Arbeit 4.0: Mensch und Maschine im Robozän
Matthias Krinke prägt mit Robotern wie „Yolandi“ die Arbeitswelt der Zukunft. pi4_Robotics stellt am Humboldthain die neuen Kollegen her.
Wer dem Berliner Unternehmer Matthias Krinke als Journalist eine Anfrage schickt, erhält zunächst eine Antwort mit einer überraschenden Anrede. In einer automatischen E-Mail werden nicht etwa nur die üblichen Damen und Herren angesprochen, nein, auch an eine „sehr geehrte elektronische Person“ richtet sich die Nachricht.
Spinnerei? Wohl eher Zukunftsmusik. Denn Krinke sorgt dafür, dass immer mehr menschliche Roboter in Unternehmen eingesetzt werden. pi4_robotics (kurz pi4), dessen Gründer und Geschäftsführer der 51-Jährige ist, stellt die nimmermüden Mitarbeiter in einem Technologiepark am Humboldthain selbst her. Krinke hat zudem eine Zeitarbeitsfirma für Roboter gegründet – nach dem Motto „Null Prozent Mitarbeiter, 100 Prozent Roboter“. Robozän heißt die Firma und prophezeit damit schon im Namen das aufkommende Zeitalter. Zu den Referenzkunden seiner Unternehmensgruppe zählt der gelernte Ingenieur etwa Siemens und die Bundesdruckerei. Auch der rbb beschäftigte vor einem knappen Jahr für einige Tage einen Roboter namens „Yolandi“ – im Rahmen einer ARD-Themenwoche zur „Zukunft der Arbeit“. Bald wird es Kioske geben, in denen pi4-Roboter die Ware verkaufen. Krinke werkelt an der Zukunft der Arbeit mit.
Wie werden Büros und Fabriken einst aussehen? Welche Jobs erledigen Menschen noch darin? Und für welche Aufgaben braucht es nur noch Roboter? Für nicht wenige ist dieses Thema durchaus mit Ängsten belegt. Krinke hat darauf hingegen eine einfache Antwort: „Ich sehe es nicht so, dass ein Roboter ein Jobkiller ist.“ Wenn er am Wochenende durch Berlin fahre, sehe er überall Schilder, mit denen Mitarbeiter gesucht würden. Auch seine Kunden erzählten ihm ständig davon. Also sei der Bedarf doch da – und den will der Unternehmer eben mit seinen Menschmaschinen decken. Dass das auch seine Grenzen hat, glaubt sogar Krinke. „Man kann nicht alles mit Robotern machen, weil Roboter nicht alles können“, sagt er. „Es muss immer beides geben – Menschen und Roboter –, und in einer ordentlichen Kombination macht das auch Sinn.“
Der Traum von der menschlichen Maschine
Die Zukunft der Arbeit: Dabei denken viele heute womöglich eher an Digitalisierung, vernetzte Fabriken oder mobiles Arbeiten – je nach Perspektive vielleicht auch an prekäre Massenjobs oder das Ende der Arbeit. Roboter sind dagegen tatsächlich ein eher altes Konzept. Schon der sogenannte Schachtürke im 18. Jahrhundert (der freilich noch insgeheim im Innern von einem Menschen gesteuert wurde) erweckte den Traum von der menschlichen Maschine. Danach wurde die Idee lange Zeit nur in der Kunst richtig weitergetragen und dabei quasi perfektioniert. Die Wirklichkeit blieb dahinter bislang weit zurück. Dass Roboter auch in der Industrie und sogar im Dienstleistungsbereich eine ernstzunehmende Rolle spielen, ist eine vergleichsweise junge Entwicklung.
Auch Matthias Krinke machte zunächst die Erfahrung, zu früh dran zu sein. Als er pi4 vor mehr als 20 Jahren gründete, wollte er gleich menschliche Roboter entwickeln und bauen. „Dadurch, dass ich mit 2000 Mark im Wohnzimmer angefangen habe, war das aber etwas schwierig“, erzählt er. Potenzielle Fördermittelgeber hätten damals nicht verstanden, warum er das tun wolle. Erst vor etwas mehr als zehn Jahren sei diese Zurückhaltung aufgegeben worden. „Da hieß es dann: Oh je, jetzt gibt es in Japan und in den USA humanoide Roboter. Nimm europäisches Fördergeld und gib Gas, damit wir hier in Europa nicht den Anschluss verpassen.“ Als europäisches Projekt sei im Jahr 2010 dann der erste Roboter von pi4 entstanden, der „workerbot 1“.
Inzwischen gibt es bereits die vierte Generation. Genutzt werden die „workerbots“ vor allem in der Industrie, etwa zum Be- und Entladen von Maschinen, auch einfache Prüfaufgaben können sie erledigen. Die Anwendung in Kiosken ist derzeit noch im Versuchsstadium. Ideen, die darüber hinausgehen, gibt es aber genug: Gebäudeüberwachung, Concierge-Dienste, Catering oder Hilfestellung beim Einnehmen von Medikamenten sind aus Krinkes Sicht weitere Einsatzmöglichkeiten.
pi4 hat verschiedene Modelle seiner Menschmaschinen im Angebot, die neuesten kosten in einer Basisvariante ab etwa 40.000 Euro. „Irgendwann werden wir Roboter zu den Kosten eines Kleinwagens anbieten können“, verspricht Krinke. Wie viele er schon verkauft hat, verrät er aber genauso wenig wie Umsatzzahlen. Nur so viel: Hunderte Roboter seien es gewesen. Es gibt „workerbots“ mit einem Arm oder mit zweien. Manche wiegen eine halbe Tonne, andere weniger als 100 Kilogramm. Die einen haben einen massiven Torso, die anderen dort, wo der Mensch seinen Bauch hat, ein Loch. Essen muss der neue Mitarbeiter ja auch nicht, Strom reicht ihm. Mit Kameras und Sensoren erfassen die Roboter ihre Umgebung. Papier saugen sie an, Gegenstände wie Gläser greifen sie, ohne sie zu zerbrechen. Mit einem Kugelschreiber können sie Prüfprotokolle ausfüllen. Ja, mit einem Kugelschreiber. „Das ist das kostengünstigste Markiersystem, was man in einen Roboter einbauen kann“, sagt Krinke schmunzelnd. Es gebe auch in Zeiten der Digitalisierung eben noch viele Unternehmen in Deutschland, die ihre Fertigung auf Papier organisierten. „Als Gag gibt Yolandi daher natürlich auch Autogramme.“
Roboter müssen leicht zu bedienen sein
Gemein ist allen „workerbots“ ein Kopf mit einem Display, das ein stilisiertes Gesicht mit Augen und Mund zeigt. Roboter wie „Yolandi“ können lächeln. Und wird es in ihrem Innern zu heiß, zeigen sie Schweißperlen an. Es soll ähnlich wie beim Menschen sein: „Man sieht es dem Roboter an, ob er ein Problem hat“, sagt Krinke. Auch Mitarbeiter aus Fleisch und Blut freuten sich, wenn der metallene Kollege menschliche Züge trage. Die „workerbots“ sollen sich bei all dem aber doch noch von ihrem Vorbild abheben – im Gegensatz etwa zu manchen japanischen Modellen, die mit einer künstlichen Haut mitunter sehr menschlich wirken sollen. „Das ist für mich schon ein bisschen gruselig. Da glaube ich auch, dass es in Europa etwas schwierig wird“, meint Krinke. Er findet: Entweder müsse man es richtig gut machen, so dass der Unterschied nicht bemerkbar sei, oder es müsse eine ordentliche Distanz erkennbar sein. „Das Zwischendrin hat etwas Seltsames.“
Matthias Krinkes Ziel ist, dass seine Roboter leicht zu bedienen sind. „Ich sage immer zu meinen Mitarbeitern: Wir sollten es so machen wie bei einer teuren Kaffeemaschine.“ Die habe sehr viele Funktionen, und trotzdem könne man einen Kaffee bekommen, indem man einen Knopf drücke. „So einfach sollten Roboter auch zu bedienen sein. Diesem Ziel kommen wir immer näher.“ Der Vergleich, den Krinke heranzieht, zeigt unbewusst, dass echte Roboter noch weit von den selbstständigen Idealtypen entfernt sind, die wir aus Literatur und Film kennen. Zwar gibt es Exemplare, die Orchester dirigieren, oder Software, die komponiert. Doch das hat meist enge Grenzen: Hits sind dabei noch nicht herausgekommen, und ein spontaner Taktwechsel während eines Konzerts war auch noch nicht drin. Roboter scheitern darüber hinaus aber auch an aus menschlicher Sicht einfachsten Dingen. Krinke erklärt es am Beispiel der Spracherkennung am Kiosk: „In einem Zweiergespräch in einem geschlossenen Raum ist es normalerweise kein Problem, wenn der Roboter sich ein bisschen auf sein Gegenüber eingestellt hat.“ Schwieriger werde es aber im öffentlichen Raum, wenn etwa eine Handvoll Menschen vor dem Kiosk stünden und der Roboter gar nicht wisse, auf wen er sich konzentrieren solle. „Das ist dann ähnlich wie bei Menschen mit Hörgeräten, wo das Gerät manchmal irgendjemand verstärkt.“ Damit der Verkauf trotzdem klappt, sind Lösungen nötig, die zunächst einmal nichts mit künstlicher Intelligenz zu tun haben. So kann man etwa Kunden signalisieren, wo sie vor dem Kiosk stehen sollen, damit der Roboter sie optimal wahrnehmen und verstehen kann.
Neben dem Verkauf bietet Matthias Krinke über seine Firma Robozän auch „workerbots“ als Zeitarbeiter an – ein weiterer Blick in die mögliche Zukunft der Arbeit. Krinke hat das Unternehmen vor zwei Jahren gegründet und verdient nach eigenen Angaben bereits Geld damit. Kunden können sich bei Robozän einen „workerbot“ leihen, für 16 Euro die Stunde. Der Clou: Die meisten Leiharbeiter gehören nicht Krinke, sondern privaten Investoren. Für etwa 100.000 Euro könne man einen vernünftig ausgestatteten Roboter kaufen, um ihn dann für sich arbeiten zu lassen. Von den 16 Euro je Stunde blieben 8,50 Euro für den Eigentümer, der Rest geht für Service, Versicherungen und Provision ab. Ist der eigene Roboter rund um die Uhr im Einsatz, springen mehr als 6000 Euro im Monat dabei heraus. „Es gibt sehr viele Interessenten“, erzählt Krinke nicht ohne Stolz. Aus seiner Sicht handelt es sich bei dem Modell um eine Demokratisierung von Arbeitsmitteln. Man könne ja durchaus einen Kredit aufnehmen, um einen Roboter zu kaufen, meint der Unternehmer. Der erledige ja schließlich quasi drei Jobs und erwirtschafte so Kreditrate und Gewinn zugleich.
Mit seinen Robotern hat Matthias Krinke nach eigenem Bekunden einen Traum verwirklicht. Rund 50 Mitarbeiter beschäftigt er bei pi4, dem Kernunternehmen seiner Gruppe. 50 Mitarbeiter? Das möchte man in diesem Fall dann doch genauer wissen. „Aktuell beschäftigen wir nur fünf Roboter, aber wir sind dabei, die Zahl zu erhöhen“, sagt Krinke. „Das Ziel ist, dass wir in den kommenden zwei Jahren genauso viele Roboter haben wie Mitarbeiter.“ Geplant sei eine vollautomatische Fertigung: Roboter bauen Roboter. „Wir möchten das, wobei wir unseren Kunden helfen, auch selber tun.“ Noch ist es nicht so weit. Zur Sicherheit gibt es aber schon einmal T-Shirts für die menschlichen Mitarbeiter, auf denen „human“ steht.
Von Alexander Riedel