BMW expandiert in China: Mit Mao auf den größten Automarkt
BMW hat sein großes Werk in Shenyang für eine Milliarde Euro ausgebaut – und setzt auf die junge, zahlungskräftige Mittelschicht.
Zur Feier des Tages rezitiert ein chinesischer Mitarbeiter Schillers „Ode an die Freude“ – auf deutsch. Ein europäischer Kollege antwortet auf chinesisch – mit einem Mao-Gedicht. Kämpferisch recken die Männer die Fäuste in die Luft, eine Fanfare donnert in die aufgeheizte Halle, in der dicht gedrängt die Ehrengäste aus China und Deutschland sitzen. Dann singt der Werkschor und die Roboter tanzen zur Lasershow.
Mit großem Aufwand zelebrieren BMW und sein chinesischer Joint-Venture-Partner Brilliance die Erweiterung ihres Werks in Dadong/Shenyang, eine Flugstunde nordöstlich von Peking. Eine Milliarde Euro haben die Partner investiert, nach nur drei Jahren Bauzeit war der Standort fertig. Die 2003 gegründete BMW Brilliance Automotive (BBA) baut hier den neuen BMW 5er in der Langversion, die bei Chinesen sehr beliebt ist. Zusammen mit dem bestehenden Motorenwerk und dem Produktionsstandort im benachbarten Tiexi, wo unter anderem eine speziell für China entwickelte 1er-Limousine produziert wird, kann BBA jetzt mit 16 000 Mitarbeitern bis zu 450 000 Fahrzeuge pro Jahr bauen. „Es hängt vom Kunden ab, wie schnell wir ausgelastet sind“, sagt Oliver Zipse, BMW-Produktionsvorstand. „Wir sind da sehr zuversichtlich.“ Aber damit soll noch nicht Schluss sein. Der Konzern plant bereits eine zweite Werkserweiterung, die die Jahreskapazität auf 600 000 Fahrzeuge anheben würde.
Mercedes holt auf, Audi fällt zurück
„BMW ist in China zu Hause“, sagt Finanzvorstand Nicolas Peter. Seit 2009 hat BBA in Shenyang 4,8 Milliarden Euro investiert. „Ich bin sicher, dass auch 2017 ein erfolgreiches Jahr für uns wird.“ Ähnliche Sätze hört man auch bei den Wettbewerbern. Für sie alle ist China der wichtigste Markt, trotz des zuletzt schwächeren Wachstums. Aber was heißt schon schwach? Um 6,7 Prozent soll die chinesische Wirtschaft im laufenden Jahr zulegen, drei Mal so stark wie die Weltwirtschaft insgesamt. Mehr als jeden fünften BMW, Mini oder Rolls-Royce verkauft BMW in China. 2016 waren es mehr als 516 000 Fahrzeuge – ein Plus von gut elf Prozent. Mehr als 300 000 davon produzierte BMW vor Ort. Wettbewerber Audi verkaufte zwar mehr, wuchs aber wegen massiver Konflikte mit seinen Händlern deutlich langsamer. Mercedes setzte weniger als BMW ab, legte aber doppelt so schnell zu. Die Aufholjagd der Stuttgarter, die den chinesischen Markt lange vernachlässigt haben, lässt BMW nicht unbeeindruckt.
Alle deutschen Premiumhersteller zielen auf die wohlhabende, technikbegeisterte – und junge – Kundschaft aus dem schnell wachsenden Mittelstand. „Immer mehr Chinesen können sich etwas leisten“, sagt Olaf Kastner, Leiter des BMW-Vertriebs in China. Eine Studie prognostiziert, dass die chinesische Mittelschicht 2020 etwa 350 Millionen Menschen umfasst. „Das entspricht der Bevölkerung der USA“, sagt Kastner. Im gleichen Jahr werden 220 chinesische Städte mehr als eine Million Einwohner haben.
Quoten für Elektroautos bringen westliche Hersteller unter Zugzwang
Doch die Mega-Citys stehen nicht nur für Prosperität, sie könnten für die Autokonzerne auch zum größten Problem werden. Denn die Regierung in Peking will die Luftverschmutzung mit weiteren Fahrverboten und mehr Elektromobilität bekämpfen. So wird seit Monaten ein Gesetz vorbereitet, dass ausländischen Herstellern feste Quoten für E-Autos vorschreibt. Halten sie diese nicht ein, dürfen sie auch keine konventionellen Fahrzeuge mehr verkaufen. Die Rede ist von einer Quote von zunächst acht Prozent ab 2018. BMW liegt aktuell noch deutlich darunter. „Das beschäftigt uns sehr“, räumt Finanzvorstand Peter ein. „Aber wir sind gut vorbereitet.“
Aktuell bietet BMW fünf elektrifizierte Modelle an, vom rein elektrischen i3, der im vergangenen Jahr 1000 Käufer in China fand, bis zum 7er-Plug-in. „Schritt für Schritt werden wir die gesamte Modellpalette elektrifizieren“, sagt Peter. In Shenyang wird BMW laut Peter außerdem 2017 eine Fertigung für Hochvoltbatterien starten. Obwohl China weltweiter Leitmarkt der Elektromobilität ist, ist man unsicher, wie schnell sich die alternativen Antriebe durchsetzen werden. Zwar fahren hier als 650 000 Elektroautos. Sie stammen aber überwiegend von heimischen Herstellern. „Elektromobilität findet hier bis 20 000 Euro statt, nach Abzug der Subventionen“, sagt Vertriebsleiter Kastner.
Ein Werksteil so groß wie 35 Fußballfelder
Im neuen BBA-Werksteil in Dadong, der sich auf einer Fläche so groß wie 35 Fußballfelder erstreckt, dreht sich alles um den neuen 5er. Geleitet wird das Werk – ungewöhnlich nicht nur in China – von einer Frau: Zhang Tao dirigiert seit 2003 den Standort, an dem 90 Prozent der Belegschaft Männer sind. In den Hallen findet sich die modernste Fertigungstechnologie, vom Presswerk über den Karosseriebau und die Lackiererei bis zur Montage. „Das ist eines der produktivsten Werke in ganz China“, sagt Maximilian Hauk, Leiter der technischen Planung, beim Ortstermin auf Einladung von BMW.
Die gewaltige Presse zum Beispiel, in der tonnenschwere Werkzeuge bis auf den Hundertstel-Millimeter genau in rasendem Tempo arbeiten, wird von nur etwa 20 Mitarbeitern im Schichtbetrieb überwacht. Menschen scheinen sich in den riesigen Hallen zu verlieren, Roboter – allein 858 im Karosseriebau – geben den Ton an. Auch BMW spürt, dass die Löhne in China gestiegen sind, 2017 im Vergleich zum Vorjahr um bis zu zehn Prozent. Zusätzliches Personal hat BBA nicht eingestellt, weil die 5er-Fertigung nur umgezogen ist. Die „alte“ Halle soll für die Produktion des Geländewagens X3 umgerüstet werden. Jeder dritte verkaufte BMW ist ein X-Modell. Ob in China oder anderswo: SUVs sind überall auf der Welt der Kassenschlager der Autoindustrie.