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Unberührt. Google bietet sein mobiles Portemonnaie bislang nur in den USA an.
© picture alliance / dpa

Bezahlen mit dem Handy: Nicht anfassen

Mit neuer Technik werden Smartphones zu Geldbörsen. Doch das Bezahlen im Vorbeigehen ist noch kein Selbstläufer.

Es könnte alles so einfach sein. Statt wie bisher nach dem Einkauf umständlich nach Kleingeld im Portemonnaie zu wühlen oder nach der richtigen unter den vielen Plastikkarten zu suchen, zücken wir an der Kasse unser Smartphone. Vielleicht noch schnell die Geheimzahl eingeben, und schon wird der Betrag vom Konto abgebucht.

Mit Macht treiben derzeit Mobilfunkanbieter und Kreditkartenunternehmen in Deutschland diese Vision vom kontaktlosen Bezahlen voran. Die Deutsche Telekom hat kürzlich ihr Mobile Wallet, die digitale Geldbörse, in Zusammenarbeit mit Mastercard vorgestellt. E-Plus und die Targobank verkaufen seit Anfang des Monats Bezahlchips, die aufs Handy geklebt werden. Vodafone bereitet ebenfalls eine Lösung vor.

Die schöne neue Bezahlwelt basiert auf der Nahfunktechnologie (NFC), mit der Daten über kurze Distanz vom einem auf ein anderes Gerät verschlüsselt übertragen werden können. Neueste Smartphones wie das Galaxy 3 von Samsung haben die Technik bereits eingebaut, die breite Masse allerdings noch nicht. Deshalb bedienen sich die Anbieter bislang der Krücke mit dem Aufkleber. Er macht die Kunden lediglich glauben, dass sie mit dem Handy zahlen. Tatsächlich könnte man den Chip aber auch aufs Portemonnaie, den Fingernagel oder das Feuerzeug kleben. Der Effekt wäre der selbe. Erst 2013 sollen zum Beispiel bei der Telekom Lösungen folgen, die über die Sim-Karte direkt ins Telefon integriert sind. Das garantiere eine Datensicherheit, wie sie von Kredit- und EC-Karten bekannt sei, beteuert der Konzern.

Den Nutzern fehlt das Vertrauen

Dennoch sehen Experten im fehlenden Vertrauen der Nutzer in die neue Bezahlmethode eine Hürde. „Die meisten NFC- Systeme sind noch Prototypen“, sagt Marco Preuß, Sicherheitsexperte bei Kaspersky Labs. „Eine Aussage, wie anfällig die Technologie für Hacker ist, ist im derzeitigen Stadium schwer zu treffen.“ Tatsächlich dürfte es noch Jahre dauern, bis sich die neue Bezahlmethode etabliert.

Das IT-Marktforschungsunternehmen Gartner schätzt zwar, dass der Wert mobiler Zahlungen weltweit von derzeit etwa 170 Milliarden auf knapp 620 Milliarden Dollar im Jahr 2016 steigen wird. Der Anteil des kontaktlosen Bezahlens mittels Nahfunkübertragung werde bis dahin aber gering bleiben. SMS und Internet seien weiterhin die Hauptwege für das mobile Bezahlen.

Einer der Hauptgründe für die Zurückhaltung der Marktforscher ist, dass es in entwickelten Ländern bereits viele Wege gibt, seine Rechnung an der Kasse zu begleichen. „Hierzulande ist die Infrastruktur sehr gut, der nächste Geldautomat meist nicht weit weg, und die Deutschen zahlen lieber mit Bargeld als andere Nationen“, sagt Andreas Gentner von der Beratungsfirma Deloitte. Ulrich Binnebößel vom Einzelhandelsverband HDE sieht das genauso. Knapp 60 Prozent zahlten die Deutschen noch mit Bargeld, dann komme die EC-Karte, dann lange nichts. Kreditkarten würden anders als etwa in den USA von den Verbrauchern eher ignoriert. „Die Deutschen sind sehr eigen in ihren Gewohnheiten“, sagt Binnebößel und verweist auf den gescheiterten Versuch einiger Supermärkte, einen Einpackservice anzubieten. „Es war mehr Service, aber die Leute wollten das nicht.“

Experten rechnen am Ende mit drei bis vier großen Anbietern.

Die abwartende Haltung des Handels gegenüber dem kontaktlosen Bezahlen speist sich aber nicht aus dem Mitgefühl für den Kunden. Den Geschäftsleuten geht es vor allem um ihr eigenes Portemonnaie. Die neue Technik erfordert auch neue Kassensysteme, und für jede Zahlung auf virtuellem Weg müssen die Händler Gebühren im Centbereich an Banken und Kreditkartenunternehmen berappen. Kommen neue kostenpflichtige Zahlungswege hinzu, müssten diese günstiger sein als bisherige, damit sie für den Handel attraktiv würden, sagt der Branchenvertreter. Die Sorge ist durchaus berechtigt, wollen Anbieter wie die Telekom doch nicht in erster Linie beim Endkunden kassieren. Vielmehr sollen Händler, die sich dem System anschließen, zahlen: etwa für Gutscheindienste, die sich damit realisieren lassen, und nicht zuletzt für die Kassenterminals, die die Telekom in die Läden stellt.

Das Kostenargument des Handels dürfte jedoch hinfällig werden, sobald sich der Markt bereinigt hat. Experten schätzen, dass es europaweit mehrere Dutzend Anbieter kontaktloser Bezahlsysteme gibt. Noch kommen täglich neue hinzu. „Wir rechnen mit drei bis vier Systemen, die sich am Ende durchsetzen“, sagte Thomas Kiessling, bei der Telekom zuständig für neue Produkte, bei der Vorstellung im Juli. Das Risiko, mit dem die Mobilfunker mit ihren Milliardeninvestitionen in den noch schwer einschätzbaren Markt drängen, ist vergleichsweise hoch. „In drei bis fünf Jahren sollte sich der Markt so konsolidiert haben, dass es noch drei, vier große Anbieter gibt“, sagt Deloitte-Experte Gentner. „Sonst wird sich kontaktloses Zahlen mit NFC nicht durchsetzen.“

In den USA haben sich jetzt ein gutes Dutzend großer Einzelhändler zusammengetan, um ein eigenes Bezahlsystem namens Merchant Customer Exchange (MCX) ins Leben zu rufen. Wal-Mart, 7-Eleven und andere reagieren damit auf die wachsende Konkurrenz etwa von Google. Vor knapp einem Jahr startete der Suchmaschinenkonzern sein Handyportemonnaie und treibt es voran. Das Wallet unterstütze nun alle Karten von Visa, Mastercard und American Express, teilte Google kürzlich mit.

Trotz der Zurückhaltung im Handel und bei den Verbrauchern – nur knapp jeder Fünfte in Deutschland würde nach einer Deloitte-Studie sein Smartphone derzeit zum Bezahlen nutzen – wächst auch hierzulande das Interesse der großen Handelskonzerne, die den Mobilfunkanbietern das Feld nicht einfach überlassen wollen. Otto kündigt für kommendes Jahr einen Service an, mit dem Kunden auch im Laden an der Ecke mit Funkchip zahlen können. Douglas bietet kontaktloses Shoppen bereits in seinen Parfümerien und Buchhandlungen an. Und im Großraum Hannover testen auch Sparkassen und Banken derzeit NFC-Karten.

Simon Frost

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