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Durch eine Gesetzesänderung soll die Verhängung von Diesel-Fahrverboten schwieriger werden.
© Jens Büttner/dpa
Update

Diesel-Schadstoffe in der Luft: Merkel will Fahrverbote per Gesetz erschweren

Die Regierung will Städte mit leicht erhöhten Stickoxidwerten entlasten. Das Fahrverbot in Frankfurt soll verhindert werden. Doch Juristen verweisen auf EU-Recht.

Am Kursverlauf deutscher Autoaktien konnte man am Montag den jüngsten Verlauf der Diesel-Diskussion ablesen: Mit kräftigen Gewinnen gingen die Papiere von BMW, Daimler, Volkswagen und einiger Zulieferern zunächst in den Handel. Anleger hatten eine Botschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) positiv gedeutet und Auto-Aktien gekauft: Per Gesetz, so hatte Merkel am Sonntagabend in Berlin gesagt, wolle die Bundesregierung Diesel-Fahrverbote in jenen Städten verhindern, in denen die Stickoxid-Grenzwerte nur in geringem Umfang überschritten würden – und Verbote deshalb unverhältnismäßig seien. Dies gelte vor allem für Frankfurt am Main, aber auch für Berlin. Im Verlauf des Börsentages kehrte dann Ernüchterung ein, aus Gewinnen für die Auto-Aktien wurden teils Verluste.

WIE MERKEL RECHNET

Mit Grenzwertüberschreitungen in „geringem Umfang“ meint Merkel Werte von bis zu 50 Mikrogramm Stickoxid (NOx) pro Kubikmeter Luft. Vorgeschrieben sind laut EU-Recht 40 Mikrogramm. Die Schwelle von 50 hatte die Regierung in ihrem Diesel-Paket Anfang des Monats eingezogen und so 14 besonders belastete "Intensivstädte" definiert, die darüber liegen. Frankfurt und Berlin stehen nicht auf der Liste. Verwaltungsgerichte haben hier dennoch Fahrverbote erlaubt, weil andere Maßnahmen (Tempo 30, Elektrifizierung, Umrüstung kommunaler Fahrzeuge, Verflüssigung des Verkehrs etc.) nicht schnell genug wirken.

Nach „FAZ“-Recherchen soll die Liste auf veralteten Daten von Ende Mai beruhen, sie sei inzwischen aktualisiert worden. Nun sei auch Frankfurt aufgeführt.

Merkel und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), der am kommenden Sonntag wiedergewählt werden will, rechnen in Frankfurt gleichwohl nicht mit der Umsetzung des Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden – weil die Bundesregierung umfangreiche und wirkungsvolle Maßnahmen beschlossen habe, mit denen die Stickoxidemissionen schnell unter den Grenzwert gebracht werden könnten. Gemeint sich die Software-Updates der Hersteller, das Förderprogramm zur Umrüstung von Bussen und Lieferfahrzeugen, Eintauschprämien – sowie (von der Regierung erwartete) Hardware-Nachrüstungen.

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hatte Fahrverbote in der Main-Metropole ab 2019 erlaubt – zunächst für Euro4- Diesel und Benziner der Schadstoffklassen 1 und 3, später auch für Euro5-Diesel. Betroffen wären davon zehntausende Pendler im Großraum Frankfurt.

Warum baut man die NOx-Messstationen nicht einfach auf der Zugspitze auf? Dann hätte man immer super saubere Luft und das Thema wäre erledigt.

schreibt NutzerIn on_se_won_haend

WAS MERKEL PLANT

Merkel kündigte an, die Regierung wolle die „entsprechenden Gesetze ändern“, so dass auf dieser neuen rechtlichen Basis „Fahrverbote unverhältnismäßig sein würden und deshalb in der Regel nicht ausgesprochen würden“ – zumindest nicht in den 51 Städten, in denen nach Ansicht des CDU-Präsidiums die NOx- Grenzwerte nur „sehr geringfügig“ überschritten werden. Um welche Gesetze es sich konkret handelt, sagte Merkel nicht. Für die 14 „Intensivstädte“ hatte die Koalition schon in ihrem Diesel-Konzept eine Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes „unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit“ angekündigt. Am Sonntag versprach die Bundeskanzlerin Diesel-Fahrern in den Städten, die nicht auf der „Intensiv-Liste“ stehen, sie müssten keine „finanzielle Belastungen“ fürchten.

WIE DER KOALITIONSPARTNER REAGIERT

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) bremste am Montag die Erwartungen, es werde nach einer Gesetzesänderung zu keinen Fahrverboten mehr kommen. Die Bundesregierung könne Diesel-Fahrverbote auch in Städten mit einer nur geringen Überschreitung der EU-Grenzwerte nicht untersagen, stellte sie klar. „Am Ende entscheidet eine Kommune selbst, ob sie ein Fahrverbot verhängt oder nicht“, sagte ein Sprecher der Ministerin. Die von der Koalition geplante Gesetzesänderung solle aber für Städte, die den Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid im Jahresmittel um höchstens 25 Prozent überschreiten – dann also bei 50 Mikrogramm liegen –, „Klarheit bei der Verhältnismäßigkeit“ schaffen.

WAS JURISTEN SAGEN

"Es ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit für bestimmte Sachverhalte auszugestalten“, sagte ein Sprecher des Bundesverwaltungsgerichts dem Tagesspiegel. In erster Linie handele es sich bei dem aktuellen Vorstoß der Regierung aber um eine „politische Entscheidung“, mit der den Verwaltungen Leitlinien vorgegeben würden. Auch für die Bundesregierung bleibe der Handlungsspielraum allerdings begrenzt: „Vorgaben des Europarechts müssen eingehalten werden“, schränkte das Gericht ein.

Darauf verwies auch Remo Klinger, Berliner Rechtsanwalt, der die Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen zahlreiche Städte führt. „Es ist völlig unerheblich, ob der Wert in einer Stadt bei 49 oder bei 51 Mikrogramm NOx liegt. Entscheidend ist der von EU-Recht vorgeschriebene Grenzwert von 40 – und den kann kein Mitgliedsstaat einfach verändern“, sagte Klinger dem Tagesspiegel. Der Europäische Gerichtshof entscheide in ständiger Rechtsprechung, „dass jede nationale Rechtsvorschrift unanwendbar bleiben muss, wenn sie dem EU-Recht entgegensteht“. Deutsche Verwaltungsgerichte müssten eine neue Rechtsvorschrift also ignorieren, wenn der Stickoxidwert bei oder unter 50 Mikrogramm liegt, es aber gleichzeitig keine alternativen Maßnahmen gibt, die genauso schnell wirken wie Fahrverbote.

WIE BERLIN BETROFFEN IST

Die Berliner Senatsverkehrsverwaltung lässt die Autofahrer im Ungewissen. Zu Merkels Vorstoß gab es am Montag keine Stellungnahme. Offiziell äußert sich die Verwaltung auch nicht dazu, ob das Land in Berufung gegen die vom Verwaltungsgericht auferlegten Fahrverbote einlegen wird. Dem Vernehmen nach will sie auf eine Berufung verzichten. Das Gericht hat bei acht Straßen auf elf meist kurzen Abschnitten ein Fahrverbot angeordnet. Auf weiteren 117 Abschnitten muss die Verwaltung ein Fahrverbot prüfen. Betroffen wären in Berlin weit über 200000 Fahrzeuge; allein 50000 von ihnen sind nach Angaben der Handwerkskammer Fahrzeuge von Handwerkern. Diese seien auf die Dieselfahrzeuge angewiesen. Und Kunden müssten Betriebe erreichen können. Auch zum Stand von möglichen Ausnahmeregelungen schwieg die Verkehrsverwaltung.

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