Deutschland-Takt: Mit einheitlichen Abfahrtszeiten will die Bahn pünktlicher werden - ab 2030
Eine Arbeitsgruppe soll einen Fahrplan mit neuen Abfahrten erstellen. Verkehrsminister Scheuer spricht vom größten Eisenbahnprojekt seit über 20 Jahren.
Erst der Fluggipfel, nun das Schienenbündnis – CSU-Politiker Andreas Scheuer vermittelt öffentlich gerne das Bild des großen Machers, der die Dinge anpackt. Der Bundesverkehrsminister steht wegen des Dieselskandals unter Druck – und in der Pflicht. Denn der Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierung sieht ehrgeizige Ziele für den Ausbau des Schienenverkehrs vor, um die Umweltbelastungen durch die wachsende Mobilität in Grenzen zu halten.
Eine der wichtigsten Maßnahmen geht nun in die konkrete Planungsphase: der Deutschland-Takt. Im besten Fall sollen Züge ab dem Jahr 2030 zu jeder Stunde in jede Richtung zur selben Minute fahren, auf den wichtigsten Strecken zwischen den Großstädten sogar im Abstand von 30 Minuten. Für die Reisenden sind solche Fahrpläne einprägsam und leicht zu merken. Die Schweiz hat das System schon 1982 landesweit mit Erfolg eingeführt, dort nutzen die Bürger öffentliche Verkehrsmittel viel häufiger.
In Deutschland haben einige Bundesländer und Verkehrsverbünde seit 1994 auf regionaler Ebene die integralen Taktfahrpläne mehr oder weniger konsequent umgesetzt. Doch eine bundesweite Einführung fehlt, obwohl Experten schon lange dazu raten. 2015 kam auch eine Studie für das Verkehrsministerium zum Ergebnis, der Deutschland-Takt sei möglich. Der Koalitionsvertrag legt auf Seite 79 fest, dass Regierung, Länder und die Bahnbranche die Umsetzung gemeinsam vorantreiben sollen.
Das Pünktlichkeits-Ziel wurde zuletzt deutlich verfehlt
Dazu hat Scheuer das „Zukunftsbündnis Schiene“ ausgerufen, zu dessen Start sich am Dienstag im Ministerium zahlreiche Verantwortliche versammelten. Es geht zunächst um ein neues Fahrplankonzept ab dem Jahr 2030, das künftig Basis für die Investitionen ins Schienennetz sein soll. Um pünktlichen Taktverkehr, optimales Umsteigen und möglichst wenige Verspätungen zu erreichen, soll gezielt und schnell dort ausgebaut und modernisiert werden, wo die größten Engpässe und Nachholbedarf existieren. In Deutschland ist das bisher nicht selbstverständlich, Kritiker verweisen auf strittige und überteuerte Großprojekte wie Stuttgart 21.
Bahnfahrer wissen aus täglicher leidvoller Erfahrung, wie viel es zu tun gibt: Im August sank die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn im Fernverkehr auf weniger als 70 Prozent, das Ziel von DB-Chef Richard Lutz von wenigstens 82 Prozent wird auch 2018 weit verfehlt. Viele Reisende kommen deshalb täglich zu spät ans Ziel, oft sind es Stunden, weil beim Umsteigen die Anschlüsse verpasst werden. Besonders zwischen dem DB-Fernverkehr und dem von den Ländern beauftragten Regionalverkehr (bis 50 km) ist die Abstimmung häufig schlecht.
Erstmal werden Baustellen den Bahnalltag bestimmen
Für Scheuer ist die Umsetzung des Deutschland-Takts „das größte Projekt im Eisenbahnbereich seit der Bahnreform 1994“. Der Minister listete am Dienstag nach dem Treffen des Bündnisses Ziele und Maßnahmen auf: Verdoppelung der Fahrgäste auf der Schiene bis 2030, bessere Anschlüsse, schnellere Verbindungen, mehr Güter auf die Schiene. Dazu sollen bis 2025 Milliarden in den Netzausbau fließen, Automatisierung und Digitalisierung vorangetrieben werden und 70 statt bisher 60 Prozent der Bahnstrecken Stromleitungen bekommen.
Das Zukunftsbündnis nehme nun „volle Fahrt auf“, betont Scheuer. Man wolle „den Wow-Effekt und Bahnfahren als Leidenschaft“ erreichen. Den Experten wurde intern der mit Spannung erwartete erste Entwurf des Zielfahrplans 2030 präsentiert, den ein Gremium unter Leitung der Züricher Beratungsfirma SMA erarbeitet hat. Demnach könnten sich laut Ministerium die Reisezeiten zwischen Stuttgart und Hamburg um 43 Minuten auf 4:27 Stunden verkürzen, zwischen Berlin und Düsseldorf um 40 Minuten auf 3:34 Stunden und von der Hauptstadt ins sächsische Bautzen sogar um 82 Minuten auf unter zwei Stunden. Noch allerdings ist das ferne Zukunftsmusik.
In den kommenden Jahren werden stattdessen weiterhin bis zu 800 Baustellen täglich den Bahnalltag bestimmen. Dazu kommen Umleitungsstrecken, Engpässe auf dem überlasteten und lange vernachlässigten Netz sowie Probleme mit den zu knappen und teils technisch anfälligen Zugflotten. So startet die DB Netz nach fast 30 Jahren Dauerbetrieb nächstes Jahr zum Beispiel die Generalsanierung der ICE-Pisten Hannover-Würzburg und Mannheim-Stuttgart. In die Modernisierung der ältesten deutschen Hochgeschwindigkeitsstrecken fließen bis 2023 allein 825 Millionen Euro. Die Folge: zahlreiche Vollsperrungen, Umleitungen, längere Fahrzeiten und Zugausfälle.