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Schwieriges Jahr: Bitburger hat zwar mehr Flaschenbier im Handel, aber weniger Bier vom Fass verkauft.
© imago/Manfred Segerer

Brauereien drängen auf Öffnung der Gaststätten: „Notfalls gibt es am Anfang erst Flaschenbier“

Die Gastronomie muss wieder öffnen, sagt Bitburger-Chef Axel Dahm. Die Gruppe hat ein schwieriges Jahr hinter sich. Andere hat es noch schwerer getroffen.

„Es ist ein Grundbedürfnis der Deutschen, beim Biere schlecht über die Regierung zu reden“, wusste bereits Reichskanzler Otto von Bismarck. Von Corona und Lockdown war damals noch keine Rede. Umso größer ist der Unmut heute. Das betrifft vor allem die Brauer, die vom Bier leben.

Weil Gaststätten geschlossen waren, Kongresse ausfielen und Fußballspiele ohne Publikum stattfinden, haben sie im vergangenen Jahr kaum Bier vom Fass verkauft. „Fassbier ist über Nacht unverkäuflich geworden“, sagt Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bunds. Seit dem erneuten Lockdown im November ist das heute noch so. Mit bitteren Konsequenzen: Weil inzwischen das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, müssen viele Brauereien ihr Bier verschenken oder wegschütten.

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Bitburger ist der größte Anbieter von Fassbier

Unter dem Shutdown leidet auch der größte Anbieter von Fassbier in Deutschland, die Bitburger-Gruppe. Zum Unternehmen gehören bekannte Marken wie Bitburger, König, Köstritzer und Licher, mit Benediktiner besteht eine Vertriebspartnerschaft. Der Umsatz mit der Gastronomie und im Veranstaltungsgeschäft ist im vergangenen Jahr um über 50 Prozent gesunken, berichtete Axel Dahm, Sprecher der Geschäftsführung, am Mittwoch. „Die Politik muss schnell in die Gänge kommen“, mahnt Dahm mit Blick auf die geringe Impfquote in Deutschland. 30 Prozent der Gastronomen werden nicht überleben, fürchtet er. Je länger der Lockdown dauert, desto schlimmer.

50.000 Partner hat Bitburger in der Gastronomie. Um ihnen durch die Krise zu helfen, hat die Braugruppe im vergangenen Jahr praktische Hilfe angeboten: von Checklisten für die Betriebsunterbrechung über Informationen zu den staatlichen Hilfen bis hin zu eigenen Liquiditätshilfen für Wirte und Hoteliers. Bitburger selbst hat keine Finanzhilfen vom Staat in Anspruch genommen. Parallel schaut man sich aber auch auf dem Markt um: Wenn interessante Marken Insolvenz anmelden müssen, will Dahm Zukäufe nicht ausschließen.

Lockdown: 30 Prozent der Gastronomen überleben das nicht, glaubt Axel Dahm.
Lockdown: 30 Prozent der Gastronomen überleben das nicht, glaubt Axel Dahm.
© imago images/Bildgehege

Im Januar ist der Bierabsatz um 28 Prozent eingebrochen

An Gelegenheiten wird es wahrscheinlich nicht mangeln. Denn für viele Brauer sieht es schlecht aus. Bereits im vergangenen Jahr war der Bierabsatz auf ein Rekordtief gerutscht, im Januar hat sich die Durststrecke fortgesetzt. Im Vergleich zum Vorjahr brachen die Verkäufe um 28,3 Prozent ein, meldet das Statistische Bundesamt.

300 deutsche Brauereien haben einen Brandbrief an die Politik geschrieben und auf ihre dramatische Situation hingewiesen. Die 1500 deutschen Brauereien seien bis auf wenige Ausnahmen bei den bisherigen Hilfsprogrammen leer ausgegangen, heißt es darin. „Die Hürden sind zu hoch“, sagt Eichele.

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Die meisten Brauer haben keine Hilfen bekommen

Die Hilfsprogramme würden den Besonderheiten der Branche nicht gerecht. Statt auf den Gesamtumsatz zu schauen, in dem auch der Verkauf von Flaschenbier im Handel enthalten ist, müsse die Hilfe an den verlorenen Fassbierabsätzen ansetzen. Weil die Gewinnmarge beim Fassbier deutlich höher ist als beim Flaschenbier, seien die wirtschaftlichen Schäden viel größer als die reinen Umsatzzahlen nahelegen, betont Eichele. Der margenschwache Flaschenbierabsatz im Handel könne die massiven Umsatzverluste im Gastgewerbe und im Export nicht annähernd auffangen.

Im Bundeswirtschaftsministerium verweist man darauf, dass die Corona-Hilfsprogramme branchenoffen sind. Brauereien würden genauso behandelt wie etwa Bäckereien. Bei der neuen Überbrückungshilfe können Brauer zudem verdorbene Ware in voller Höhe abschreiben. Die Branche beruhigt das nicht.

Lukrativer: Am Fassbier verdienen die Brauer mehr Geld.
Lukrativer: Am Fassbier verdienen die Brauer mehr Geld.
© imago images/photothek

Warsteiner-Marketingchef Christian Gieselmann fürchtet vor allem um die kleinen Marken und die geschlossenen Brauereigaststätten. „Damit wir unser Lieblingsbier wieder unbeschwert genießen können, ist es wichtig, dass die Brauereien ökonomisch stark genug bleiben, um den einzigartigen Geschmack ihrer Biere und die Verwurzelungen ihrer Brauereien in der Heimat zu sichern“, warnt er. Um Warsteiner selbst sorgt sich Gieselmann nicht.

"Wir gehen nicht unter", sagt der Bitburger-Chef

Auch Axel Dahm ist zuversichtlich. „Selbst wenn die Gastronomie das ganze Jahr geschlossen bleibt, gehen wir nicht unter“, versichert der Bitburger-Chef. „Wir sind nicht gefährdet“. Das liegt zum einen daran, dass das Familienunternehmen 2020 einen Strategiewechsel vorgenommen hat. Von Wernesgrüner hat man sich getrennt, König Pilsner konzentriert sich jetzt auf NRW, Hamburg und die deutschen Küsten. 132 Stellen wurden abgebaut. Was aber mindestens genauso wichtig ist: Im vergangenen Jahr konnte die Gruppe ihre Marktstellung im Handel deutlich verbessern.

Startklar? Die Wirte brauchen etwas Vorlauf.
Startklar? Die Wirte brauchen etwas Vorlauf.
© dpa

„Wir haben 2020 zum ersten Mal Marktanteile im Handel gewonnen“, berichtet Dahm. Obwohl die Marke Bitburger beim Fassbier einen Umsatzrückgang um 50 Prozent hinnehmen musste, lag wegen der gestiegenen Verkäufe im Handel der gesamte Umsatzverlust nur bei acht Prozent. Hinzu kommt, dass große Preisschlachten im Supermarkt ausgeblieben sind. Im Schnitt kostet ein Kasten Bier 13,50 Euro, 2019 waren es 13,30 Euro.

Der Neustart der Gastronomie braucht einen Vorlauf

Dennoch hofft Bitburger auf einen baldigen Start der Gastronomie – allerdings mit etwas Vorlauf. Damit die Schankanlagen gesäubert sind und genug Fassbier da ist, wären vier Wochen Anlauf gut, meint Rainer Noll, der bei Bitburger das Außer-Haus-Geschäft leitet. Dahm glaubt, dass Wirte das auch in zehn bis 14 Tagen schaffen. „Notfalls gibt es am Anfang erst Flaschenbier“.

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