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Gerade jetzt sind viele Menschen auf Lieferdienste angewiesen. Doch den Fahrern fehlt der Infektionsschutz.
© dpa

Zu wenig Desinfektionsmittel und Handschuhe: Lieferando-Fahrer werden kaum geschützt

Lieferdienste wie Lieferando sind die Profiteure der Corona-Krise. Doch ihre Fahrer klagen über unzureichende Schutzmaßnahmen.

Wenn Luise* das Essen aus dem Rucksack holt und vor die Tür des Kunden legt, schämt sie sich manchmal. Die Lieferando-Fahrerin fühle sich nicht gut genug geschützt – und der Kunde wisse von nichts. So wie Luise geht es vielen anderen Ridern. In einer Online-Petition fordern sie bessere Schutzmaßnahmen – Lieferando zeigt erste Reaktionen.

Lieferando ist der deutsche Marktführer im Bereich der Lieferdienste. Seitdem der niederländische Mutterkonzern TakeAway in den vergangenen Jahren Konkurrenten wie etwa Foodora oder Lieferheld aufgekauft hat, prägen die Fahrer mit den orangenen Rucksäcken das Straßenbild vieler Großstädte.

Nach eigenen Angaben hat Lieferando seit der Krise deutschlandweit 2500 neue Restaurants aufgenommen. Aufgrund der Corona-Maßnahmen sollen viele gelistete Lokale ihre Türen geschlossen haben. Lieferdienste gelten angesichts der Kontaktsperre als systemrelevant: Restaurants können nicht mehr öffnen, doch die Rider fahren weiterhin. Davon profitieren angeschlagene Gastronomen, Menschen in Quarantäne – und die Lieferdienste selbst.

Abholung und Lieferung laufen kontaktlos

Die Fahrer spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie holen das Essen in den Restaurants ab und fahren es zum Kunden. In Zeiten von Corona ist aber alles etwas anders: Abholung und Lieferung laufen kontaktlos ab. Wie Lieferando dem Tagesspiegel mitteilt, seien alle Fahrer in Sicherheits- und Gesundheitsmaßnahmen geschult worden. Wie das Unternehmen einräumt lediglich via E-Mail und Fahrer-App.

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„Das ist ein totaler Betrug am Kunden“, sagt Luise. Die 48-jährige Fahrerin fühlt sich von Lieferando alleingelassen. So werde häufiges Händewaschen empfohlen, auch die Verwendung von Desinfektionsmittel nahegelegt. In der Praxis stelle sich das als problematisch dar. Wie Luise und auch andere Fahrer berichten, verwehren ihnen viele Restaurants den Zutritt: „Auf Toilette gehen ist nicht möglich, auch Händewaschen ist dann nicht mehr drin“, sagt Luise.

Nur drei von 400 Restaurants lassen die Fahrer ihre Toiletten benutzen

Sie erzählt, dass es in Köln bei aktuell etwa 400 Fahrern drei Restaurants gebe, die eine Nutzung der Waschräume zulassen. Lieferando wisse von diesem Problem, ergreife entsprechende Maßnahmen. Aber: "Im Zusammenhang der aktuellen Lage sind wir auf die Mitarbeit unserer Restaurantpartner angewiesen", heißt es von einer Sprecherin. So würden die Restaurants kontaktiert werden - zudem entwickle Lieferando Prozesse, um die Fahrer auf öffentliche Toiletten lotsen zu können.

Weitere Desinfektionsmöglichkeiten bestehen laut Lieferando in den sogenannten Hubs. Das sind die Orte, an denen in manchen Städten Fahrräder und Materialien gelagert werden - und von denen die Kuriere dann losradeln. Solche Hubs gibt es jedoch nicht überall. Für Fahrer, die keinem Hub angeschlossen sind, habe Lieferando deshalb alternative Verteilungsmethoden organisiert. Drei Fahrer aus unterschiedlichen Städten haben dem Tagesspiegel bestätigt, dass sie ihr Desinfektionsmittel erst im Laufe dieser Woche erhalten haben.

Die Fahrer fordern: Desinfektionsmittel für alle

In einer Petition, die vergangene Woche veröffentlicht wurde, fordern der ehemalige Fahrradkurier Orry Mittenmayer und fast 8.500 Unterzeichner mehr Schutz. Sie fordern Desinfektionsmittel für alle Fahrer, Schutzkleidung und bessere Arbeitsbedingungen.

In der Petition fordern die Fahrer zudem faire Betriebsratswahlen. Sie wird auch von der Politik unterstützt: "Den Umgang mit den Ridern bei Lieferando fand ich schon länger unterirdisch. Die Schilderungen, die mich jetzt von den Ridern zu ihren Arbeitsbedingungen in Corona-Zeiten erreichen, setzen einen neuen Tiefpunkt", sagt Bernd Riexinger, Co-Vorsitzender der Linken, dem Tagesspiegel.

Viele liefern das Essen notgedrungen ohne Handschuhe aus

"Aus der aktuellen Situation ist es so, dass Lieferando bewusst das Risiko eingeht, dass sich die Fahrer anstecken", sagt Orry Mittenmayer, der die Initiative "Liefern am Limit" der Gewerkschaft NGG ins Leben gerufen hat. So sei es brandgefährlich, dass ohne Handschuhe Essen ausgeliefert werde, zudem sei auch Desinfektionsmittel nicht flächendeckend verteilt worden - und falls doch, sei dieses nicht antiviral.

Lieferando sieht sich hingegen gut ausgerüstet. "Die grundsätzlich, primäre Maßnahmen ist immer das regelmäßige Händewaschen. Das Desinfektionsmittel ist, wie bereits beschrieben, eine zusätzliche Maßnahme", sagt eine Sprecherin des Unternehmens. Die langen Lieferzeiten begründet das Unternehmen mit den derzeitigen Lieferschwierigkeiten.

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Das verteilte Desinfektionsmittel sei nach Angaben von Lieferando vom Hersteller als virentötend eingestuft worden. In einer internen Prüfung sei anschließend festgestellt worden, dass das Gel einen zu geringen Alkoholgehalt aufweise. Am Mittwoch stellte Lieferando in einer internen E-Mail klar, dass das versandte Gel nicht zur Corona-Prävention geeignet sei - und bat die Fahrer, selbst ein Produkt mit mindestens 70 Prozent Alkoholgehalt zu kaufen.

Fahrer sollen Desinfektionsmittel jetzt selbst besorgen

Dazu hat das Unternehmen am Mittwoch eine Pauschalentschädigung angekündigt: So werde es seine Fahrer weiterhin mit "bestimmten Desinfektionsprodukten" versorgen und zusätzlich einen Auslagenersatz einführen, der sich an den Produktpreisen orientiere und auch die geleisteten Schichten in den vergangenen Monaten miteinbeziehe. Lieferando erwarte außerdem, dass der Rucksack nach jedem Einsatz gereinigt werde. Der Betrag sei auch für Gesichtsmasken oder Handschuhe gedacht, die aber nicht obligatorisch seien. Trotzdem hat das Unternehmen laut eigenen Angaben auch Mundschutze in großen Mengen bestellt - und plant, diese zeitnah zu versenden.

"Für mich wäre es nur wichtig, dass man sich mal die Hände waschen kann", sagt Luise. Ihr Arbeitsalltag hat sich seit der Corona-Krise verändert. Sie fährt in Teilzeit, muss von dem Job leben. Auch Trinkgeld gebe es wegen des Kontaktverbots seltener. Wie Luise erzählt an manchen Tagen gar nicht. Eine Online-Lösung, wie sie beim ehemaligen Konkurrenten Deliveroo gab, sucht man in der Lieferando-App vergebens. Das Unternehmen versicherte dem Tagesspiegel jedoch, dass an einer solchen Lösung mit Hochdruck gearbeitet werde. *Name von der Redaktion geändert

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