Neuer Tarifvertrag: Mehr Geld für das Pflegepersonal
Ob es Einkommenserhöhungen von rund 25 Prozent für mehr als eine Million Pflegerinnen und Pfleger gibt, hängt jetzt von den Kirchen ab.
Die rund 1,2 Millionen Pflegerinnen und Pfleger können mit höheren Einkommen rechnen. Der Arbeitgeberverband BVAP verständigte sich mit Verdi auf einen „Tarifvertrag Altenpflege“, der in den kommenden zweieinhalb Jahren bis zu 25 Prozent mehr Geld vorsieht. Da dieser Vertrag indes nur für einen Bruchteil des Pflegepersonals gilt, hängt es von den Kirchen und dem Bundesarbeitsministerium ab, ob der Vertrag in der gesamten Branche angewendet wird. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) möchte das aus tarifpolitischen und finanziellen Gründen verhindern. „Bundesarbeitsminister Heil plant einen umfassenden Angriff auf die Tarifautonomie in der Pflege“, heißt es in einem BDA-Papier.
Arbeitgeber schimpfen über "politische Löhne"
Dem SPD-Politiker wird vorgeworfen, den Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären und damit „die Arbeitsbedingungen in einer Branche staatlich regeln“ zu wollen. Die Mehrkosten der „politisch gewünschten Löhne“, müssten entweder die Beitragszahler der Pflegeversicherung und/oder die Steuerzahler tragen, warnt der Dachverband der Arbeitgeber.
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Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sowie die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) haben sich auf folgende Maßnahmen verständigt. Für Helferinnen und Helfer steigen die Stundenlöhne zum 1. August 2021 um knapp einen Euro auf 12,40 Euro. Dann folgen weitere drei Schritte bis 14,40 Euro zum 1.6.2023. Für Pflegehelfer mit mindestens einjähriger Ausbildung geht es im gleichen Zeitraum und ebenfalls in mehreren Schritten von rund 12,40 Euro auf 15,25 Euro hoch. Das examinierte Pflegepersonal schließlich soll statt aktuell knapp 15 Euro bis Mitte 2023 18,75 Euro bekommen.
Kaum Gewerkschaftsmitglieder
Das klingt gut und ist doch umstritten, weil der erst 2019 gegründete BVAP nach eigenen Angaben nur 70 000 der knapp 1,2 Millionen Beschäftigten abdeckt. Das hochgelobte deutsche Tarifsystem greift nicht in der Pflege, weil sich weder ausreichend Arbeitnehmer (in Gewerkschaften) noch Unternehmen (in Arbeitgeberverbänden) organisieren. Deshalb kamen der Arbeiter-Samariter-Bund und die Arbeiterwohlfahrt auf die Idee, mit der BVAP einen Tarifverband zu gründen, dessen Tarifverträge dann mit Hilfe der Politik allgemeinverbindlich werden könnten. Sofern die Kirchen mitspielen.
Spezielles Arbeitsrecht für Kirchen
Für die Religionsgemeinschaften gilt hierzulande ein spezielles Arbeits- und Tarifrecht. Sie fallen auch nicht unter die Wirkung von Tarifverträgen, sondern die Arbeitsbedingungen werden von paritätisch besetzten Gremien oder Komissionen geregelt. Das gilt auch für die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Diakonie (Protestanten) und Caritas (Katholiken), die in der Altenpflege tätig sind. Ohne die Zustimmung dieser Organisationen hätte der Tarif von Verdi und BVAP keine Chance auf eine flächendeckende Anwendung.
Im Bundesarbeitsministerium heißt es, der Antrag auf Erstreckung der tarifvertraglichen Regelungen auf anderen Arbeitgeber in der Pflege „bedarf der Zustimmung der beiden angehörten Kommissionen aus dem kirchlichen Bereich“. Verdi und BVAP wiederum argumentieren, bei der Verhandlung des Tarifvertrags die Diakonie und die Caritas „angehört“ zu haben. Soll heißen: die kirchlichen Organisationen könnten wohl mit den Gehaltserhöhungen leben.
Ende Februar fällt die Vorentscheidung
Die Diakonie teilte am Montag mit, man unterstütze „nachdrücklich das gemeinsame Ziel, die Arbeitsbedingungen in der Pflege flächendeckend zu verbessern“. Mögliche Wege dahin führten über das Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (Allgemeinverbindlicherklärung eines Branchentarifvertrages) oder die Pflegemindestlohnkommission. Die unabhängige Arbeitsrechtlichen Kommission werde der Frage nachgehen, ob der Tarifvertrag „für die Diakonie zustimmungsfähig ist“. Am 25. Februar tritt das Gremium zusammen. Sollte der Tarifvertrag dort Zustimmung findet, könnte ein entsprechender Antrag beim Bundesarbeitsministerium eingereicht werden.
Das Heil-Ministerium prüft dann, ob es „im öffentlichen Interesse geboten“ ist, den Tarifvertrag allen Anbietern von ambulanten und stationären Pflegeleistungen zu verordnen.
Die Mehrkosten, darauf legen die Kirchen wehrt, dürften auf keinen Fall über höhere Eigenanteile bei den Pflegebedürftigen landen. Das hat der Bundesgesundheitsminister auch nicht vor: In den von Jens Spahn im vergangenen Herbst vorgelegten Eckpunkten einer Pflegereform ist die Bezahlung der Pflegekräfte durch die Pflegeversicherung vorgesehen. Einkommenssteigerungen müssten die Beitragszahler finanzieren - also auch die Arbeitgeber.