Energiewende: Ökostrom reicht für alle privaten Haushalte
Im ersten Halbjahr gibt es eine Rekordmenge an erneuerbaren Energien aufgrund des Zuwachses an Windrädern. Jetzt klagt die Branche über den Ausbaudeckel.
Das Anfang Januar über das Land gezogene Sturmtief Burglind hat geholfen: Der Wind trug im ersten Halbjahr erheblich zum Rekord bei der Ökostromerzeugung bei. Erstmals haben die Erneuerbaren Energien in einem Halbjahr mehr als 100 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt. „Das ist ein Anstieg um rund 33 Prozent innerhalb von drei Jahren“, teile Eon am Montag mit. Der Konzern hat die Daten der Stromnetzbetreiber analysiert und die ins Netz eingespeisten Mengen gezählt. Insgesamt wurden in den ersten sechs Monaten 104,9 Milliarden kWh Grünstrom erzeugt, das waren neun Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. „Die erzeugte Strommenge könnte rein rechnerisch sämtliche Haushalte in Deutschland für ein komplettes Jahr mit Ökostrom versorgen“, schreibt Eon.
Zuletzt lag der Anteil der Erneuerbaren bei 36 Prozent
Im vergangenen Jahr trugen die Erneuerbaren Energien 36 Prozent zum Stromverbrauch bei, in diesem Jahr dürfte der Anteil bis knapp 40 Prozent steigen – das hängt indes vom Wetter ab und von den zusätzlich installierten Anlagen. Die aktuelle Bundesregierung strebt einen Anteil von 65 Prozent bis 2030 an.
Von den 105 Milliarden kWh im vergangenen Jahr erzeugten Windräder am Land mit knapp 46 Milliarden den weitaus größten Anteil und gut sechs Milliarden mehr als 2017. Die Windräder auf hoher See kamen auf neun Milliarden kWh (Vorjahreszeitraum: 8,5 Milliarden). Solaranlagen produzierten im ersten Halbjahr 21,4 (19,8) Milliarden kWh und damit nur unwesentlich mehr als Biomasse mit 20,2 (20,4) Milliarden. Allerdings ist bei der Fotovoltaik zu bedenken, dass viel Sonnenstrom direkt zu Hause verbraucht und nicht eingespeist und statistisch erfasst wird. Mit 8,4 (7,1) Milliarden lag die Wasserkraft auf dem letzten Platz der regenerativen Energien.
1800 neue Windräder auf dem Land
Auf den ersten Blick überrascht der deutliche Anstieg beim Windstrom, weil die Branche der Windanlagenbauer und -betreiber seit vielen Monaten über restriktive Ausbauvorgaben meckert. Der Windverband begründet den Anstieg zum einen mit den windarmen Monaten Anfang 2017, dadurch sehe das erste Halbjahr 2018 vergleichsweise gut aus. Und zum anderen seien in den letzten Jahresmonaten 2017 noch viele Windräder neu aufgestellt worden, deren Leistung dann in die Halbjahresstatistik 2018 einfließe. Tatsächlich wurden 2017 mit 5333 Megawatt (MW), was knapp 1800 Windrädern entspricht, überdurchschnittlich viele Anlagen neu aufgestellt. In den Jahren zuvor waren es nur gut 4500 MW. In diesem Jahr erwartet die Windbranche nur noch 3800 MW und 2019 liegt dann der von der Politik gesetzte Deckel bei Onshore-Wind bei 2800 Megawatt.
Die Regierung plant eine Sonderausschreibung
„Die staatlich verordnete Beschränkung des Marktes bringt Herstellern und Zulieferern große Probleme“, heißt es beim Windverband. Doch die Branche hofft jetzt auf die große Koalition. Im Vertrag von Union und SPD betonen die Regierungsparteien die Notwendigkeit einer deutlichen Erhöhung der Erneuerbaren, „auch um den zusätzlichen Strombedarf zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr, in Gebäuden und in der Industrie zu decken“. Dazu dürfen zusätzlich zu den gedeckelten Ausbaumengen Sonderausschreibungen erfolgen, „mit denen acht bis zehn Millionen Tonnen CO2 zum Klimaschutzziel 2020 beitragen sollen“. Konkret sieht die Regierung jeweils vier Gigawatt Onshore-Windenergie und Fotovoltaik sowie einen Offshore-Beitrag vor, der nicht konkretisiert wird. Dafür ist die Zeitvorgabe präzise: Der zusätzliche Ausbau soll je zur Hälfte 2019 und 2020 wirksam werden. „Voraussetzung ist die Aufnahmefähigkeit der entsprechenden Netze“, heißt es einschränkend im Koalitionsvertrag.
Es gibt zu wenig Leitungen
Die Übertragungs- und Verteilnetze sind der große Engpassfaktor in der Energiewende. Vergangene Woche legte die Expertenkommission der Bundesregierung in ihrem Monitoringbericht die Lücken offen: Die nach dem Energieleitungsausbaugesetz fertiggestellten 750 Kilometer liegen nach dem ersten Quartal mehr als 800 Kilometer hinter dem ursprünglichen Ziel zurück. Ohne deutliche Fortschritte beim Ausbau der Netze und bei der Entwicklung leistungsfähiger Speicher wird es einen weiteren Ausbauschub bei den Erneuerbaren Energien nicht geben können.
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