Volkswagenkonzern in der Krise: Nach dem Piëch-Rücktritt geht einiges durcheinander
Europas größter Autobauer hat nicht nur einen Aufsichtsratsvorsitzenden verloren. Der Zwölf-Marken-Konzern sucht auch nach einer neuen Strategie – vor allem für die Kernmarke VW.
Wenn die Aufsichtsräte des Volkswagen-Konzerns an diesem Montag zusammenkommen, werden zwei von 20 Stühlen neu besetzt sein: Ferdinand Piëch und seine Frau Ursula fehlen, stattdessen nehmen Louise Kiesling (57) und Julia Kuhn-Piëch (34) Platz – zwei Nichten Piëchs. Der Porsche-Piëch-Clan hat seine Reihen nach der Revolte im Kontrollgremium wieder geschlossen. Noch grollt der „Alte“, wie sie Piëch nennen, zwar gegen die Neubesetzung. Doch bis auf Weiteres hat Ferdinand Piëch kein Mitspracherecht.
Berthold Huber, sein bisheriger Vize im Gremium, wird die Sitzung des Aufsichtsrats leiten. Womöglich ist es nur eine Momentaufnahme, denn Huber ist nach Piëchs Rücktritt nur kommissarisch im Amt. Doch die neuen, verschobenen Machtverhältnisse zeigen: Im VW-Konzern mit seinen fast 600 000 Beschäftigten geht einiges durcheinander, seit Piëch vergeblich versuchte, Martin Winterkorn als Vorstandschef zu demontieren.
Nach dem überraschenden Rückzug des Patriarchen vor einer Woche bemüht sich die VW-Spitze, den Eindruck von Normalität zu erwecken. Dabei halfen in der vergangenen Woche eine rauschende Party zur Eröffnung der neuen Konzernrepräsentanz in Berlin und ein Gewinnsprung in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres. Vor dem Mai-Feiertag kam noch eine Auszeichnung hinzu: Der Volkswagen-Konzern bleibt laut Center of Automotive Management (CAM) der innovativste Autokonzern der Welt.
Obwohl nun der Aufsichtsrat formal wieder vollzählig ist, bleibt die Frage, wer den Thron besetzen soll, den Ferdinand Piëch verlassen hat, weiter unbeantwortet. Die beiden Neuzugänge aus der jüngeren Familiengeneration dürften kaum infrage kommen. Stattdessen werden andere Familienmitglieder des Porsche- Piëch-Clans als Anwärter genannt: Der Piëch-Bruder Hans Michel wäre eine Möglichkeit, dessen Tochter Julia jetzt in den Aufsichtsrat aufgerückt ist. Oder sein Cousin Wolfgang Porsche. Aber auch über Kandidaten von außen wie den Ex-Linde- Chef Wolfgang Reitzle, Aufsichtsratschef des Autozulieferers Continental und erprobt in Top-Positionen in der Autoindustrie, wurde zuletzt diskutiert. Reitzle, den auch Piëch gerne als Nachfolger sähe, antwortete auf die Frage, was er zu den Spekulationen sage, am Donnerstag bei der Conti-Hauptversammlung: „Nichts“.
Investoren: Piëch-Nachfolge hat Priorität
Derweil dringen große VW-Investoren auf eine rasche Lösung: „Die Suche nach einem Nachfolger für Herrn Piëch an der Spitze des Aufsichtsrates hat aus Investorensicht jetzt höchste Priorität“, sagt Ingo Speich, Fondsmanager bei Union Investment, der Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. „Der ideale Kandidat braucht hohe Automobilexpertise und Autorität, sollte aber möglichst von außen kommen und neutral sein.“ Ähnlich sieht es Henning Gebhardt, leitender Aktienfondsmanager bei der DWS, der Fondsgesellschaft der Deutschen Bank: Die „Chance, endlich zwei unabhängige Aufsichtsräte in das Gremium zu bestellen“, wurde mit der Neubesetzung aus den Reihen der Familie allerdings vertan.
Kaum vorstellbar scheint indes, dass Ferdinand Piëch, der nach wie vor Miteigentümer des VW-Konzerns ist, seine Nachfolge im Hintergrund nicht beeinflusst. Seinen Sitz im Aufsichtsrat der Familienholding Porsche SE, an der er gut 13 Prozent hält, hat er bis jetzt nicht aufgegeben. Über die Holding besitzt der Porsche-Piëch-Clan 50,7 Prozent an VW. Piëch soll darüber hinaus auch ein VW-Aktienpaket direkt halten. Frank Schwope, Autoanalyst bei der NordLB, glaubt auch deshalb, dass „ weitere Interventionen des Porsche-Großaktionärs nicht überraschen sollten“. Gerüchte, dass Piëch seine Beteiligung an der Porsche SE verkaufen könnte, hält er für unglaubwürdig. „Wer verkauft schon sein Lebenswerk und das seines Großvaters?“
Piëchs Fundamentalkritik am Kurs von VW-Chef Winterkorn legt aber auch einen anderen Schluss nahe: „Warum sollte er bei der Porsche SE als Großaktionär dabei bleiben?“, fragt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Piëch habe die Befürchtung, dass Volkswagen mit Winterkorn in die falsche Richtung laufe. „Genau deshalb hat er den Machtkampf angezettelt.“ Er sehe die Gefahr, dass der VW- Konzern wirtschaftlich auf dem falschen Weg sei. „Denn Winterkorn konnte die Probleme der Kernmarke nicht lösen“, glaubt Dudenhöffer. Nicht nur machtpolitisch, sondern auch ökonomisch mache es „keinen Sinn mehr, als Ankeraktionär bei VW zu bleiben“.
VW verdient deutlich weniger pro Auto als Toyota
Wie auch immer sich Piëch entscheidet – in der ihm eigenen, schonungslosen Art hat er das VW-Management auf Probleme hingewiesen. Auch die an sich guten Quartalszahlen zeigen, dass bei der Kernmarke VW etwas passieren muss, die 2014 fast 100 Milliarden Euro Umsatz machte – also die Hälfte des Konzernumsatzes. Die operative Rendite lag zuletzt bei nur zwei Prozent; Toyota schafft zehn Prozent. Zwar verbesserte sich VW im Vergleich zum Vorjahreszeitraum etwas. Nach Berechnungen von Dudenhöffer verdienen die Japaner, die VW bis 2018 überholen will, aber deutlich mehr an jedem verkauften Auto. 2014 seien es 1647 Euro gewesen – VW komme nur auf 540 Euro. Selbst im eigenen Konzernverbund sieht VW nicht gut aus: Die Schwestermarke Skoda (Rendite: sieben Prozent) verdient laut Dudenhöffer mehr als doppelt so viel pro Auto.
Die erhofften Kosten - und Größenvorteile, die Volkswagen mit seiner Plattformstrategie erzielen wollte, fallen geringer aus als erhofft. Der schon 2012 eingeführte modulare Querbaukasten (MQB), auf dem ein Großteil der VW-Fahrzeuge beruht, wird von hohen Kosten an anderer Stelle neutralisiert: Personal, Vertrieb, Verwaltung, Vorprodukte. Für schnelle Abhilfe dürfte auch der neue VW-Markenvorstand Herbert Diess nicht sorgen. Die VW-eigenen, deutschen Komponentenwerke wird er nicht antasten, weil er damit den mächtigen Betriebsrat und das Land Niedersachsen gegen sich hätte. Die – zuletzt leicht erholten – Verkaufszahlen auf dem US- Markt kann er nicht drehen, solange die neuen, großen VW-Geländewagen nicht verfügbar sind.
Der Konzern dürfte vorerst weiter von den schönen Renditen seiner Luxusmarken zehren – vor allem von Audi und Porsche. Doch auch hier sanken 2014 die Gewinnmargen. Wie hatte Martin Winterkorn auf der Jahrespressekonferenz im März in Berlin gesagt: „Über dem Autojahr 2015 stehen große Fragezeichen.“