Gemeinwohl als Beruf: Mehr Männer für soziale Berufe
Von Kinderbetreuung bis Pflege: Gemeinwohlorientierte Jobs müssen attraktiver werden, sagen Forscher. Dabei geht es nicht nur ums Gehalt.
Projekte können nicht schaden. Mit 47 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds werden hierzulande rund 80 Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Sozialwirtschaft finanziert. Beispielsweise bemüht sich in Norddeutschland ein Altenheim um lebensphasenorientierte Personalführung. Dabei geht es schlicht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf; der Arbeitgeber nimmt Rücksicht auf die Belange der Arbeitnehmer – auf deren Alter und Gesundheit oder die Beanspruchung durch Kinder oder pflegebedürftige Angehörige. Es funktioniert: Das Altenheim bekommt jetzt eher Personal als vor dem Projekt.
Ein paar Hunderttausend Arbeitskräfte fehlen in Deutschland allein in der Pflege von alten, kranken und behinderten Menschen. Das hat Gründe: Die Arbeit ist physisch und psychisch belastend und muss meistens im Schichtdienst erledigt werden. Der Arbeitslohn ist vergleichsweise erbärmlich, anständige Tarifverträge sind selten. Ein Facharbeiter in der Industrie verdient bis zu einem Drittel mehr als eine Fachkraft in der Pflege.
Die Folgen der Minutenpflege
Der Sozialwissenschaftler Wolfgang Schröder hat sich am Wissenschaftszentrum Berlin mit den Arbeitsbedingungen befasst. „Bis Mitte der 1990er Jahre waren vor allem die kirchlichen Wohlfahrtsverbände für die soziale Daseinsvorsorge zuständig“, sagt Schröder mit Blick auf Westdeutschland. Die Arbeit haben vor allem Frauen erledigt. Daran hat sich nicht viel geändert, vier Fünftel der Beschäftigten in der Pflege sind weiblich. „Mit dem Pflegegesetz 1995 begann die Ökonomisierung und Professionalisierung unter dem Effizienzgesichtspunkt“, sagt Schröder. „Minutenpflege“ statt aufopferungsvoller Frauen; Kostenbewusstsein und Effizienzorientierung statt „menschlicher“ Betreuung. Inzwischen sind Krankenhäuser und Altenheime auch Renditeobjekte von Investoren.
Für Schröder ist das Grundproblem der gemeinwohlorientierten Arbeit die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern und den Berufsgruppen. „Die statusorientierte Arbeitsteilung in Deutschland ist ein Produkt des konservativen Sozialstaats, der sich wiederum auf die Erwerbstätigkeit des Mannes stützt“, sagt der Sozialwissenschaftler. Die Arbeitsteilung im deutschen Krankenhaus zum Beispiel sei viel ausgeprägter als in skandinavischen oder angelsächsischen Ländern, wo Pfleger mehr Tätigkeiten erledigen dürfen als hierzulande, wo sich die Ärzte eine herausragende Position verschafft hätten. „Das große Vorbild für die gemeinwohlorientierten Berufe sollten die Ärzte sein: Super organisiert und egoistisch vertreten die ihre Interessen nach dem Motto ,the winner takes it all‘“, sagt Schröder.
Die Anforderungen an Kitabeschäftigte haben sich verändert
Gewissermaßen ein Symbol des „konservativen Sozialstaats“ sei die Entwicklung des Kindergartens, der in Westdeutschland bis weit in die 1990er Jahre hinein nicht als pädagogische Institution, sondern als „Aufbewahrungsort“ geringgeschätzt wurde. Mit entsprechend magerem Verdienst der Erzieherinnen. Das ist anders geworden: Die Politik hat die Notwendigkeit einer professionellen Kinderbetreuung erkannt, wie es sie schon in der DDR als Voraussetzung für die Erwerbstätigkeit von Frauen gab. Und die Kitabeschäftigten haben sich zunehmend in Gewerkschaften organisiert und dann in Arbeitskämpfen höhere Verdienste durchgesetzt.
Davon sind vor allem Altenpflegerinnen weit entfernt, zumal zwei Drittel der Beschäftigten in diesem Bereich nur Teilzeit arbeiten. „Wir brauchen mehr Männer in den Frauenberufen“, meint Schröder. Viele Frauen würden sich noch mit der Rolle der Zuverdienerin begnügen und seien auch deshalb weniger bereit, ihre Interessen offensiv zu vertreten.
Anständige Bezahlung auf der Basis von Tarifverträgen ist für Schröder unverzichtbar. Ferner wünscht sich der Wissenschaftler eine Debatte über die Aufwertung der Berufe mit dem Ziel der Transformation „vom konservativen zum serviceorientierten Sozialstaat“. Dabei geht es gar nicht vorrangig um Geld. Das drängendste Problem, so berichtet Schröder über Beschäftigtenumfragen, sei die miserable Personalausstattung. Im Krankenhaus ebenso wie im Altenheim, in den Kitas und den Schulen nicht viel anders als bei Polizei und Feuerwehr.
Die Sinnhaftigkeit ist wichtiger geworden
Dabei wollen viele Menschen gerne in diesen Berufen arbeiten. „Die Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit ist wichtiger geworden“, hat Gerhard Timm beobachtet, der Geschäftsführer des Verbandes der Wohlfahrtsverbände. Rund 1,6 Millionen Beschäftigte, der ganz überwiegende Teil davon in den kirchlichen Organisationen Caritas (katholisch) und Diakonie (evangelisch), verdienen ihren Lebensunterhalt in den Wohlfahrtsverbänden, die per Gesetz zum Gemeinwohl verpflichtet sind. Mit Verdi verhandelt die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege derzeit über einen bundesweiten Tarifvertrag, der Timm zufolge spätestens in einem Jahr zu einer Verbesserung der Vergütung führen soll.
Mehr als 80 Prozent der Kosten im Pflegebereich entfallen auf das Personal, das – wenn überhaupt – nach einem von rund 1300 derzeit gültigen Tarifen bezahlt wird; mit regionalen Unterschieden von bis zu 25 Prozent zwischen Ost und West. Mehr als die Hälfte der Pflege wird hierzulande aber nicht von Wohlfahrtsverbänden, sondern von Privaten erledigt. Angesichts des Fachkräftemangels hat jedoch selbst ein Großteil der profitorientierten Firmen inzwischen Interesse an besseren Arbeitsbedingungen.
Zu einem Creative Bureaucracy Festival lädt der Tagesspiegel am 7. und 8. 9. in die Humboldt-Universität. Anmeldung unter www.gemeinwohl-als-beruf.de