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Erna Solberg im Interview: Niedriger Ölpreis lässt Norwegens Regierungschefin kalt

Kann sich Norwegen sozialen Wohltaten bei dem niedrigen Ölpreis noch leisten? Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg bleibt im Tagesspiegel-Interview gelassen. Auch die von Pegida inspirierten Demos in ihrem Land bereiten ihr kaum Sorgen.

Norwegen ist ein großer Geber der internationalen Impfallianz Gavi. Sie haben in Berlin 6,25 Milliarden norwegische Kronen (rund eine Milliarden US-Dollar) für fünf Jahre zugesagt. Warum?
Wir gehören zu den drei größten Gebern für Gavi. Das ist in Norwegen politischer Konsens. 2005/2006 gab es ein paar Diskussionen darüber, ob Impfungen das richtige Mittel sind, oder ob es effektiver wäre, Gesundheitssysteme in Nehmerländern zu stärken. Aber diese Diskussion hat aufgehört. Sechs Millionen gerettete Kinder sind eine große Leistung.
Nur durch Impfungen?

Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg, Ende Januar 2015 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.
Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg, Ende Januar 2015 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.
© dpa

Ich bin Ko-Vorsitzende der Beratergruppe des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon für die Milleniums-Entwicklungsziele (MDGs). Gavi trägt wirklich dazu bei, eines dieser MDGs zu erreichen: weniger Kinder sterben bevor sie fünf Jahre alt sind. Diese öffentlich private Partnerschaft ist die innovativste Idee, die im Gesundheitssektor in den vergangenen zehn Jahren entwickelt worden ist.
Norwegen spielt in der Entwicklungs- und Klimafinanzierung eine große Rolle. Bleibt das so, jetzt, wo die Ölpreise sinken?
Natürlich hängen die Zahlungen auch vom Wachstum der norwegischen Wirtschaft ab. Aber selbst mit niedrigeren Ölpreisen und einem niedrigeren Investitionsniveau in der Ölindustrie, rechnen wir immer noch mit Wachstum in diesem und im kommenden Jahr. Wir sind eine Wirtschaft im Übergang und versuchen, neue Unternehmen in anderen Wirtschaftsbereichen zu entwickeln als nur in den Öl- und Gasbezogenen. Wir sind stark von der deutschen Industrie abhängig. Wenn die deutsche Wirtschaft wächst, dann wachsen auch die norwegischen Nicht-Öl-Sektoren der Wirtschaft. Das ist alles miteinander verbunden.
Sie sprechen aber doch nicht nur über Erdgas, oder?
Nein. Wir sind ein großer Produzent von Kohlenwasserstoff-Produkten. Wenn Sie ein Auto kaufen, können sie feststellen, dass viele Teile von norwegischen Herstellern stammen. Die Sektoren außerhalb der Ölwirtschaft sind größer als viele Außenstehende denken. Wir haben auch andere Produkte und wir müssen unsere Wirtschaft weiter diversifizieren.

Sie haben ehrgeizige Entwicklungsziele.
Unser Wachstum bestimmt, wie viel Geld wir in Entwicklungspolitik investieren können. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, jedes Jahr ein Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts in Entwicklungspolitik zu investieren, die globale Vorgabe sind 0,7 Prozent. Ich glaube nicht, dass unsere Investitionen sinken werden. Aber wenn norwegische Krankenschwestern und Lehrer ihre Steuermittel in Entwicklungshilfe investieren sollen, dann möchten sie dafür auch eine faire Verteilung des Geldes sehen. Das sage ich auch allen Staats- und Regierungschefs aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Dazu gehört auch die Mobilisierung eigener Mittel wie beispielsweise eine faire Besteuerung. Aber ich denke, die norwegische Öffentlichkeit empfindet die Hilfszahlungen als richtig. Länder versuchen von unserer Erfahrung mit dem öffentlichen Öl-Fonds zu lernen, um ihre Einnahmen aus Rohstoffen besser zu verwalten.
Sie haben schon darauf hingewiesen: Wegen des fallenden Ölpreises wird weniger investiert. Wird das die norwegische Expansion in die Arktis stoppen?
Die hohen Produktionskosten sind für die gesamte Ölindustrie eine Herausforderung. Nicht nur in Norwegen. Das hohe Kostenniveau ist ein weltweites Problem. Die sinkenden Ölpreise setzen die Unternehmen unter Druck. Das bedeutet: Man muss neue Technologien einsetzen. Man muss effizienter sein. Norwegen verfügt über eine große technikbasierte Serviceindustrie und Prospektionsindustrie rund um die Ölindustrie. Vergangenes Jahr haben sich Ölkonzerne stark darauf konzentriert, ihre Kosten zu senken.
Was, wenn die Preise weiter sinken?
Wenn die niedrigen Preise über einen längeren Zeitraum so bleiben, werden marginale Ölfelder ein Kostenproblem haben und zunächst nicht entwickelt. Aber wir verfügen auch über sehr große Ölfelder mit einem sehr niedrigen Kostenniveau. Wenn wir weiter nach Norden gehen, müssen dafür neue Konzessionen ausgegeben werden. Diese Felder werden 2030 oder 2035 erst entwickelt. In Langzeitplanungen dürfte eigentlich kein Ölkonzern damit rechnen, dass das Preisniveau dauerhaft bei 50 Dollar pro Barrel (159 Liter) liegen wird. Bis 2030 wird der Preis wieder steigen. Die Firmen werden dann untersuchen müssen, ob es sich lohnt, diese Vorkommen auszubeuten.
Sehen Sie Risiken durch den Euro und die Turbulenzen in der Euro-Zone?

Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg mit Microsoft-Gründer Bill Gates Ende Januar 2015 auf einer Konferenz der Impf-Initiative GAVI in Berlin.
Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg mit Microsoft-Gründer Bill Gates Ende Januar 2015 auf einer Konferenz der Impf-Initiative GAVI in Berlin.
© Reuters/Fabio Bensch

Nicht für Norwegen direkt. Obwohl unsere Nicht-Öl-Sektoren stark von Schweden und Deutschland abhängen. Wenn die Eurozone die Konjunktur in Deutschland schwächt und das auf Schweden durchschlägt, dann hätte das auch Einfluss auf unsere Diversifizierung. Es gäbe weniger Sog von den beiden größten Ökonomien, mit denen wir außerhalb der Öl- und Gaswirtschaft am stärksten verbunden sind. Wir hoffen auf stabiles Wachstum in Deutschland. Schweden hat derzeit ein gutes Wachstum. Sie haben ein Problem mit Arbeitslosigkeit aber ihre Wirtschaft wächst ordentlich.
Wie hat sich der Angriff auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris auf die Debatte um den Islam ausgewirkt? Bei den Wahlen hat das eine große Rolle gespielt.
Es war bei unserer Wahl kein großes sondern ein sehr kleines Thema. Die Wahl 2013 drehte sich viel weniger um Einwanderung und Integration als die Wahlen 2009, 2007 und 2005. Ich war 2005 Integrationsministerin und in diesen Jahren war die Debatte groß. Ich denke, das hat sich wirklich verändert. Natürlich werden diejenigen, die islamophob sind, wieder lauter. Wir hatten ein paar kleine Demonstrationen, die von der deutschen Pegida-Bewegung inspiriert waren. Aber ich denke nicht, dass wir eine große Debatte über den Islam haben.
Worüber diskutiert Norwegen?
Es geht um Extremismus. Das ist ein großes Thema – wie in den meisten europäischen Ländern. Wie erreicht man, dass junge Leute Hoffnung für die Zukunft haben, wenn sie sich an unserer Gesellschaft beteiligen? Sonst werden sie womöglich romantisch und schließen sich radikalen islamistischen Bewegungen an. Wie mobilisieren wir unser gesamtes soziales Leben, um sicherzustellen, dass die Werte unserer Gesellschaft mehr Wert sind als die des „Islamischen Staates“? Und natürlich gibt es eine Diskussion darüber, was die richtigen Vorkehrungen sind, wenn es eine terroristische Bedrohung gibt. Aber ich denke, wir sind gut darin, diese Debatte von der übergreifenden Diskussion über Muslime und den Islam zu trennen. Wir reden darüber, wie wir den Terror bekämpfen und wie wir Selbstzensur verhindern. Damit diejenigen, die das Bedürfnis haben, die Kirche oder den Islam zu kritisieren, das tun dürfen, ohne unter massiven Druck zu geraten.
Sie scheinen da erfolgreicher zu sein.
In einer kleineren Gesellschaft ist die politische Korrektheit wohl einfach stärker.

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