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Die Luftfahrtbranche wird für Berlin immer wichtiger: Lauter Flugzeuge

Die Industrie erlebt goldende Zeiten. Flughafen-Gegner finden daher kaum noch Gehör.

Wenn der Alte Fritz das hören könnte: Würde er es hören wollen? Am morgigen Montag versammeln sich die Unterstützer der FBI, der Friedrichshagener Bürgerinitiative, am Fuße der Statue Friedrichs des Großen. Die steht direkt an der Flaniermeile des Stadtteils im Südosten Berlins. Bei ihrem dann mittlerweile 149. „Montagsprotest“ werden sie für den Großflughafen BER unter anderem eine Betriebspause zwischen 22 und 6 Uhr fordern. Auch solle keine Airline dort einen Drehkreuzbetrieb einrichten, weil ja das mit noch mehr Flugverkehr verbunden wäre.

Die FBI protestiert so hartnäckig wie keine andere Gruppe gegen Fluglärm in und um Berlin, dann und wann auch im Regierungsviertel. Da schließen sich mitunter auch Gruppen an, die ganz grundsätzlich gegen immer mehr Fliegerei sind, aus ökologischen Gründen. Wirklich gehört aber werden sie alle in der Hauptstadt nicht. Ob Landes- oder Bundespolitiker, ob Unternehmer oder Verbandsvertreter: Sie ignorieren die Ängste der Flughafenanwohner im Berliner Süden wie auch sonst überall, wo Flughäfen ausgebaut werden. Die Branche ist mittlerweile einfach zu wichtig – nicht nur für regionale Dienstleistungen, den Tourismus, sondern als industrieller Arbeitgeber. Diese Teilbranchen gedeihen nur zusammen.

Immerhin 5000 neue, meist hochqualifizierte Jobs schufen allein die Hersteller und Zulieferer von Flugzeugen und Raumfahrtgerät im vergangenen Jahr, teilte der Branchenverband BDLI vergangene Woche mit. Die Zahl der Beschäftigten stieg innerhalb eines Jahres um knapp fünf Prozent auf 105 500. Der Gesamtumsatz der insgesamt 215 bundesweit im BDLI organisierten Unternehmen stieg in Deutschland um 7,8 Prozent auf 30,6 Milliarden Euro. Sie exportieren mittlerweile 60 Prozent ihrer erzeugten Güter.

Der Verband wird dominiert von dem europäischen Airbus-Konzern, der allein 5600 Flugzeugbestellungen im Gesamtwert von 630 Milliarden Euro in den Auftragsbüchern stehen hat. Die Summe entspricht grob dem Bundesetat zweier Jahre. Acht Jahre lang kämen die Airbus-Werke und ihre Zulieferer ohne weitere Bestellungen aus. „Welche Industrie kann das schon von sich behaupten“, fragte BDLI-Präsident und Airbus-Manager Bernhard Gerwert bei der Präsentation der Zahlen in seiner Verbandszentrale. Die sitzt in der Berliner Friedrichstraße, benannt nach Friedrich I., dem Großvater vom Alten Fritz, den die Bürgerinitiative als Patron wählte.

Rolls-Royce investiert in Dahlewitz

Ein Zufall. Die Industrie handelt gleichwohl auch durchaus im Sinne der Fluglärmgegner: 15 Prozent der Umsätze investieren die Unternehmen in Forschung und Entwicklung. Bei Spezialfirmen liegt der Anteil noch höher. Beim Triebwerkshersteller Rolls-Royce, der in Schönefelds Nachbargemeinde Blankenfelde-Mahlow gut 2000 Mitarbeiter beschäftigt, flossen 2013 gut sieben Prozent des Konzernumsatzes in die Erforschung leiserer und sparsamerer Triebwerke. Konzernweit investierte Rolls-Royce zuletzt 1,33 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung, 22 Prozent mehr als 2012. Im April gaben die Briten zudem bekannt, dass sie in den kommenden Jahren weitere 300 Millionen Euro in den Standort stecken wollen. Der deutsche Triebwerksproduzent MTU Aero Engines wartet und verbessert nur wenige Kilometer weiter, in Ludwigsfelde, mit 660 Mitarbeitern seine Turbinen, die größte, wenngleich nicht die einzige Lärmquelle der Flugzeuge. MTU investierte 2013 rund zehn Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung.

Vor allem die Brandenburger Landesregierung aus SPD und Linken steckt in der Zwickmühle. Sie will die Betriebe und Forschungseinrichtungen der Luftfahrtindustrie im Berliner Speckgürtel als zukunftsfähige und technologieorientierte Arbeitgeber fördern. Zugleich sieht sich die Regierung in Potsdam an das Ergebnis eines Volksentscheides gebunden und kämpft daher für ein ausgedehntes Nachtflugverbot am BER.

Rüstungsgüter verlieren an Bedeutung

Dieser Widerspruch – als solcher wird er bei den regionalen Wirtschaftsverbänden empfunden – wird noch offensichtlicher werden, sobald in drei Wochen im Schönefelder Ortsteil Selchow die Branchen- und Publikumsmesse ILA von der Kanzlerin eröffnet wird. Dort bereitet man sich dieser Tage auf den Besuch von mehr als 200 000 Luftfahrt-Interessierten vor. Vor allem die Linke, die bei jeder Gelegenheit Rüstungsexporte anprangert, akzeptiert angesichts der Bedeutung der Messe, dass unter den 1200 Ausstellern der ILA jene aus dem „wehrtechnischen“ Segment überproportional stark vertreten sind. Die Messe Berlin und der BDLI organisieren dort jeweils eigene Programmtage und Führungen für Parlamentarier und Diplomaten, also die Käufer von Rüstungs- und Raumfahrtgerät.

Was die Linken trösten mag: Vor 20 Jahren wurden rund 70 Prozent der Herstellerumsätze der Luft- und Raumfahrtindustrie mit militärischem Gerät erwirtschaftet. Heute sind es nur noch rund 22 Prozent, fast 70 Prozent erlöst die Industrie mittlerweile mit zivilem Fluggerät. Angesichts dieser schleichenden Zivilisierung des Geschäfts fällt es auch erklärten Rüstungsexportkritikern wie der Luft- und Raumfahrtkoordinatorin der Bundesregierung, Brigitte Zypries, leichter, diese Branche in der Debatte um mehr oder weniger Lärmschutz zu verteidigen.

Kevin P. Hoffmann

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