Sorge vor ungeordnetem Brexit: Merck stockt Arzneilager auf
Der Darmstädter Merck-Konzern stellt sich auf den Brexit-Ernstfall ein. Er stockt die Arzneivorräte auf, so dass auf der Insel keine Medikamente fehlen.
Der Chemie- und Pharmakonzern Merck rüstet sich für einen ungeordneten EU-Austritt Großbritanniens. „Wir haben unsere lokalen Arzneilager für den Fall eines ungeordneten Brexits aufgestockt“, sagte Merck-Chef Stefan Oschmann der Deutschen Presse-Agentur in Darmstadt.
Pro Monat würden 45 Millionen Packungen Medikamente aus Großbritannien in die EU gebracht, 35 Millionen gingen umgekehrt auf die Insel, erklärte Oschmann, der in den vergangenen beiden Jahren dem europäischen Pharmaverband EFPIA vorstand. „Es wäre nicht auszudenken, wenn es zu langwierigen Grenzkontrollen käme und Patienten wichtige Medikamente fehlten.“
Das Schreckensszenario eines ungeordneten Brexits ist aus Oschmanns Sicht wahrscheinlicher geworden. „Die Stimmen in Großbritannien, die nach einem Brexit um jeden Preis rufen, nehmen zu - selbst wenn das dem Land schaden würde“, sagte Oschmann wenige Wochen vor dem geplanten Austrittsdatum am 31. Oktober. Merck bereite sich aber schon seit drei Jahren auf den Brexit vor.
In Großbritannien kam es zuletzt zu einem Machtkampf zwischen Regierung und dem Parlament. Dort hat Premierminister Boris Johnson die Parlamentarier in die Zwangspause geschickt. Die Opposition aber hat Johnson mit einem neuen Gesetz gezwungen, eine Brexit-Verschiebung zu beantragen, falls es zum Austrittsdatum kein Abkommen mit der EU gibt. Das wiederum lehnt Johnson strikt ab.
Pharmahandel schon eingebrochen
Bei einem Brexit ohne Abkommen mit Brüssel ist die Versorgung mit Arzneien in Großbritannien eine der großen Sorgen. Während das Bundesgesundheitsministerium keine Hinweise auf Medikamenten-Engpässe in Deutschland sieht, gab es in Großbritannien wiederholt Warnungen davor - zuletzt in internen „Yellowhammer“-Dokumenten der Regierung in London. Das Vereinigte Königreich ist einer der größten Abnehmer deutscher Arzneien. Der Pharmahandel mit der EU ist 2018 laut dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) bereits eingebrochen.
Auch bei der europäischen Arzneikontrolle und -zulassung, die bisher in Großbritannien verankert war, sorgt der Brexit für Turbulenzen. „Die Briten werden bestehende Arzneimittelzulassungen für die EU nicht in Frage stellen“, glaubt Oschmann. Wie es bei künftigen Bewilligungen aussehe, hänge aber von der Art des Brexit ab.
Den Dax-Konzern Merck treibt aber nicht nur der Brexit um, sondern auch der Zollstreit zwischen China und den USA. „Wir spüren den weltweiten Handelskonflikt im Tagesgeschäft kaum, Zölle treffen Merck nur moderat“, sagte Oschmann. Auf geopolitische Risiken reagiere man mit optimierten Lieferketten.
Merck ist stark mit Geschäften in den USA vertreten - gerade seit der Übernahme des Laborausrüsters Sigma-Aldrich 2015. Nun will das 1668 gegründete Familienunternehmen den US-Halbleiterzulieferer Versum für rund 5,8 Milliarden Euro kaufen und ebenso den kalifornischen Materialspezialisten Intermolecular. Mit beiden Übernahmen, die noch in diesem Jahr abgeschlossen werden sollen, zielt Merck auf Geschäfte mit der Chip- und Elektronikindustrie. Angesichts des Trends zur vernetzten Industrie, immer leistungsfähigeren Prozessoren und künstlicher Intelligenz sieht Oschmann hier Wachstumschancen. (dpa)
Alexander Sturm