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Viele Berufstätige sind schon morgens müde, wenn sie zur Arbeit gehen.
© picture alliance / dpa

Arbeitswelt: Morgens immer müde

Die 24-Stunden-Gesellschaft fordert ihren Tribut: Acht von zehn Berufstätigen haben Schlafprobleme und sind bei der Arbeit schon morgens erschöpft.

Die alten Römer liebten es, herumzuliegen. So lasen, aßen und tranken sie. Der französische König Ludwig XIV. regierte vom Bett aus sogar sein Land. In beiden Epochen hatte Muße einen hohen Wert. Mit der Industrialisierung änderte sich das: Ab da war gut, was produktiv war – und schlafen wurde zur Zeitverschwendung. Was die Deutschen chronisch müde gemacht hat.

Acht von zehn Berufstätigen haben hierzulande Schlafprobleme. Sie liegen nachts wach, grübeln, wälzen sich hin und her. Nach einer aktuellen Umfrage der Krankenkasse DAK-Gesundheit sind das 66 Prozent mehr als vor sieben Jahren. Schwere Schlafstörungen quälen mittlerweile fast jeden Zehnten. Und so gehen Millionen Deutsche müde zur Arbeit. Sind schon morgens erschöpft.

Gründe für eine schlaflose Nacht können störendes Licht und Lärm auf der Straße sein, schwere Entscheidungen oder ein schlimmer Streit. Ein weiterer Faktor ist die Arbeit: Die Tatsache, dass jemand zu viel schaffen und Überstunden machen muss, sich um seine Stelle sorgt oder permanent erreichbar sein soll. „Wenn wir nachts noch E-Mails beantworten, schalten wir nicht nur nicht ab“, sagt der Biopsychologe Peter Walschburger, „wir zerstören auch unseren Tag-Nacht-Rhythmus.“ Neben Nachtarbeitern seien jene Arbeitnehmer stark betroffen, die unter einem hohen Termin- und Leistungsdruck stünden. Was keine Seltenheit ist: Bei der DAK-Umfrage gab fast ein Viertel an, häufig an die Grenze der eigenen Belastbarkeit zu kommen.

Schlaf wird zum Megathema

Dazu kommt, dass die Digitalisierung die Trennung zwischen Tag und Nacht vollkommen aufgehoben hat. Statt zu schlummern, kann der Mensch noch spät arbeiten. kommunizieren, konsumieren. So hat sich die durchschnittliche Schlafdauer selbst in den vergangenen 20 Jahren von acht auf sieben Stunden verringert.

Weil so viele das Bedürfnis haben, ausgeruhter zu sein, ist der vernachlässigte Schlaf für Trendforscher Harry Gatterer „ein Megathema“. „Die Geschichten von Politikern und Managern, die nur vier, fünf Stunden schlafen, passen in unsere Leistungsgesellschaft“, sagt er. Wenig schlafen gilt als schick. Zeugt von Strebsamkeit. Tatkraft. Viel schlafen tun nur Faulpelze. Dabei sagte der ehemalige US-Präsident Bill Clinton schon 2001: „Jeden wichtigen Fehler, den ich in meinem Leben gemacht habe, habe ich gemacht, weil ich müde war.“

Ein Teil der deutschen Gesellschaft hinterfragt allerdings schon länger die Orientierung nach Fleiß und Leistung. Er will zurück zur Muße. Langsamer, bewusster, analoger leben, lautet die Gegenreaktion. „Die Deutschen werden da ein bisschen gelassener“, sagt Gatterer. „Ausschlafen statt nicht schlafen wird zum Status.“

Unternehmen auf Erschöpfung

Für Unternehmen macht es schon aus Eigennutz Sinn, auf das Schlafbedürfnis der Beschäftigten einzugehen: Obwohl nur ein kleiner Anteil von fünf Prozent deswegen zum Arzt geht, nahmen die Fehltage wegen Schlafproblemen laut der DAK-Studie in den vergangenen sieben Jahren um rund 70 Prozent zu. Müde Mitarbeiter sind zudem unkonzentriert. Ihnen fehlt Energie, die ihr Körper nachts nicht aufbauen konnte. „Die Qualität des Schlafs bestimmt die Qualität der Arbeit“, sagt Walschburger. Vor allem die, die einen anspruchsvollen Job hätten, bräuchten eine erholsame Nacht. Um den Tag zu verarbeiten und neue Kraft zu sammeln.

Dass auch die Zeitumstellung bei manchen die „innere Uhr“ durcheinanderbringt, die dann vorübergehend müde und verstimmt sein können, sieht er als „eher vernachlässigbaren Effekt“. Der andauernde Schlafmangel sei das Problem.

Manche Unternehmen haben auf die Debatten um Erschöpfung und Ausgebranntsein – was mit dem Modewort des Burn-out-Syndroms einen eigenen Begriff bekam – reagiert: Volkswagen, Daimler und BMW haben beispielsweise eine strikte E-Mail-Sperre nach Feierabend verhängt. Andere Unternehmen haben bei sich einen Ruheraum eingerichtet. „Nur sind sich die meisten Mitarbeiter in Deutschland unsicher, ob eine Pause wirklich in Ordnung wäre“, sagt Gatterer. „Ein Raum ändert noch keine Kultur.“

Anders als in südeuropäischen Ländern ist der Mittagsschlaf in Deutschland unüblich. Gar verpönt. Geschlafen wird nachts. Es ist etwas Intimes, findet im Privaten statt. Nicht während einer Konferenz oder in der Bahn, wie es in Japan nicht ungewöhnlich ist. Dass die Deutschen bald auch mal während der Arbeit ein Nickerchen machen können, glaubt Gatterer nicht. Doch zumindest ist erkannt worden: Selbst Leistung geht nicht ohne Schlaf.

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