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Viele Computerspieler wollen zwar nicht Profis werden, aber sie wollen sich verbessern. Gamer-Kurse sind deshalb sehr beliebt.
© Bartosz Siedlik/AFP

Computerspiele: Nachhilfe für Zocker

Computer-Games im Netz erzielen milliardenhohe Umsätze. Immer mehr Spieler zahlen deswegen für einen Trainer.

Die virtuelle Insel ist ein einziger Trainingsparcours. Im frischen Grün stehen riesige Holztürme, Rampen und Labyrinthe, an denen die Spieler ihre Bau- und Kampfkünste perfektionieren können. Zwei Schüler, beide in martialisch-bunter Ausrüstung, folgen einem Coach, der Schritt für Schritt die Tricks des Spiels erklärt: Wie man einen Holzverschlag baut, um sich gegen feindlichen Beschuss zu schützen. Wie man blitzschnell einen Turm errichtet, um im folgenden Gefecht einen Höhenvorteil zu haben.

Der Parcours soll die Schüler auf das Spiel „Fortnite“ vorbereiten. Zum Einsatz kommt das digitale Trainingsgelände in den Kursen der Berliner Firma GamerLegion. Das Start-up hat sich auf Nachhilfeunterricht für Computerspieler spezialisiert. Für rund 50 Euro pro Stunde - der Preis fällt mit zunehmender Stundenzahl - können sich Interessenten von erfahrenen Coaches in die Feinheiten von „Fortnite“ einweihen lassen.

Beliebtester Spielmodus ist das sogenannte „Battle Royale“: Maximal 100 Spieler treten allein oder in kleinen Teams gegeneinander an, während das Kampfgebiet immer mehr zusammenschrumpft. Am Ende bleibt nur ein Spieler übrig: Darwinismus pur. In der Kritik steht der knallbunte Shooter nicht nur wegen seines Gewaltgehalts, sondern auch wegen seines hohen Suchtpotenzials: Der Tagesspiegel hat in den letzten Monaten mehrfach über die Faszination von „Fortnite“ berichtet.

Viele Spieler wollen sich verbessern

In jedem Fall zählt „Fortnite“ zu den erfolgreichsten Computerspielen der Welt: Im November vergangenen Jahres überschritt es die Schwelle von 200 Millionen Spielerkonten, mindestens 80 Millionen Menschen loggen sich monatlich auf PCs, Konsolen und Smartphones ein. Entwickler Epic Games hat mit „Fortnite“ eine Goldgrube gefunden. Das Spiel ist zwar zunächst kostenlos („free to play“). Doch mit dem Verkauf virtueller Kleidungsstücke, Tänze und „Battle Passes“ für zusätzliche Spielherausforderungen machte Epic im vergangenen Jahr rund drei Milliarden US-Dollar Gewinn.

Viele Computerspieler wollen sich verbessern - nicht nur in „Fortnite“. Die Gamer-Legion-Kurse sind deshalb sehr beliebt. Besonders deutlich merkte das Firmengründer Nicolas Reber während der Gamescom 2018 in Köln. An den fünf Messetagen coachte die Firma über 1000 Besucher. „Eine Viertelstunde war gratis, die Nachfrage war extrem hoch. Wir hätten da auch 5000 Stunden coachen können“, so Reber.

Bevor er GamerLegion 2017 gründete, war er selbst als E-Sportler im Taktik-Shooter „World of Tanks“ aktiv. Zunächst als professioneller Spieler, später auch als Coach von Anfängern und Profis. „Schon damals habe ich den Bedarf im Markt gesehen, dass Spieler sich verbessern wollen - über das reine Schauen von Videos oder Lesen von Guides hinaus“, sagt Reber.

Heute bietet GamerLegion nicht nur Coachings für Fortnite an, sondern auch für eine Reihe von weiteren Battle-Royale-Games. „Wir wählen unsere Coaches sehr genau aus“, betont Reber. Die meisten Nachhilfelehrer kommen selbst aus dem Profibereich - wie etwa Christopher „ChriZplosion“ Zerbe, der Spieler auf dem eingangs erwähnten Trainingsparcours coacht, bevor er gemeinsam mit ihnen ins Schlachtgetümmel eintaucht.

Die Zielgruppe ist zwischen 16 und 35 Jahre alt

Doch wer sind sie eigentlich, die Kunden von GamerLegion? 50 Euro pro Nachhilfestunde sind schließlich kein Pappenstiel. Ambitionen auf eine E-Sport-Karriere hätten nur die wenigsten Kunden, sagt Nicolas Reber - er schätzt ihren Anteil auf unter fünf Prozent.

Eine andere Zielgruppe sei stärker vertreten, so der Gamer-Legion-Chef: „Es gibt viele Gelegenheitsspieler, die unter großer Arbeitsbelastung stehen und nicht mehr viel Zeit fürs Spielen haben, aber trotzdem gut spielen möchten. Sie haben Interesse, sich einen Coach zu holen, weil das dann logischerweise viel schneller geht.“ Reber rechnet die Zeitersparnis vor: Wer sich das Türmebauen in Fortnite selbst beibringen wolle, müsse dafür locker 40 Stunden investieren. „Ein Coach kann das aber in einer Stunde erklären.“

Die meisten Nutzer von GamerLegion sind zwischen 16 und 35 Jahre alt. Bei Jugendlichen zahlen oft die Eltern den Kurs. „Sie wollen sicherstellen, dass ihre Kinder die Zeit am PC nicht nur verschwenden, sondern auch Ziele verfolgen und erreichen“, glaubt Reber. „Sie wollen auch das Interesse der Kinder am eigenen Ehrgeiz stärken.“

Der Start-up-Gründer vergleicht Fortnite-Training gar mit Reitunterricht oder dem Erlernen eines Musikinstruments: „Da ist Training Teil des Lebens. Das ist im Gaming-Sport auch der Fall.“ Dass Eltern das Gamer-Legion-Angebot mit Skepsis betrachten, kann Reber „nicht wirklich“ feststellen: „Vorbehalte gibt es eher gegenüber dem Hersteller des Spiels, nicht uns gegenüber.“

GoStudent verbindet Spielen mit Englischunterricht

Ein anderes Konzept verfolgt die Firma GoStudent aus Wien: Sie kombiniert klassische Nachhilfe mit einer Fortbildung in Fortnite. „Es gibt bei uns einen kostenlosen Hausaufgaben-Chat, bei dem Schüler sich gegenseitig helfen können“, sagt GoStudent-Mitgründer Felix Ohswald. „Außerdem gibt es den Video-Unterricht, in dem Lehrer in einem virtuellen Klassenzimmer Nachhilfestunden abhalten.“ Das Ganze läuft über eine Smartphone-App, die ständig um neue Funktionen erweitert wird. Jeden Tag gehen rund 4000 Schülerfragen auf dem Portal ein, pro Monat verzeichnet es rund 250.000 aktive Nutzer, eine Probestunde ist gratis.

„Bei uns geht es primär um klassischen Nachhilfeunterricht“, sagt Ohswald. Den Computerspiel-Aspekt sieht Ohswald als Bonus, um den regulären Nachhilfeunterricht noch spannender und interaktiver zu gestalten. „Wenn Sie zwei Nachhilfestunden Englisch pro Woche kaufen, dann kommen sie auf rund 19 Euro für die Stunde. Jede sechste Einheit ist dann eine Videospiel-Einheit“, erläutert Ohswald.

Die Fortnite-Stunden sind gleichzeitig Sprachunterricht. Auf die Idee dazu kam Ohswald durch Erzählungen von Mitarbeitern: „Im Schulunterricht haben sie eigentlich nie wirklich Englisch gesprochen. Als sie Strategiespiele, Ego-Shooter oder andere Games spielten, waren sie gezwungen, mit den Team-Mitgliedern Englisch zu sprechen.“

Derzeit beschäftigt GoStudent acht „Fortnite“-Nachhilfelehrer. Die meisten davon sind einfach gute Spieler, aber nicht zwangsläufig Profis. Gemeinsam mit ihren Schülern laufen sie durch „Fortnite“ und erklären, wie man Türme baut, wo man Waffen findet und wie man sich taktisch geschickt in den Kämpfen verhält - alles auf Englisch. Aus Sicht von Felix Ohswald nützt das allen Beteiligten: „Die Schüler freuen sich, dass sie sich in einer gewohnten Umgebung befinden. Die Eltern freuen sich, dass Videospiele auch mal einen sinnvollen, pädagogischen Charakter haben. Und wir freuen uns, weil wir dadurch Kunden gewinnen, die wir sonst vielleicht nicht hätten erreichen können.“

Ohswald will mit der Kombination aus Nachhilfe und Games frischen Wind ins Bildungssystem bringen. „Manche Eltern sagen: ,Mein Kind verbringt ohnehin schon so viele Stunden vor dem Smartphone oder der Spielkonsole, ich möchte nicht, dass es jetzt noch mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringt'“, sagt er. Das aber sei genau der Punkt, an dem GoStudent ansetze. „Wir möchten einen Weg anbieten, wie man den digitalen Bereich sinnvoll mit Lernelementen verknüpfen kann.“

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