Mindestlohn in Berlin: Pizzalieferanten gehen gegen Niedriglohn-Konkurrenz vor
Normalerweise kontrolliert der Zoll den Mindestlohn. Unternehmen wie Joey’s Pizza, Call a Pizza oder Smiley’s ziehen nun jedoch als Verein gegen Konkurrenten vor Gericht, die weniger als 8,50 Euro Stundenlohn zahlen. Die Gewerkschaft ist skeptisch.
Dass er sich keine Hoffnungen auf den Mindestlohn machen dürfe, wurde Manuel P. (Name geändert) schon im Bewerbungsgespräch in der Pizzeria deutlich gemacht. Für die Auslieferung werde er einen Stundenlohn von sechs Euro erhalten, die Touren müsse er mit seinem privaten Pkw fahren, teilte ihm sein künftiger Arbeitgeber mit. Das Geld werde er ihm am Ende jeder Schicht bar ausgezahlt.
Am Ende des ersten Arbeitstages ging Manuel P. nach vier Touren und drei Stunden Arbeit mit insgesamt 22 Euro nach Hause, also mit einem Stundenlohn von 7,33 Euro.
Seit dem 1. Januar 2015 gilt in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Doch die Mindestlohn-Hotline des Arbeitsministeriums registriert zunehmend Anrufe von Arbeitnehmern, die sich über Umgehungen beschweren. Aber auch Unternehmer ärgern sich über Wettbewerber, die den Mindestlohn nicht zahlen.
In der Gastronomie hat sich im September 2014 der Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs gegründet, dem Pizzalieferanten wie Joey’s Pizza, Call a Pizza oder Smiley’s angehören. „In der Gastronomie gibt es viele schwarze Schafe, die Schwarzarbeiter beschäftigen und keine Mindestlöhne zahlen“, sagt Hauptgeschäftsführerin Nicole Thomas. Wenn ein Unternehmen den Mindestlohn nicht zahle, könne es auch bei den Kunden niedrigere Preise verlangen. „Das führt zu massiven Wettbewerbsverzerrungen“, kritisiert die Anwältin. Seit Anfang des Jahres geht ihr Verband gegen solche Verstöße vor.
Vor dem Landgericht Berlin hat Thomas nun einen ersten Erfolg erzielt – mit Hilfe des Pizzaboten Manuel P. Er erklärte in einer eidesstattlichen Versicherung, zu welchem Lohn er beschäftigt worden war. In einer einstweiligen Verfügung untersagte das Gericht daraufhin der Berliner Pizzeria unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250 000 Euro oder einer Ordnungshaft, Arbeitnehmer unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns zu bezahlen. Anwältin Thomas hofft, dass sich davon mehr Unternehmer ermutigt fühlen, Missstände in ihrer eigenen Branche anzuprangern.
Wer Konkurrenten abmahnen will, braucht Zeugen
Wer Konkurrenten abmahnen will, benötigt allerdings Zeugen. „Wir sind auf Mitarbeiter angewiesen, die bereit sind, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben“, sagt Thomas. In der Gastronomie seien diese nicht immer einfach zu finden. „Viele Arbeitnehmer wehren sich nicht, die Arbeitgeber sitzen am längeren Hebel“, sagt Thomas. Um Mindestlohnverstöße aufzudecken, arbeitet der Verband auch mit einer Detektei zusammen. Bislang haben sich in zwei weiteren Fällen in Bayern und Schleswig-Holstein Unternehmen in einer Unterlassungserklärung verpflichtet, ihren Mitarbeitern künftig den Mindestlohn zu zahlen. Vor dem Landgericht Berlin ist außerdem eine weitere Klage gegen einen Pizzalieferanten anhängig.
Gewerkschaft NGG: sieht die Tätigkeiten des Vereins mit Skepsis
Bei der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten beobachtet man die Tätigkeiten des Vereins mit Skepsis. Die Vereinsmitglieder hätten sich in der Vergangenheit dadurch ausgezeichnet, nicht tarifgebunden zu sein und Niedriglöhne zu zahlen, sagte Sprecherin Karin Vladimirow. Der Verein verfolge lediglich den Zweck, Konkurrenz zu denunzieren. Unstrittig sein, dass Mindestlohnverstöße wettbewerbsverzerrend seien, sagt Vladimirow. „Allerdings ist es Aufgabe der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, Verstöße gegen das Mindestlohn-Gesetz zu ahnden.“ Die Landgerichte damit zu belasten, erscheine vor dem Hintergrund der gesetzlich fixierten Kontrolle durch die Zollbehörden „nicht notwendig".
Normalerweise kontrolliert der Zoll Mindestlohn-Verstöße
Im Fall der Berliner Pizzeria hat Hauptgeschäftsführerin Thomas auch den Zoll über den Mindestlohn-Verstoß informiert. Ob dieser Ermittlungen aufgenommen hat, weiß sie allerdings nicht. „Ich habe den Eindruck, dass der Zoll sich auf die Großen konzentriert. In der Gastronomie gibt es aber viele kleinere Betriebe“, sagt sie. Um den Mindestlohn wirksam kontrollieren zu können, habe der Zoll außerdem viel zu wenig Personal, kritisiert die Anwältin. Sie bleibt dabei: „Wenn wir fairen Wettbewerb durchsetzen wollen, müssen die Unternehmer das auch selbst in die Hand nehmen.“