Veranstaltungsbranche in Not: „Mit Abstandsregeln wird es keine Konzerte geben“
Höhere Kosten, weniger Gäste: Jens Michow vom Veranstaltungsverband sieht keine Besserung für seine Branche. Teurere Tickets wolle schließlich niemand zahlen.
Herr Michow, waren Sie in den letzten Wochen mal bei einem Drive-In-Konzert oder haben virtuell eins verfolgt?
Nein, Live ist für mich live. Wenn man dem Musiker oder der Band über das Autoradio lauscht, ist das nett. Aber es ist nicht vergleichbar mit einem Konzert, bei dem Sie in der Menge stehen.
Bis das wieder geht, dauert es. Wie sehr belastet das die Veranstaltungsbranche?
Wir waren mit die ersten, die von der Krise betroffen waren, und wir werden die letzten sein, die da wieder rauskommen. Derzeit sprechen in Deutschland alle von der Rückkehr zur Normalität. Bei Veranstaltungen und Konzerten aber kann davon noch lange keine Rede sein. Die Verluste, die Musiker, Veranstalter und Dienstleister derzeit machen, sind enorm.
Um welche Größenordnung geht es da?
Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben. Unser Verband richtet normalerweise einmal im Jahr die Verleihung des Live-Entertainment-Awards aus, bei dem Künstler und Veranstalter gemeinsam ausgezeichnet werden. Das ist ein Event mit 1300 Gästen in der Frankfurter Festhalle, mit großem Bühnenprogramm, aufwändiger Licht und Tontechnik. In diesem Jahr sollte das Ende März stattfinden. Ein halbes Jahr haben wir darauf hingearbeitet, alle Tickets waren verkauft, mehr als 200 Dienstleister waren beteiligt. Auf den letzten Drücker mussten wir alles absagen. 1,3 Millionen Euro hat uns das gekostet. Wir waren glücklicherweise versichert und hatten auch keine Ausschlussklauseln für Pandemien. Viele Veranstalter aber haben eine solche Police nicht, sie bleiben auf den Kosten sitzen.
Welche Folgen hat das?
Bis Ende August sind deutschlandweit 125.000 Veranstaltungen abgesagt. Dadurch entgehen den Veranstaltern 4,2 Milliarden Euro an Einnahmen. Die fehlen den Veranstaltern aber, weil sie schon im Vorfeld eines Events hohe Kosten haben wie Vorauszahlungen an Künstler, Hallenmieten, Werbung, Technik und Personal. Für große Konzerte werden die Tickets bereits ein Jahr im Voraus verkauft. Wenn jetzt tausende von Kartenkäufern den Eintrittspreis zurückverlangen, würde den überwiegend kleineren mittelständischen Unternehmen schnell die Luft ausgehen.
Die Regierung hat darauf bereits reagiert. Statt Geld zurück bekommen Kunden nun einen Gutschein. Ist das die Rettung?
Von Rettung würde ich dabei nicht sprechen. Das verschafft den Veranstaltern aber die erforderliche Luft, um den Karteninhabern auch etwas für ihr Geld zu bieten.
Verbraucherschützer kritisieren diese Regelung. Geht der Veranstalter Pleite, ist auch der Gutschein nichts mehr wert.
Nein, die Gutscheinregelung ist Verbraucherschutz pur! Es ist doch viel besser, in den nächsten Monaten ein anderes Konzert besuchen zu können, als dem Veranstalter mit der Rückzahlungsforderung die Pistole auf die Brust zu setzen und dann gar nichts zu bekommen, weil das Unternehmen dadurch Pleite geht. Und wenn im Ausnahmefall die Nichtrückzahlung zu einer unzumutbaren Härte führen würde, haben Kartenkäufer auch weiterhin einen Anspruch auf Rückzahlung.
Wann liegt ein solcher Härtefall vor?
Das hat der Gesetzgeber offen gelassen. Unser Verband hat deshalb soeben eine Schlichtungsstelle geschaffen, die angerufen werden kann, wenn es zwischen Veranstaltern und Karteninhabern darüber Meinungsverschiedenheiten gibt.
Ab September soll es auch mit größeren Veranstaltungen wieder losgehen. Ist also Besserung in Sicht?
Nein. Das Eckpunktepapier der Bundesregierung sieht vor, dass die Zuschauer dann einen Abstand von 1,50 Meter zueinander einhalten müssen. Aus Sicht des Infektionsschutzes mag das sinnvoll sei, aber wirtschaftlich können Sie so keine Großveranstaltung ausrichten.
Warum nicht?
Wenn Sie in eine Halle, die für 1000 Menschen ausgelegt ist, nur 200 reinlassen dürfen, dann haben sie nur 20 Prozent der Einnahmen. Gleichzeitig können die besonderen Schutzmaßnahmen in Eingangs- und Kassenbereichen, die namentliche Erfassung der Besucher, die getrennten Einlasswege und vieles mehr zu höheren Kosten führen. Wenn Sie jedoch höhere Kosten als üblich haben und nur einen Bruchteil der Einnahmen, dann machen Sie zwangsläufig Verlust. Es wird doch niemand bereit sein, den fünffachen Preis für ein Ticket zu bezahlen.
Was folgt daraus?
Selbst hochkarätig besetzte Konzerte werden unter diesen Bedingungen nicht stattfinden können. Zumal: Können Sie sich ein Rockkonzert mit Atemmaske vorstellen? Es muss also jedem klar sein: Mit Abstandsregeln wird es keine Konzerte und sonstige Veranstaltungen geben.
Was sollte die Politik also tun?
Die Bundesregierung wird entscheiden müssen, wie wichtig es ihr ist, dass der Live-Bereich tatsächlich zur Normalität zurückkehrt. Dabei sollte sie berücksichtigen, dass ohne Veranstaltungen auch die Künstler und Musikautoren keine Einnahmen haben. Dann verdienen wiederum die Musikverleger nichts und auch die Tonträgerunternehmen machen weniger Umsätze. Die einzelnen Sektoren der Musikwirtschaft sind alle miteinander verzahnt. Wer also möchte, dass dieser wirtschaftlich bedeutende Markt wieder funktioniert, wird sich entscheiden müssen, wieviel ihm das wert ist.
Was schlagen Sie konkret vor?
Ohne Subventionen wird es bei Abstandsregeln keinesfalls gehen. Sollten Veranstaltungen tatsächlich bis zur Entwicklung eines Impfstoffes nur mit Abstandsregeln stattfinden können, würden für den Zeitraum eines Jahres rund 3,75 Milliarden Euro benötigt, damit alle Veranstaltungen kostendeckend stattfinden können. Dass dieser Betrag zur Verfügung gestellt wird, erwartet natürlich niemand von uns, aber er macht deutlich, was Abstandsregeln im Veranstaltungsbereich wirtschaftlich bedeuten. Und wohlgemerkt: Diese Rechnung hat nichts mit dem Schaden zu tun, den die Branche seit März bereits erlitten hat, sondern betrifft nur die Zukunft.
Über das Konjunkturprogramm fließt nun immerhin eine Milliarde Euro in die Kultur. Reicht das nicht?
Sie müssen das mal ins Verhältnis setzen: Das komplette Konjunkturpaket hat ein Volumen von 130 Milliarden Euro. Für den gesamten Kulturbereich sind davon lediglich eine Milliarde Euro vorgesehen. Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung der Kulturwirtschaft und der Zahl der über 200.000 von ihr abhängigen Erwerbstätigen ist das nicht gerade üppig. Für den Live-Bereich sind davon 150 Millionen Euro eingeplant. Wir haben recht detailliert vorgerechnet, dass der Schaden, der Veranstaltern bis Ende August 2020 entsteht, rund 420 Millionen Euro beträgt, also fast dreimal so hoch ist. Wir hoffen, dass das Geld dennoch hilft, damit die Mehrzahl der Unternehmen überleben kann.
Was versteht die Politik daran nicht?
Die Politik sieht nicht, dass auch die Musikbranche systemrelevant ist. Wir sprechen hier von einem Kulturgut. Musik kann die Gesellschaft verbinden. Wenn nun Veranstalter reihenweise aufgeben müssen, dann bleibt allenfalls noch der Mainstream übrig. Dann wird es das feine Jazzfestival oder das Konzert auf dem Land in Zukunft nicht mehr geben. Und das hat Folgen: Allein mit Musiktourismus erwirtschaftet Deutschland im Jahr fünf Milliarden Euro. Wenn Konzerte wegfallen, setzt das einen Dominoeffekt in Gang, den viele unterschätzen.
Jens Michow ist Präsident des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV). Er vertritt 420 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von rund fünf Milliarden Euro.
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