Entschädigungen in Bangladesch: Primark kontrolliert jetzt jede Fabrik
Primark-Chefjurist Paul Lister will in allen Textilfabriken in Bangladesch, mit denen er zusammenarbeitet, die Bausicherheit kontrollieren. Im Interview spricht er über Entschädigungen für die Opfer der eingestürzten Fabrik in Dhaka und die Eröffnung sowie Expansionsvorhaben.
Herr Lister, vor zwei Wochen haben Demonstranten Farbbeutel auf den Primark-Laden in Frankfurt am Main geworfen, um gegen die Ausbeutung von Näherinnen in Bangladesch zu protestieren. Sind Sie noch gerne bei dem Unternehmen?
Natürlich. Ich bin stolz, für Primark zu arbeiten und seit der Katastrophe von Rana Plaza …
… wo im April ein marodes Fabrikgebäude eingestürzt ist und mehr als 1100 Arbeiter unter sich begraben hat …
noch mehr.
Warum das denn?
Wir haben als erstes Unternehmen zugegeben, dass wir in dem Gebäude produziert haben. Wir haben den Opfern als erste Firma Entschädigungen angeboten. Und – so weit wir wissen – waren wir die die Einzigen, die Nahrungsmittel gespendet und den Betroffenen eine schnelle Überbrückungshilfe bereitgestellt haben. Außerdem haben wir als erstes britisches Unternehmen das Abkommen zum Brandschutz- und zur Gebäudesicherheit unterschrieben …
… dem auch deutsche Firmen wie C&A oder Tchibo beigetreten sind.
Wir haben eine Menge gemacht und das meiste freiwillig. Ich finde, wir haben gut reagiert. Ich bin wirklich stolz auf unser Unternehmen. Jedoch müssen wir noch mehr tun, und das wissen wir auch.
Also kann sich eine solche Katastrophe wiederholen?
Ich hoffe nicht. Wir arbeiten in Bangladesch mit 100 Fabriken zusammen. Wir kontrollieren jetzt in all diesen Fabriken die Bausicherheit, parallel zu den Untersuchungen, die die Internationale Arbeitsorganisation durchführt. Das hat höchste Priorität. Wir beginnen mit den größten Standorten, werden aber jede einzelne Fabrik unter die Lupe nehmen.
Ein bisschen spät. Immerhin haben westliche Firmen lange Zeit davon profitiert, dass die Arbeitskosten niedrig waren. Oder wie kann Primark sonst T-Shirts für 2,50 Euro verkaufen?
Wie teuer eine Ware im Laden ist, sagt nichts darüber aus, unter welchen ethischen Umständen sie produziert worden ist. In denselben Fabriken, in denen wir unsere T-Shirts für 2,50 Euro nähen lassen, lassen unsere Konkurrenten T-Shirts für zehn Euro oder sogar 30 Euro herstellen – in denselben Fabriken, von denselben Frauen. Und diese Firmen zahlen nicht etwa höhere Löhne als wir! Ich behaupte sogar, unsere Ware ist fairer hergestellt, weil wir genauer hinschauen und uns ethische Fragen wichtig sind. Wir sind ein führendes Mitglied in der Ethical Trade Initiative, in der Unternehmen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen – NGOs – zusammengeschlossen sind. Noch mal: Der Ladenpreis ist kein Indikator dafür, ob Ware unter fairen Bedingungen produziert worden ist.
Sondern?
Der Verkaufspreis hängt von anderen Dingen ab. Wir kaufen günstig ein, weil wir große Mengen abnehmen, lange im Voraus ordern und unsere Lieferanten schnell bezahlen. Wir machen keine Werbung. Deshalb sind unsere Preise so niedrig. Abgesehen davon glaube ich nicht, dass die Arbeiterinnen in Bangladesch in der Weise ausgebeutet werden, wie wir das im Westen gemeinhin annehmen.
Wie denn dann?
Niemand wird gezwungen, in der Fabrik zu arbeiten. Die Frauen kommen freiwillig aus den Dörfern nach Dhaka, weil das Leben auf dem Land weit härter ist: ein bäuerliches Leben am Existenzminimum. Die Anforderungen in der Textilindustrie sind hoch, aber die Alternative dazu ist keineswegs besser.
Wie können Sie kontrollieren, dass Ihre Lieferanten Sozialstandards einhalten? Oft geben Ihre Vertragspartner Aufträge weiter an Subunternehmer.
Das kann passieren, aber es ist eher selten. Wir tun unser Möglichstes und arbeiten intensiv mit lokalen Teams zusammen, um das zu kontrollieren. Durch NGOs und durch unsere eigenen Mitarbeiter versuchen wir, hier vorzubeugen.
Disney hat nach der Katastrophe von Rana Plaza angekündigt, nicht mehr in Bangladesch produzieren zu wollen.
Ein Riesenfehler! Nach den Terroranschlägen von 9/11 haben sich viele westliche Firmen aus Bangladesch zurückgezogen, und für die Frauen vor Ort war das eine Katastrophe. Vier Millionen Menschen leben von der Textilproduktion, 80 Prozent der Exporte sind Textilien. Wir müssen in Bangladesch bleiben.
"Wir mussten den deutschen Markt erst einmal kennenlernen."
Kommen die meisten Ihrer Kleidungsstücke aus Bangladesch?
Nein, nur rund zehn Prozent werden dort produziert. Das meiste wird in China hergestellt, wir lassen aber auch in Indien, der Türkei und Osteuropa fertigen. Sogar in Großbritannien. Wenn sich ein Kleidungsstück super verkauft, produzieren wir es in Großbritannien nach, das geht schneller.
Wie teuer wären Ihre T-Shirts, wenn Sie sie ausschließlich in Großbritannien oder Deutschland fertigen ließen?
Die Löhne wären nicht das Problem, denn der Lohn hat nur einen geringen Einfluss auf den Gesamtpreis. Es kommt auf die Kapazitäten an – und auf die Optimierung der Produktivität. Zum Beispiel bestellen wir eine Million Jeans in einer bestimmten Farbe und einem bestimmten Schnitt. Nach den ersten 10 000 Stück kann die Fabrik diese Jeans optimal herstellen, die Produktivität ist hoch. Die Lieferanten lieben das, und wir bekommen gute Preise. In Deutschland könnte niemand solche Mengen produzieren.
Wie viel verdient eine Näherin in Bangladesch?
Eine Anfängerin bekommt 38 Dollar im Monat, eine erfahrene Kraft 100 Dollar. Aber Ärzte oder Lehrer verdienen auch nicht viel mehr. Die Löhne sämtlicher Arbeitskräfte in Bangladesch sind niedriger als die im Westen – aber auch die Lebenshaltungskosten. Prinzipiell haben wir kein Problem mit höheren Löhnen, wir würden sie begrüßen.
Sie haben den Opfern Entschädigungen versprochen. Was haben Sie gezahlt?
Wir haben begonnen, eine Nothilfe an alle Arbeiter auszuzahlen, die im Rana Plaza beschäftigt waren – auch für jene, die für unsere Wettbewerber produziert haben. Die langfristigen Hilfeleistungen werden noch ein paar Monate dauern. Wir müssen erst einmal untersuchen, wer die Betroffenen sind, was sie für Verletzungen haben und wie groß die Schäden sind. Diese Entschädigungen, die langfristig angelegt sind, zahlen wir dann auch nur den Menschen, die in dem Fabrikgebäude für die Zulieferer von Primark gearbeitet haben. Zudem stellen wir kurzfristige Überbrückungshilfen zur Verfügung – für alle, die in dem Gebäude tätig waren. Wir zahlen drei Monatsgehälter, allerdings nicht in bar und nicht auf einen Schlag, das wäre in einem Land wie Bangladesch für die Betroffenen zu gefährlich. Stattdessen eröffnen wir zusammen mit einer großen Nichtregierungsorganisation aus Bangladesch ein Bankkonto für jeden, der sich registrieren lässt, und überweisen das Geld. Die erste Rate haben wir in der vergangenen Woche überwiesen.
Wie viele Menschen haben sich registrieren lassen?
Bis jetzt über 2500.
Wie viel Profit machen Sie bei einem T-Shirt von unter drei Euro?
Unsere Gewinnmarge liegt zwischen zehn und zwölf Prozent. Das reicht uns. Wir haben eine ganz klare Strategie: Wir sind die mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis in der Einkaufsstraße, das ist unser erklärtes Ziel – notfalls auch auf Kosten unserer Gewinnmarge. Vor zwei, drei Jahren waren die Baumwollpreise hoch, aber wir haben unsere Preise trotzdem nicht erhöht. Das hat uns steigende Verkaufszahlen beschert. Jetzt sind die Baumwollpreise wieder gesunken, unsere Marge hat sich normalisiert und die hohen Verkaufszahlen sind geblieben.
Sind Ihre Verkäufe nach dem Unglück von Rana Plaza eingebrochen?
Nein, überhaupt nicht. Aber wir wissen, dass die Kunden sicher sein wollen, dass wir uns um unsere Arbeiter in den Zulieferfabriken kümmern.
Warum wurden die ersten deutschen Läden in Bremen und Gelsenkirchen eröffnet?
Wir mussten den deutschen Markt erst einmal kennenlernen, und das klappt besser in der Peripherie als am Alexanderplatz in Berlin. Wir gehen jetzt nach Frankreich, aber nicht nach Paris, sondern erst nach Marseille und Dijon und danach in die Außenbezirke von Paris. Den französischen Markt lernt man nicht auf den Champs-Elysées kennen.
Ihr Laden im Berliner Schlossstraßen-Center in Steglitz läuft gut und Sie wollten in diesem Frühjahr einen zweiten am Alex eröffnen. Warum hat das nicht geklappt?
Leider gab es einige Verzögerungen, die durch ein Problem mit der Immobilie entstanden sind. Primark arbeitet mit den maßgeblichen Stellen zusammen, um sicherzustellen, dass der Primark-Store am Alexanderplatz im Sommer 2014 eröffnet werden kann.
Paul Lister (49) ist Chefjurist bei Associated British Foods (ABF), der Mutter der Billigtextilkette Primark. Seit dem Unglück im April in Dhaka ist Lister als Chef-Aufklärer unterwegs und kümmert sich um die Kontrollen vor Ort und die Entschädigungen für die Näherinnen, die in Bangladesch zu Schaden gekommen sind. Primark bietet Kleidung zu extrem günstigen Preisen an und ist billiger als H & M und Zara. Primark lässt seine Kollektion überwiegend in China, aber auch in Bangladesch und Indien fertigen. Der irische Textildiscounter wächst – auch in Deutschland. Zehn Läden gibt es inzwischen, seit vergangenem Sommer auch einen in Berlin. Bei der Eröffnung im Juli hatten sich lange Schlangen gebildet, es gab tumultartige Szenen. Das Gespräch führte Heike Jahberg.
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