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Kartellabsprachen sind keine Kavaliersdelikte, das haben die Unternehmen verstanden, sagt der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt.
© Kai-Uwe Heinrich

Bundeskartellamtschef Andreas Mundt im Interview: "Man kann heute kaum noch sein Handy wechseln"

Präsident Andreas Mundt über Datenprobleme beim Anbieterwechsel, die Zerschlagung von Google, billigen Sprit und Preisabsprachen im Einzelhandel.

Herr Mundt, war 2014 ein erfolgreiches Jahr für Sie?

Wir waren insbesondere bei der Kartellverfolgung sehr erfolgreich, da wir mehrere große Fälle abschließen konnten. Viele der Kartelle haben verbrauchernahe Bereiche betroffen. Mit unserer Arbeit haben wir so ganz unmittelbar etwas für die Verbraucher tun können.

Sie haben in diesem Jahr Wurst-, Zucker- und Bierkartelle auffliegen lassen. Warum häufen sich die Fälle im Lebensmittelbereich so?

Wenn es um Lebensmittel geht, ist die Aufmerksamkeit bei den Verbrauchern immer besonders hoch. Das verzerrt die Wahrnehmung ein wenig. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe weiterer Kartellfälle nennen, Betonpflastersteine, Tapeten, Bergbau, die wir in diesem Jahr abgeschlossen haben - aber darüber wird weniger berichtet als über Konsumgüter.

Sind die Hersteller gezwungen, sich zusammenzuschließen, weil sie von Edeka, Rewe, Aldi und Lidl in die Enge getrieben werden?

Zunächst einmal: Selbst wenn es so wäre, kann dies keine Rechtfertigung für illegales Verhalten sein. Auf Herstellerseite finden wir in Deutschland ein sehr heterogenes Bild vor. Es gibt sehr viele kleine Lieferanten, die ihre Mühe haben, sich gegen die Verhandlungsmacht der vier großen Handelsketten, Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe mit ihren Lidl und Kaufland Märkten und Aldi durchzusetzen. Es gibt aber auch einige große Hersteller mit bekannten Markenprodukten, sogenannten Must-haves. David gegen Goliath - das stimmt also zumindest nicht durchgängig.

Die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel könnte jetzt aber noch zunehmen. Edeka will Tengelmann übernehmen. Lassen Sie das zu?

Das ist ein laufender Fall, und wir prüfen das. Mehr kann ich im Moment dazu nicht sagen.

Fliegen Kartelle heute schneller auf als früher?

Ja, wir haben seit einigen Jahren mehr Ressourcen in die Kartellverfolgung gesteckt, und wir profitieren sehr von der Kronzeugenregelung.
Können sich Hersteller überhaupt noch Absprachen erlauben? Sie müssen doch immer damit rechnen, dass ein Beteiligter auspackt, um straffrei davon zu kommen.

Die Unternehmen sind vorsichtiger geworden. Kartelle werden heutzutage sehr viel häufiger entdeckt. Wenn sie erst einmal in ein Kartell verstrickt sind, gibt es nur eine Methode, straffrei davonzukommen, nämlich, das Kartell gegenüber unserer Behörde offenzulegen. Selbst wenn Sie aussteigen, müssen Sie sonst immer damit rechnen, dass jemand anderes das Kartellamt informiert. Die Unternehmen haben inzwischen verstanden, dass Kartellabsprachen keine Kavaliers-, sondern ernstzunehmende Delikte sind. Das liegt nicht nur an den Bußgeldern, sondern auch an den hohen Schadensersatzforderungen, die sich anschließen können.

Wer fordert Schadensersatz?

Im Moment geht beispielsweise die Deutsche Bahn gegen das Luftfrachtkartell vor, das Kerosinzuschläge abgesprochen hatte. Die Deutsche Bahn ist von vielen Kartellabsprachen direkt oder indirekt betroffen, da das Unternehmen so viele verschiedene Güter nachfragt. Das beginnt bei den Schienen und hört beim Kaffee für das Zugrestaurant auf. Und wenn ein Unternehmen aufgrund eines Kartells zu viel bezahlt hat, kann es Schadensersatz verlangen. Viele Firmen beantragen bei uns Akteneinsicht, weil sie zivilrechtliche Ansprüche gegen die Mitglieder eines Kartells geltend machen wollen.

Müssen Manager auch persönlich haften, wenn Sie Kartelle bilden?

Kartellabsprachen sind keine Kavaliersdelikte, das haben die Unternehmen verstanden, sagt der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt.
Kartellabsprachen sind keine Kavaliersdelikte, das haben die Unternehmen verstanden, sagt der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt.
© Kai-Uwe Heinrich

Ja, auch den verantwortlich handelnden Personen drohen Bußgelder.

In einigen Ländern müssen sie sogar in Haft.
Das ist richtig. In den USA beträgt die durchschnittliche Strafe für Kartellverstöße sogar 24 Monate. In den meisten europäischen Ländern beschränken wir uns auf Bußgelder, wobei die Unternehmen und nicht die Manager im Fokus der Verfolgungsbehörden stehen. Ich favorisiere dieses System. Wir erzielen damit auch die erwünschte Abschreckungswirkung.
Können Unternehmen die Bußgelder von der Steuer absetzen?
Nein.
Wer bekommt die Bußgelder?

Wir haben in diesem Jahr Bußgelder von über einer Milliarde Euro verhängt. Das Geld fließt in den Bundeshaushalt.

Die einzigen, die dumm da stehen, sind die Verbraucher. Für die gibt es keinen Schadensersatz.
Na ja, über den Bundeshaushalt kommen ihnen die Bußgelder mittelbar auch zu Gute. Außerdem muss man sehen, dass die Schäden, die beim einzelnen Verbraucher auflaufen, meist eher gering sind. Die hohen volkswirtschaftlichen Schäden entstehen durch die Summe der vielen Geschädigten. Für die Konsumenten ist es wichtiger, dass die Kartelle abgestellt werden, der Wettbewerb in einer Branche wieder in Gang kommt und die Preise sinken.

In einigen Bereichen zahlen Verbraucher heute weniger als früher, beim Benzin etwa und beim Strom. Hat sich Ihre Arbeit hier erledigt?

Kraftstoffe sind derzeit vergleichsweise günstig. Aber das heißt nicht, dass hier nichts mehr zu tun wäre. Es gibt nach wie vor fünf große Mineralölkonzerne in Deutschland, die über die Mehrzahl der Tankstellen verfügen und über gemeinsame Raffinerien und Pipelines eng miteinander verbunden sind. Deren Verhalten schauen wir uns an, egal, ob der Sprit gerade billig oder teuer ist. Aber Sie haben Recht, die Zeiten ändern sich. Als ich vor fünf Jahren Präsident des Bundeskartellamts wurde, stellte man mir regelmäßig die Interviewfrage nach einer Entflechtung der Stromkonzerne, auch weil der damalige Wirtschaftsminister Brüderle einen Gesetzentwurf zur Entflechtung vorgelegt hatte. Zwei Jahre später, nachdem wir unsere Sektoruntersuchung zum Kraftstoffbereich vorgelegt hatten, wurde in der Öffentlichkeit diskutiert, ob man die Mineralölkonzerne zerlegen sollte. Jetzt regt das EU-Parlament an, eine Zerschlagung von Google in Betracht zu ziehen.

Dass Benzin billig ist, liegt das auch an Ihrer Markttransparenzstelle, die die Spritpreise deutschlandweit erfasst?

Das kann man schwer beurteilen, weil der Benzinpreis von sehr vielen Faktoren abhängt. Aber wenn viele Autofahrer die Preise vergleichen und konsequent die preiswerteste Tankstelle in ihrer Umgebung ansteuern, steigt auch der Druck auf die Mineralölkonzerne, wettbewerbskonforme Preise zu setzen.

Und wie teuer ist Berlin im Vergleich mit anderen Großstädten?

Da gibt es keine erwähnenswerten Unterschiede zu anderen Großstädten.

Zurück zu Google. Sollte Google zerschlagen werden?

Die Zerschlagung eines Unternehmens ist ein gravierender Schritt, der weltweit in der modernen Wirtschaftsgeschichte erst ganz selten zur Anwendung gekommen ist. Man läuft Gefahr, damit auch die Innovationskraft und die Dynamik eines Unternehmens abzuschneiden. Man kann ein Unternehmen nicht nur deshalb zerschlagen, weil es groß ist. Die Wettbewerbsbehörden haben verschiedene andere Möglichkeiten, den freien Wettbewerb auch in Bezug auf große Unternehmen wie Google zu sichern. Die Europäische Kommission führt derzeit ein Missbrauchsverfahren gegen Google. Warten wir ab, was dabei herauskommt. Das Thema Google geht außerdem weit über das Wettbewerbsrecht hinaus. Daten- und Verbraucherschutz, Steuerthemen sind mindestens ebenso wichtige Baustellen wie die kartellrechtliche Problematik.

Muss sich Google keine Sorgen machen?

Kartellabsprachen sind keine Kavaliersdelikte, das haben die Unternehmen verstanden, sagt der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt.
Kartellabsprachen sind keine Kavaliersdelikte, das haben die Unternehmen verstanden, sagt der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt.
© Kai-Uwe Heinrich

Das würde ich so nicht sagen. Die Wettbewerbsbehörden sind aktiv, und das zu Recht. Wir haben es aber mit einer sehr komplexen Thematik zu tun. Bei den großen Internetplattformen wirken andere ökonomischen Mechanismen als in traditionellen Wirtschaftsbereichen. Es stellen sich neue Fragen. Welche Auswirkungen haben die sogenannten Netzwerkeffekte? Wie weit reicht das Missbrauchsverbot im Kartellrecht? Verhält sich Google tatsächlich missbräuchlich? Verschafft die Datenfülle Google einen Vorsprung, dem wir mit dem Wettbewerbsrecht begegnen können und müssen?

Daten sind die neue Währung.

So lautet ein Schlagwort, aber juristisch ist für diese Märkte bislang vieles noch nicht geklärt. Wenn man gegen die großen Internetunternehmen vorgehen will, muss man zunächst mal die wettbewerbsrechtlichen Probleme analysieren und hinterher muss das auch vor Gericht Bestand haben. Wir werden im Kartellamt zukünftig mehr Ressourcen zur Klärung der Fragen im Bereich der Online-Plattformen einsetzen. Ob die kartellrechtlichen Instrumente an der einen oder anderen Stelle nachjustiert werden müssen, kann man erst nach einer umfassenden Problemanalyse sagen.

Was ist aus den vielen Fällen geworden, die Sie zu Google auf Ihrem Tisch haben? Etwa dem Streit zwischen Google und den Verlegern über die Frage, ob Google Anreißer von Texten veröffentlichen darf.

Die meisten Beschwerden sind von uns, wie auch von anderen nationalen Wettbewerbsbehörden in Europa, nach Brüssel weitergeleitet worden, weil diese grenzüberschreitenden Fragen dort einfach besser aufgehoben sind. Hinsichtlich des Streits zwischen VG Media und Google über die Veröffentlichung von Textausschnitten liegt uns ein Antrag von Google vor, festzustellen, welche Verhaltensweisen kartellrechtlich unbedenklich sind. Ob wir hierzu eine abschließende Entscheidung treffen werden, ist derzeit noch offen. Wir sind ja schon erfolgreich mit Internet-Plattformen umgegangen, denken Sie an Amazon. Amazon hat auf unsere Intervention hin seine Best-Price-Klausel für den Amazon-Marktplatz zurückgezogen, die Händler verpflichtete, nirgendwo günstigere Preise zu verlangen als auf dem Marktplatz. Doch nicht alle Probleme lassen sich mit dem Kartellrecht lösen. Hier ist auch die Politik gefragt.

Was soll sie tun?

Sie muss gleiche Rahmenbedingungen für die Wettbewerber schaffen. Nehmen Sie beispielsweise die Medienbranche. Die Medien sind streng durchreguliert, beim Rundfunk wird minutiös darüber gestritten, wann Werbung laufen darf und wann nicht. Meine Kinder schauen sich die Filme aber längst über Youtube an, und da fragt keiner nach, wann, ob und welche Werbung kommt. Auch beim Thema Datenschutz haben wir es mit zwei Welten zu tun. Wenn Telekommunikationsunternehmen Daten sammeln wollen, gibt es Proteste, aber Google und Facebook können ihren Datenschatz unkontrolliert vergrößern. Die Wettbewerber begegnen sich hier nicht auf Augenhöhe, das muss geregelt werden.

O2 übernimmt E-Plus, auch in anderen Ländern gibt es Fusionen auf dem Telekommunikationsmarkt. Steht dahinter der Kampf um die Netze?

Wir hatten in den vergangenen Jahren bereits in vier europäischen Ländern große Mobilfunkfusionen. In den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU bilden sich immer größere Unternehmen, die aber alle nur national agieren können. Es gibt de facto noch keinen europäischen Mobilfunkmarkt. Auch hier ist die Politik gefragt. Es gibt jede Menge offene Fragen. Auch ganz verbrauchernahe.

Was meinen Sie?

Beim Wechsel des Telefonanbieters ist inzwischen gesetzlich geklärt, dass Kunden ihre Nummer zum neuen Anbieter mitnehmen können. Aber was ist mit den Daten? Wenn Sie ein Android-Handy haben und zu IOS, also Apple, wechseln wollen, ist es mitunter sehr schwierig, die Daten, die Sie auf Ihrem Android haben, mitzunehmen - umgekehrt natürlich genauso.

Das Gespräch führte Heike Jahberg.

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