15 Jahre Liberalisierung: Privatkunden sind die Verlierer des freien Strommarktes
Auf einem Kongress der Energiewirtschaft in Berlin haben sich Ex-Politiker und Unternehmer gegenseitig Fehler bei der Liberalisierung der Strommärkte vorgeworfen. Die Preise steigen dabei weiter - allerdings nur für die Privatkunden
Es kommt nicht oft vor, dass Politiker und Beamte ihr Scheitern eingestehen. Am Dienstag kam es in Berlin beim Jahrestreffen der Energiewirtschaft gleich mehrfach dazu. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums hatte der Veranstalter, das „Handelsblatt“, ehemalige Protagonisten der Energiemarkt(de)regulierung zu einer Diskussion eingeladen, darunter den ehemaligen „Superminister“ Wolfgang Clement (ehemals SPD) und Ulf Böge, den langjährigen Präsidenten des Kartellamtes. Sie räumten ein, dass der Energiemarkt auch 15 Jahre nach Beginn der Liberalisierung im April 1998 nicht viel mit Wettbewerb zu tun hat. Wofür also das Ganze?
„In Folge der Liberalisierung hatten wir Preisreduzierungen von bis zu 40 Prozent – ohne, dass die Energieversorger Gewinne eingebüßt haben“, sagte Böge. Das sei doch ein Erfolg, meinte er. Stadtwerke-Manager Dieter Attig entgegnete, Strom sei nur auf den Großhandelsmärkten billiger geworden. Die Endkundenpreise seien aber gestiegen, „weil es einen funktionierenden Wettbewerb hier nicht gibt“. Letzteres sieht auch Böge so.
Für Haushalte hat sich der Strompreis von rund 15 Cent im Jahre 1998 auf nun deutlich über 26 Cent je Kilowattstunde verteuert, also bald verdoppelt. Von den mittlerweile 1015 Stromanbietern, die Ende 2012 Strom verkauften, haben 740 ihre Preise zum Jahreswechsel erneut um durchschnittlich zwölf Prozent erhöht. 74 werden bis März nachziehen, wie das Verbraucherportal Toptarif jetzt meldete.
Diese Versorger geben ihren Kunden nur die vordergründige Erklärung: Die Umlage für die Erneuerbare Energien sei zum Jahreswechsel erneut um 40 Prozent auf nun 5,3 Cent je Kilowattstunde gestiegen. Die anderen Preisbestandteile, die Strom über die Jahre verteuert haben, erwähnen sie nicht. Die Antwort der Politik auf diese unschönen Nebenwirkungen der Liberalisierung und der Energiewende lautet: Mehr Liberalisierung! „Wir sind damals sehr vorsichtig vorgegangen, weil wir ja keinen EU-weiten Strommarkt hatten“, entschuldigte sich Clement, ehemals Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit. Er verwies auf die mächtigen staatlichen Energiekonzerne in Frankreich, die den deutschen Markt aufmischen wollten. „Also müssen wir heute alles tun, um die Liberalisierung EU-weit voranzutreiben.“
Widerspruch kam von Klaus-Ewald Holst, der den ehemaligen VEB Verbundnetz Gas über die Wende in die Privatisierung führte. Er sei ein Fan der Marktwirtschaft, habe aber bald gemerkt, dass auch diese stinke, wie einst die Schwefelschlote in der DDR. „Eon wurde gezwungen, sein Netz zu verkaufen. Käufer wurde ein holländisches Staatsunternehmen. Das soll investieren, sagt aber: Kein Geld da. Da kommt heute der deutsche Wirtschaftsminister und sagt, wir müssen helfen“. Das habe doch mit Marktwirtschaft nicht zu tun, polterte Holst.
So warfen sich in Unternehmer und Politiker a. D. gegenseitig vor, nicht der reinen Lehre der Marktwirtschaft vertreten zu haben – so als hätte das den extremen Anstieg der Strompreise verhindert. Die heutige Generation der Akteure gelobte auf der Konferenz artig Besserung. So bekräftigte der gut aufgelegte Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) die Absicht, noch vor der Wahl eine Total-Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vorzustellen. Man müsse weg von den über 20 Jahre garantierten Vergütungssätzen, hin zu flexiblen Quoten, die es dem Versorger überlassen, mit welcher Technologie er Grünstrom erzeugt.
Beifall für Röslers ordnungspolitischen Prinzipien gab es von EU-Energiekommissar Günther Oettinger(CDU). Er wusste auch zu berichten, wie sich andere Länder die Förderung klimafreundlicher Stromerzeugung nach dem deutschen Vorbild vorstellen. So setze Großbritannien jetzt voll auf Kernkraft und feste Vergütungssätze für Atomstrom. Der Milliardenauftrag zum Bau der Kraftwerke solle übrigens an Areva gehen – den französischen Staatskonzern, verriet Oettinger.
Kevin P. Hoffmann