Diesel-Gipfel der Koalition: Politik darf Autobranche nicht aus der Verantwortung lassen
Am Montagabend will die Koalition über Diesel-Maßnahmen entscheiden. Industrie und Politik haben noch keine überzeugenden Antworten. Ein Kommentar.
Wie schön wäre es, wenn wir uns von Montagabend an das Wort Diesel-Krise abgewöhnen könnten. Wenn wir uns nicht mehr mit Hardware-Nachrüstung, Harnstoff-Katalysatoren und Fahrverboten beschäftigen müssten. Wir, die Autofahrer, Verkehrsteilnehmer, Stadtbewohner und Wähler, würden gerne einfach wieder durchatmen. In der Gewissheit, dass die Regierung in ihrem Koalitionsausschuss an diesem Montag einen Weg aus dem Diesel-Dilemma findet. So, wie es die Kanzlerin gesagt hat: Das kann nicht länger auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben werden, es muss jetzt eine Lösung her. „Unter der Maßgabe der Verhältnismäßigkeit“, fügte sie hinzu. Womit wir im Zentrum der Probleme angekommen wären.
Denn was ist verhältnismäßig in diesem Großkonflikt, der vor drei (!) Jahren mit dem VW-Betrug seinen Anfang nahm? Bis heute hat man das Gefühl, dass es die Bundesregierung selbst nicht weiß. Denn die Dinge sind aus dem Ruder gelaufen. Anfangs schien noch alles klar. Der VW-Konzern hatte Millionen Kunden, die Behörden und Anleger betrogen. Die Bösen saßen in Wolfsburg. Doch aus dem VW-Skandal wurde eine Diesel-Affäre der gesamten Autobranche, aus der Affäre ein Verkehrsproblem für Millionen Menschen in den Städten – und nach vielen ergebnislosen Gipfeltreffen hat es die Koalition immer noch auf ihrem Krisentisch.
Gesucht wird vordringlich ein Maßnahmenpaket, mit dem unmittelbar Fahrverbote vermieden werden: Hardware-Nachrüstungen, Kaufprämien, Rückkäufe. Gefragt ist aber zugleich eine Antwort auf die Frage, wie die immer größer werdende Enttäuschung von Millionen Verbrauchern (und Wählern) eingefangen wird, die sich nicht nur von den Unternehmen hintergangen fühlen, sondern auch von der Politik. Viele fragen sich, ob Verhältnismäßigkeit im Merkelschen Sinne nicht Rücksichtnahme und Abhängigkeit von den Interessen der Automobilindustrie und ihrer Lobbyisten bedeutet. Immer mehr Menschen bezweifeln, dass die Regierung den Mut und die Kraft hat, ein Zeichen zu setzen, eine Wende einzuleiten. Eine Verkehrswende vielleicht.
Es geht um Nachhaltigkeit
Denn darum geht es: Nachhaltigkeit. Ob die Kaufprämie des Herstellers XY nun 2000 oder 3000 Euro beträgt, mag kurzfristig relevant sein für eine Kaufentscheidung und die Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 2018. Selbst die technisch nicht trivialen Fragen der Hardware-Nachrüstungen sind ein Thema, das irgendwann erledigt sein wird. Doch was dann? Wohin soll die Reise langfristig gehen – mit oder ohne Diesel?
Die Industrie behauptet, alles werde gut, wenn nur genug Neuwagen auf die Straße kommen. Das mag aus deren Sicht sinnvoll sein. Und es ist sogar etwas dran. Ein neuer Wagen ist im Zweifel sauberer als ein alter. (Zwischenruf Umwelthilfe: Viele Euro-6-Diesel sind schmutziger als Euro-5-Diesel.) Vor allem aber lehrt die Vergangenheit, dass die Neuwagenflotte insgesamt immer größer und PS-stärker wird. Und damit in der Summe immer schädlicher für die Umwelt.
Im Dieselskandal ist nicht einfach ein Unfall passiert, sondern die Kunden wurden von der deutschen Autoindustrie vorsätzlich und böswillig betrogen. Die Schuldfrage dürfte also klar sein. Also ist auch klar, wer vollumfänglich für den Schaden aufzukommen hat [...].
schreibt NutzerIn gophi
Weder die Industrie noch die Politik haben bis dato überzeugende Antworten auf die Frage gegeben, wie wir den Verkehrs- und Mobilitätskollaps vermeiden. Stattdessen wird munter weiter produziert und das Blaue vom Himmel versprochen: Elektromobilität, autonomes Fahren, Digitalisierung. Klingt gut, kann man aber leider noch nicht kaufen. Und vielleicht würde es auch niemand kaufen. Denn nicht zuletzt treffen die Konsumenten die Wahl. Niemand zwingt ihnen schließlich die Geländewagen (jeder dritte Neuwagen!) auf. Big is beautiful, Hauptsache man sitzt bequem.
Die Politik müsste darauf reagieren – das Diesel-Drama bietet eine große Chance. Verspielen würde sie sie, wenn am Ende wieder Kompromisse stünden, die die Autoindustrie aus der Verantwortung entlassen. Oder wenn Rechnungen präsentiert werden sollten, die die Verbraucher oder Steuerzahler mitbezahlen müssen. Verhältnismäßigkeit im Diesel-Schlamassel heißt auch: Das Verursacherprinzip muss gelten.