Tarifverhandlungen: Mindestlohn steigt vermutlich auf 8,80 Euro
Der gesetzliche Mindestlohn steigt zum 1. Januar 2017 voraussichtlich nur auf 8,80 Euro. Die Gewerkschaften wollten mehr erreichen.
Der gesetzliche Mindestlohn wird im kommenden Jahr voraussichtlich nur um 30 Cent auf 8,80 Euro steigen. Wie der Tagesspiegel von Mitgliedern der Mindestlohn-Kommission erfuhr, lassen die Tarifsteigerungen im vergangenen Jahr und die absehbaren Tarifabschlüsse im ersten Halbjahr 2016 keine stärkere Erhöhung zu. Neun oder sogar zehn Euro waren immer wieder mal von Gewerkschaftern gefordert worden. Auf der Grundlage des sogenannten Tarifindex , der vom Statistischen Bundesamt mithilfe von mehr als 500 Tarifverträgen errechnet wird, steigt der Mindestlohn voraussichtlich aber nur um etwa 3,5 Prozent.
Die nächste Erhöhung kommt 2019
Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro war von der großen Koalition zum 1. Januar 2015 eingeführt worden. Zum 1. Januar 2017 schreibt das Gesetz die erste Erhöhung vor. „Danach hat die Mindestlohnkommission alle zwei Jahre über Anpassungen der Höhe des Mindestlohns zu beschließen“, heißt es weiter im Gesetz. Die nächste Erhöhung kommt also 2019. Bis dahin müssen sich die Arbeitnehmer – aktuell sind es rund 3,6 Millionen, die hierzulande den Mindestlohn bekommen – voraussichtlich mit 8,80 Euro begnügen. Es sei denn, die Mindestlohnkommission weicht ab von der Vorgabe des statistischen Tarifindex.
Bis Juni muss die Kommission über die Erhöhung 2017 entscheiden
Das wäre nach dem Gesetz zwar möglich. Aber die Kommission selbst hat in ihrer Geschäftsordnung geregelt, dass es dazu einer Zweidrittelmehrheit bedarf. Und die ist bei der Zusammensetzung des Gremiums nur schwer zu erreichen: Drei Vertretern von Arbeitgeberverbänden sitzen drei Gewerkschafter gegenüber. Dazu kommen zwei nicht stimmberechtigte Wissenschaftler sowie der Vorsitzende. Bis zum 30. Juni muss die Kommission über die Erhöhung Anfang kommenden Jahres beschließen. Dazu soll sie neben den Tarifabschlüssen aus der jüngsten Vergangenheit auch „die Wettbewerbsbedingungen (auf dem Arbeitsmarkt) und die Beschäftigung im Bezug auf bestimmte Branchen und Regionen sowie die Produktivität“ im Auge haben, wie es im Gesetz heißt.
Der Ökonom Clemens Fuest glaubt genau das zu tun, wenn er wegen der Flüchtlingsproblematik sogar für einen geringeren Mindestlohn plädiert: „Man sollte ihn mindestens einfrieren, besser sogar senken, denn die Lage hat sich geändert“, sagte Fuest der Zeitung „Die Welt“.
Ganz anders argumentiert das gewerkschaftseigene Forschungsinstitut WSI, indem es sich auf den Tarifindex des Statistischen Bundesamtes bezieht, der 2014 um 2,9 und 2015 um 2,5 Prozent gestiegen ist. Das wären dann zwei Jahre, und der Mindestlohn soll ja schließlich „alle zwei Jahre (...) nachlaufend an der Tarifentwicklung“ angepasst werden, heißt es im Gesetz. Das WSI schlägt also die Prozente der beiden Jahre auf die 8,50 Euro und kommt auf 8,97 Euro. „Damit wären zunächst neun Euro als Orientierungsmarke gesetzt.“
Mehr als 8,85 Euro ist nicht drin
Die Rechnung hat einen Haken: 2014 spielt keine Rolle. Dadurch, dass bei der ersten Erhöhung nur die Tarifentwicklung von anderthalb Jahren herangezogen wird, steigt der Mindestlohn deutlich geringer, Schätzungen zufolge um gut 3,5 Prozent. Wie viel es am Ende sein werden, entscheiden vor allem die Tarifparteien in der Metallindustrie und im öffentlichen Dienst. Im April und im Mai stehen hier Tarifabschlüsse für zusammen mehr als fünf Millionen Beschäftigte an. Wenn die Gewerkschaften erfolgreich sind, der Tarifindex entsprechend steigt und der Mindestlohn deshalb auf 8,82 oder 8,83 Euro hochgeht, würden sich vermutlich auch die Arbeitgeber nicht gegen ein Aufrunden auf 8,85 Euro verschließen, heißt es in der Kommission. Mehr ist nicht drin.
In dem ehrenamtlichen Gremium sitzen auf der Arbeitgeberbank Reinhard Göhner (Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände), Valerie Holsboer (Gastronomie) und Karl-Sebastian Schulte (Handwerk). Die Gewerkschaften werden vertreten von Robert Feiger (IG BAU), Stefan Körzell (DGB) und Michaela Rosenberger (Nahrung, Genuss, Gaststätten). Als Vorsitzender fungiert der Jurist Jan Zilius, der in den 1980er Jahren für die IG BCE tätig war und dann im Management von RWE arbeitete. Gibt es in der Kommission ein Patt, hat Zilius die entscheidende Stimme.
Bei der nächsten Sitzung im April geht es vor allem um einen Bericht, in dem die Kommission die Auswirkungen des Mindestlohns evaluiert. Die Studie kostet die Steuerzahler jährlich 800.000 Euro für Personal, 200.000 Euro für Räume und technische Ausstattung und 100.000 für sogenannte Informationszwecke. Der Aufwand muss wohl sein, denn es geht um viel: Ob der Mindestlohn um ein paar Cent mehr oder weniger steigt, macht ein paar hundert Millionen aus – für die Arbeitnehmer oder für die Arbeitgeber.