auch die Verwaltungen selbst. Denn wer wegen einer effizienten IT seine Kunden schneller bedienen kann, entzieht sich damit selbst ein Stück Daseinsberechtigung.
Start-Ups könnten Impulse geben
Der Nutzer müsse in den Fokus der Verwaltungen rücken, meint Öfit-Leiter Fromm. „Hier könnte vielleicht auch die Berliner Start-up-Szene sinnvolle Impulse geben, in dem sie bestehende Verwaltungsprozesse durchleuchtet.” Die Gründer haben diesbezüglich so ihre eigenen Erfahrungen gemacht. „Aus unserer Sicht kommt E-Government nicht in Gang, weil die Verwaltungsstrukturen nicht offen für Neues sind“, sagt Hans Christian Heinemeyer. Sein Unternehmen ePortrait hat einen Weg gefunden, mit dem Bürger Bilder für alle denkbaren Ausweise am heimischen Rechner aufnehmen und an die entsprechende Behörde weiterleiten können. Ein Abteilungsleiter einer Berliner Verwaltung sei begeistert von der Idee gewesen und habe sich für sie eingesetzt, erzählt Heinemeyer. Letztlich sei er aber an internen Widerständen gescheitert.
Die Innenverwaltung hatte zwar zugesagt, ihre Sicht zum Stand des E-Governments darzulegen. Ein Gespräch mit dem zuständigen Innenstaatssekretär Andreas Statzkowski kam trotz mehrfacher Anfrage dann aber doch nicht zustande. Begründung: Terminschwierigkeiten.
Mitarbeit: Alexander Riedel