Freihandelsabkommen: Letzte Verhandlungsrunde, doch keine Einigkeit über TTIP
Ist das Freihandelsabkommen TTIP noch zu retten? Die Chefunterhändler sagen ja, die SPD nein.
Es ist nicht irgendeine Verhandlungsrunde, die an diesem Freitag zu Ende gegangen ist. Seit 2013 verhandeln die EU-Kommission und die USA über den Abschluss eines Freihandelsabkommens. An diesem Freitag wollten die Verhandler eigentlich einen Strich unter die Gespräche machen. Doch von Einigkeit kann keine Rede sein. In vielen Punkten sind Europa und USA weit auseinander. So weit, dass Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) TTIP eigentlich keine Chance mehr gibt. „Es ist tot, wenn nichts rauskommt und die USA weiterhin Forderungen stellten, die Europa nicht erfüllen darf und kann“, hatte Gabriel kürzlich dem Tagesspiegel gesagt.
Die Chefunterhändler sehen das anders. „Wir befinden uns in einem fortgeschrittenen Stadium der Verhandlungen, aber natürlich bleibt noch viel zu tun“, sagte EU-Verhandler Garcia Bercero am Freitag. Anders als geplant lägen noch nicht zu allen 30 Verhandlungskapiteln konsolidierte Texte vor. Mit politischem Willen und harter Arbeit könne es aber dennoch gelingen, die Verhandlungen noch vor Jahresende abzuschließen, betonte US-Chefunterhändler Daniel Mullaney am Freitag in Brüssel. Die härtesten Verhandlungen stünden aber noch aus, räumte Mullaney ein. Sollte kein Abschluss in diesem Jahr gelingen, drohen deutliche Verzögerungen.
Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, will noch während der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama die größten Brocken aus dem Weg geräumt haben, brisante Konflikte sollen im Herbst von Obama, Juncker und wichtigen Regierungschefs wie Angela Merkel und Francois Hollande gelöst werden.
Gibt es noch eine Chance für TTIP?
Wohl nicht – auch wenn die Unterhändler am Freitag Optimismus verbreitet haben. Denn selbst wenn es einen Kompromiss geben sollte, müsste der anschließend von den nationalen Parlamenten abgesegnet werden, in Deutschland sogar von Bundestag und Bundesrat. Sagt nur eines der 28 EU-Mitgliedsländer nein, ist das Abkommen tot. In vielen EU-Staaten gibt es große Kritik an TTIP, auch in Deutschland. Debatten über Chlorhühner, Gen-Food oder Wachstumshormone zeigen Wirkung. Hinzu kommt die Angst vor der Übermacht großer US-Konzerne, die Verbraucherschutzstandards außer Kraft setzen. Prominente Sozialdemokraten haben bereits ihren Widerstand angekündigt. Wenn sich die Amerikaner nicht bewegen, und alles andere käme einem Wunder gleich, „wird es keine Zustimmung der SPD geben können“, sagte SPD-Vize Ralf Stegner dem Tagesspiegel.
Hinzu kommt der Machtwechsel in den USA. Im Januar endet die Amtszeit von Obama, der sich stets für TTIP eingesetzt hat. Egal ob ihm Hillary Clinton oder Donald Trump nachfolgen, beide brennen nicht gerade für TTIP. Und selbst wenn: Die neue Regierungsmannschaft wäre frühestens Ende 2017 in der Lage, die Verhandlungen weiterzuführen. Sollte die US-Präsidentschaft dann bereits ausverhandelte Teile nachverhandeln wollen, bräuchte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström zudem ein neues Mandat. Ob sie das bekäme, ist keinesfalls sicher.
Was soll TTIP bringen?
Das Freihandelsabkommen würde die größte Freihandelszone der Welt schaffen. 800 Millionen Menschen würden in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum von Kalifornien bis Rumänien leben. Das sind zwar nur zwölf Prozent der Weltbevölkerung, auf sie entfällt aber die Hälfte der Wirtschaftsleistung. Mit einem Volumen von 173,2 Milliarden Euro sind die USA der größte Handelspartner Deutschlands vor Frankreich. TTIP soll tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemnisse beseitigen. Zölle sollen verschwinden, technische Standards angeglichen werden.
Gleiche Rückleuchten für Autos in Europa und den USA, gleiche Stecker, gleiche Kabel würden für die Hersteller Produktionskosten senken und den bürokratischen Aufwand lindern. Eine Annäherung bei regulatorischen Fragen würde zudem den Zugang von Unternehmen zu den jeweiligen Märkten erleichtern. Das soll die Preise senken, Wachstum bringen, Arbeitsplätze sichern. „Es ist wichtig, dass Europa und die USA trotz Brexit unbeirrt auf Freihandel setzen und daran festhalten, bis Jahresende grundlegende Elemente eines Abkommens zu verabreden“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Eric Schweitzer, dem Tagesspiegel.
Ist die deutsche Wirtschaft für TTIP?
Die großen Konzerne und Wirtschaftsverbände schon. Doch einige kleine und mittlere Unternehmen sehen das anders. „Ceta nicht ratifizieren, TTIP-Verhandlungen abbrechen“, fordert die Aktion „KMU gegen TTIP“, zu der sich 500 kleine und mittelständische Firmen aus ganz Deutschland zusammengeschlossen haben. Nach eigener Aussage handelt es sich bei ihnen um einen repräsentativen Querschnitt aus allen Branchen. Die Kritiker aus der Wirtschaft bemängeln Grundunterschiede bei der Produktstandardisierung und bei Siegeln und glauben nicht, dass TTIP Abhilfe schafft. Während im EU-Raum etwa das CE-Kennzeichen universell gilt, gäbe es in den USA einen „Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen“, sagt Guido Körber von der Initiative. Eine Anpassung der Standards, räumt auch Berend Diekmann (FDP) ein, Referatsleiter im Wirtschaftsministerium, sei „vor den nächsten zehn bis 20 Jahren nicht zu erwarten“.
Worüber wird gestritten?
Es gibt vor allem drei große Baustellen: die Frage der Schiedsgerichte, das Beschaffungswesen und den Verbraucherschutz. Die Amerikaner möchten Konflikte von privaten Schiedsgerichten entscheiden lassen, die Europäer fordern einen transatlantischen Gerichtshof für Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten. Das soll verhindern, dass private Konzerne über Schiedsverfahren rechtliche Reformen verhindern. Die neue, kanadische Regierung hat sich bei Ceta anders als ihre Vorgänger auf das EU-Modell eingelassen.
Wenn die öffentliche Hand in den USA Aufträge vergibt, werden bislang US-Unternehmen bevorzugt. Diese „Buy-American“-Klausel will die EU zu Fall bringen, damit auch europäische Firmen zum Zuge kommen.
Grundsätzlich schwierig sind zudem die unterschiedlichen Ansätze im Verbraucherschutz. In der EU gilt das Vorsorgeprinzip, das heißt, Verbraucher sollen vor Gefahren geschützt werden. In den USA steht dagegen die Kompensation für Schäden im Vordergrund. Hohe Schadensersatzzahlungen sollen abschreckend wirken und Firmen so zu verbraucherfreundlichem Verhalten zwingen. Problematisch ist diese unterschiedliche Herangehensweise etwa bei Chemikalien. Die EU-Verordnung Reach sieht vor, dass neue Stoffe nur in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn ihre Ungefährlichkeit bewiesen ist. US-Firmen sehen darin ein Hindernis für den Marktzutritt.
Wo ist man sich einig?
Völlig fruchtlos waren die Verhandlungen nicht. Weitestgehend einig ist man sich beim Abbau von Zöllen auf Industrieprodukte und Fischwaren. Allerdings sind die Zölle meist nicht sonderlich hoch. Im Schnitt zahlen Europäer für Exporte in die USA 2,8 Prozent, allerdings können für Textilien und Lederwaren auch schon mal über 50 Prozent anfallen. Und auch bei technischen Regeln und Standards könnten sich EU und USA einigen. In der jüngsten Runde hat es zudem Fortschritte bei kleinen und mittleren Unternehmen gegeben, die nun ein eigenständiges Kapitel bekommen sollen.
Der oberste deutsche Verbraucherschützer, Klaus Müller, rät der Politik, diese Chance zu nutzen. „Dass die Verhandlungen nicht vorankommen zeigt, dass EU und USA stark unterschiedliche Regulierungsmodelle haben und unterschiedliche Ziele mit TTIP verfolgen“, sagte Müller dem Tagesspiegel. Ein Abkommen um jeden Preis würde ganz klar Verbraucherschutzstandards gefährden.
Ein Ausweg wäre nach Meinung des Chefs des Bundesverbands der Verbraucherzentralen der Abschluss eines „kleinen“ TTIP-Abkommens, das sich auf unkritische technische Bereiche, eine freiwillige Kooperation zwischen Behörden und Zollsenkungen konzentriert. „Es würde verbraucherpolitische sensible Bereiche ausklammern und so TTIP noch ermöglichen“, wirbt Müller. Die Unterhändler von USA und EU sehen das anders. „Ein TTIP light ist nicht genug“, sagte Bercero.