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Justiz- und Verbraucherminister Heiko Maas (SPD) hält Nudging für interessant.
© dpa

Justizminister Heiko Maas: „Nudging ist ein Stups in die richtige Richtung“

Mit kleinen Tricks will die Politik Verbraucher in die richtige Richtung schubsen. Das sogenannte Nudging ist ein kluger Mittelweg zwischen Überregulierung und Laissez-faire, meint Justizminister Heiko Maas. Ein Gastbeitrag.

Eine Straße bei Rot zu überqueren ist verboten und gefährlich. Und wenn man erwischt wird, muss man ein Bußgeld bezahlen. Kurzum: Es ist völlig unvernünftig. Trotzdem gehen täglich tausende Fußgänger bei Rot über die Straße. Um mehr Verkehrssicherheit zu erreichen, könnte man neben jede Ampel einen Polizisten stellen und die Bußgelder drastisch erhöhen. Aber das eine wäre nicht praktikabel und das andere nicht wirksam. Viel effektiver sind Fußgängerampeln, die mit einem „Countdown“ anzeigen, wann sie auf Grün umspringen. Modellversuche, etwa in Hamburg, haben gezeigt, dass sehr viel weniger Menschen bei Rot gehen, wenn sie wissen, wie lange sie noch warten müssen. Dies zeigt, dass sich politische Ziele manchmal viel wirksamer erreichen lassen, wenn der Staat nicht auf mehr Kontrolle oder Strafen setzt, sondern auf Verhaltenspsychologie.

Die geistigen Väter dieses politischen Steuerungsmodells sind die Harvard-Professoren Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein. „Nudge“ nennen sie ihr Konzept, also auf Deutsch: „Stups“. Es geht ihnen darum, den Menschen einen kleinen Stups in die richtige Richtung zu geben, ohne ihm die Entscheidungsfreiheit zu nehmen. Nudging ist der kluge Mittelweg zwischen staatlicher Bevormundung und Tatenlosigkeit, zwischen Überregulierung und Laissez-faire. Es ist ein zutiefst freiheitliches Modell, denn es setzt darauf, die demokratisch legitimierten Ziele einer Politik ohne Zwang und Verbote durchzusetzen. Natürlich können Fußgänger trotz Countdown-Ampel auch weiterhin bei Rot gehen, aber sie werden es erfahrungsgemäß seltener tun.

Menschen handeln nicht rational

Für die Verbraucherpolitik bedeutet Nudging, anzuerkennen, dass Menschen nicht stets rational handeln. Das Ideal der liberalen Theoretiker ist der homo oeconomicus, ein Mensch, der immer umfassend informiert, ausschließlich rational und immer zu seinem persönlichen Besten agiert. Wie das mit Idealen so ist – die Wirklichkeit sieht manchmal anders aus. Menschen gehen nicht nur bei Rot über die Straße, sie können als Verbraucher auch nur begrenzt Informationen verarbeiten, sie entscheiden sich vielfach spontan und für einen kurzfristigen Vorteil verdrängen sie oft langfristige Nachteile.

Wir alle sind tagtäglich vielen kleinen Nudges ausgesetzt, aber Produktdesigner, Werbewirtschaft und Verkaufspsychologen nennen das nicht so. Die deutsche Wirtschaft gibt jedes Jahr 25 Milliarden Euro für Werbung aus. Für den mündigen Verbraucher, der stets rational entscheidet, würde ein nüchternes „Produktinformationsblatt“ völlig ausreichen.

Was in vielen Bereichen unseres Alltages längst genutzt wird, sollte auch eine moderne Verbraucherpolitik nicht außer Acht lassen. Ein rational handelnder Mensch würde sein Girokonto nicht dauerhaft überziehen und horrende Dispo-Zinsen zahlen, sondern einen günstigen Ratenkredit abschließen. Trotzdem sind Dispo-Zinsen für viele Menschen zur Schuldenfalle geworden. Hier kann künftig ein sanfter Nudge helfen: In Zukunft sollen Banken von Kunden, die dauerhaft in den roten Zahlen stecken, nicht nur hohe Zinsen einstreichen, sondern ihnen auch eine Beratung über eine Umschuldung anbieten. Wer will, kann so tief im Dispo stecken bleiben, wie seine Bank es zulässt. Aber es ist zu erwarten, dass viele Bankkunden die Offerte dankbar annehmen werden.

Auch beim Datenschutz kann Nuding helfen

Auch beim Datenschutz sollten wir die Erkenntnisse der Verhaltenspsychologie nutzen. Kaum jemand möchte, dass seine persönlichen Daten im Internet, sein Surfverhalten oder der Inhalt seiner E-Mails wirtschaftlich ausgebeutet werden. Trotzdem widersprechen viele Nutzer solchen Datenzugriffen nicht. Sie scheuen den Aufwand, sich mit den Formalitäten auseinanderzusetzen, obwohl ihnen der Datenschutz wichtig ist. Warum verändern wir nicht die Entscheidungsarchitektur? Statt die Datennutzung durch einen Widerspruch auszuschließen, sollte vielmehr eine Zustimmung für sie nötig sein.

Nicht der Datenschutz erfordert dann Mühe und aktives Handeln, sondern die Datennutzung. Bei der Arbeit an der EU-Datenschutz-Grundverordnung setzt sich Deutschland für diese privacy by default, also für datenschutzfreundliche Voreinstellungen, ein. Datenschutz soll Standard werden, aber jeder behält die Freiheit, darauf zu verzichten und der erweiterten Datennutzung zuzustimmen.

Mit einem kleinen Stups in die richtige Richtung lässt sich manchmal mehr für Verbraucherinnen und Verbraucher erreichen als mit mehr staatlichem Zwang und Verboten.

Der Autor, Heiko Maas, (48) ist Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz und Mitglied im Bundesvorstand der SPD.

Heiko Maas

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