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Albrecht Gerber, Minister für Wirtschaft und Energie im Land Brandenburg, will die Kohleverstromung so lange wie möglich in der Lausitz halten
© promo

Braunkohle: „Manche Ausstiegspläne sind ein Witz“

Albrecht Geber, Wirtschaftsminister von Brandenburg, über die Zukunft der Lausitz, eine andere Energiewende und die Digitalisierung der mittelständischen Unternehmen.

Herr Gerber, haben Sie eine gute Flasche aufgemacht, als Jamaika geplatzt ist?

Dazu gab es für mich keinen Grund. Das Scheitern hatte offenbar damit zu tun, dass kein Vertrauen unter den potenziellen Partnern entstanden ist. Und die FDP hatte Angst, wieder in einer Koalition unterzugehen.

Die Frage bezog sich auf die klimapolitischen Vorstellungen der Grünen und den Ausstieg aus der Braunkohle. Jamaika wäre für die Lausitz bitter gewesen.

Ich bin allerdings der Auffassung, dass die Grünen falsche Vorstellungen von den Instrumenten und den Zeitabläufen der Energiewende haben. Wir können nicht gleichzeitig aus Kohle und Atom aussteigen. Und wir sollten uns nicht auf Strom aus anderen Ländern verlassen müssen, wenn die Erneuerbaren bei Dunkelflauten hierzulande nicht genügend Strom liefern. Selbstverständlich bleibt die Klimapolitik aber auch ohne Regierungsbeteiligung der Grünen auf der Agenda.

Und damit auch der Ausstieg aus der Kohle. 2018 endet hierzulande der Steinkohlebergbau; welches Jahr haben Sie für die Braunkohle im Auge?
Gar keins, weil ein politisch festgelegtes Ausstiegsdatum nur Augenwischerei ist. Für die Energieversorgung des Landes, auch der Hauptstadt Berlin, bleibt die Kohlewirtschaft noch viele Jahre unverzichtbar. Nämlich so lange, bis wir in der Lage sind, Strom aus erneuerbaren Energien im industriellen Maßstab zu speichern und damit das Land zuverlässig und zu jeder Zeit zu versorgen. Und was die CO2-Emissionen angeht: Da haben wir in Brandenburg – auch durch den Beitrag der ostdeutschen Energiewirtschaft – bereits eine erhebliche Reduktion geschafft und erfüllen die CO2-Minderungsziele des Bundes: eine Reduzierung von 40 Prozent zwischen 1990 bis 2020 und eine Reduzierung um 55 Prozent bis 2030.

Aber das ursprüngliche Reduzierungsziel bis 2030 wurde aufgegeben.
Wir haben dazu noch keinen formalen Beschluss, sondern erstmal eine Berechnung erstellt. Bislang hatten wir für die angestrebte CO22Reduktion ganz andere Annahmen – nicht nur in Brandenburg, sondern im gesamten Bundesgebiet: Wir gingen ursprünglich von längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke aus, von der Einführung der CCS-Technologie, also der unterirdischen Speicherung von CO2, von einem Bundesprogramm zur energetischen Gebäudesanierung. Aber auch von einem schwächeren Wirtschaftswachstum. Jetzt müssen wir uns die Karten neu legen, weil sich all diese Rahmenbedingungen verändert haben. Und dabei warten wir natürlich auch auf die Pläne der neuen Bundesregierung.

Es sieht nach Fortsetzung der großen Koalition aus, deren Energiepolitik Sie kritisieren. Die Kosten der Erneuerbaren veranschlagen Sie mit rund 650 Milliarden Euro, die vor allem ärmere Haushalte belasten.
Die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) garantierte Einspeisevergütung über 20 Jahre mit jährlichen Renditen von acht Prozent sind ein Traum – aber nicht für die Stromverbraucher, die das bezahlen müssen. Das läuft jetzt immerhin langsam aus, der Markt ersetzt nach und nach die Planwirtschaft, wodurch wir zu höherer Effizienz und niedrigeren Preisen kommen. Wir sollten aber auch überlegen, Neuanlagen aus dem System rauszunehmen und aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Das dämpft die EEG-Umlage und ist sozial gerechter.

Bei den Netzentgelten sind die Ostländer besonders belastet, weil es hier mehr grünen Strom gibt, der dann in die Gebiete mit hohem Verbrauch geleitet werden muss.
Bis 2023 wird das angeglichen. Das wird auch höchste Zeit, denn es werden ja nicht nur die privaten Haushalte, sondern auch die Unternehmen durch die hohen Netzgebühren belastet. Das ist die Kehrseite des Ausbaus der Erneuerbaren hier in Ostdeutschland.

Wenn es schön windig und sonnig ist, erzeugen Windräder und Solaranlagen heute schon rund ein Fünftel mehr Strom, als in Brandenburg gebraucht wird.
Das zeigt, wie wichtig Speicherung ist. Und wir brauchen Netze. Beim Netzausbau hängen wir bundesweit deutlich hinter dem Zeitplan her. Wenn es uns gelingt, aus der Stromerzeugung, der Speicherung und dem Transport ein funktionierendes und bezahlbares System zu schaffen, dann können wir über das Ende der fossilen Energieträger reden.

Dass wir aus der Braunkohle aussteigen müssen, bestreiten Sie nicht. Warum sträuben Sie sich so vehement gegen ein Datum, mit dem doch für alle Beteiligten Planungssicherheit erreicht würde?
Planungssicherheit brauchen wir vor allem auch für die Versorgungssicherheit und Preisstabilität. Wir müssen über den Einstieg in ein funktionierendes System der Erneuerbaren reden und nicht über einen Ausstieg aus der Kohle.

Spätestens 2040 ist auf jeden Fall Schluss.
Das Konzept der Leag – also der Lausitz Energie Bergbau AG und der Lausitz Energie Kraftwerke AG – sieht vor, dass in der ersten Hälfte der 2040er Jahre das letzte Kraftwerk abgeschaltet wird, und zwar im sächsischen Boxberg.

Die Klimaschützer von Agora schlagen einen sukzessiven Ausstieg vor: Jedes Jahr sollten 100 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt in die Lausitz fließen, um damit den Strukturwandel zu fördern. Nach gut 15 Jahren sollte dann das letzte Kraftwerk vom Netz gehen.
Agora hat das alles sehr klein gerechnet. 1,1 Milliarden Euro beträgt die direkte Wertschöpfung der Leag jedes Jahr, 500 Millionen davon sind Löhne und Gehälter und 600 Millionen werden in der Region für Investitionen, für Zulieferer und Dienstleister ausgegeben. Und dann zu sagen, wir geben 100 Millionen aus, für was auch immer – das ist doch ein Witz. Die Dimensionen sind ganz andere. Agora hat geringe Summen angesetzt, um die Jamaika-Verhandlungen im Sinne der Grünen zu beeinflussen.

Es gibt inzwischen eine Innovationsgesellschaft sowie eine Zukunftswerkstatt Lausitz mit vielen Akteuren und ein paar Dutzend Projekten für die Zeit nach der Kohle. Was ist besonders vielversprechend?
Die Lausitzer Landkreise haben auch eine gemeinsame Wirtschaftsförderungsgesellschaft mit den sächsischen Kreisen gegründet und wir sind seit mehr als zwei Jahren vor Ort engagiert. Die Lausitzer haben zwei Anliegen: Gebt uns Zeit für den Strukturwandel und bezieht uns ein. Das haben wir gemacht. Im Ergebnis haben wir eine lange Projektliste: Unterstützung der Firmen bei der Suche nach neuen Geschäftsfeldern, Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, Ansiedlung von Forschungseinrichtungen und Bundesinstitutionen, um nur einige zu nennen.

Gibt es schon so etwas wie Aufbruchstimmung in der Lausitz?
Die Menschen sind erstmal in Sorge. Und sie dürfen nicht das Gefühl haben, „die schalten uns vorzeitig ab und wir haben hier keine Perspektive“. Dann haben wir keine Aufbruchstimmung, sondern Untergangsdebatten.

Erklärt das den Erfolg der AfD, die in der Lausitz die meisten Stimmen bekommen hat bei der Bundestagswahl?
Das hat auch eine Rolle gespielt. Wir müssen, auch als SPD, die Nöte und Sorgen der Menschen in der gewerblichen Wirtschaft aufnehmen. Das wird im Übrigen auch in der EU mittlerweile gesehen. An diesem Montag bin ich in Straßburg bei der Auftaktveranstaltung zu einer sogenannten Kohleplattform. Das könnte ein nützliches Instrument werden, um die Transformationsprozesse EU-weit in über 40 Kohleregionen zu unterstützen.

2017 bleiben in Brandenburg rund 1600 Ausbildungsplätze unbesetzt. Gehen dem Land die Leute aus?
Wir haben deutschlandweit immer weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter – trotz leicht ansteigender Geburtenrate. Ich halte es für unerlässlich, dass die nächste Bundesregierung ein Einwanderungsgesetz zustande bringt, das sich an den Anforderungen des Arbeitsmarktes orientiert. Deutscher Pass gegen Qualifikation, das ist der Weg.

Demografie und Digitalisierung sind die Megathemen der Zeit. Erkennt die mittelständische brandenburgische Wirtschaft die Möglichkeiten der Digitalisierung?
Nach und nach. Leistungsfähiges Internet ist inzwischen so wichtig wie Straßen oder Schienenwege, und wir müssen hier im gesamten Bundesgebiet viel mehr Geld in die Hand nehmen. Aktuell stellt der Bund für den Breitbandausbau vier Milliarden Euro zur Verfügung. Wenn wir Gigabitgeschwindigkeiten erreichen wollen, brauchen wir 100 Milliarden Euro. Autonomes und vernetztes Fahren, Telemedizin und Internet der Dinge – das funktioniert alles nur, wenn man unterbrechungsfrei Daten verschicken kann. Für den Erhalt von Wirtschaftsräumen, gerade auch von ländlichen Regionen, ist das überlebenswichtig.

Wie digital ist Brandenburg?
Da ist noch Luft nach oben. Häufig wissen die Firmen nicht genau, wo sie ansetzen sollen, weil sie auch nicht die Leute haben, die sich damit beschäftigen. Unser „Brandenburger Innovationsgutschein digital“, den wir im Frühling eingeführt haben, wird stark nachgefragt. Mit bis zu 600 000 Euro können wir Unternehmen unterstützen. Viele Firmen sorgen sich auch um die Datensicherheit. Gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik in Frankfurt an der Oder schaffen wir deshalb eine Anlaufstelle für Firmen, wo sie sich zu Sicherheitsthemen beraten lassen können.

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