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Kunst zu zweit. Marie Jeschke (re.) und Anja Langer sind ein Team.
© Hannes Greve

Berufseinstieg: Kunst studieren – und dann?

Um nach der Hochschule auf dem Kunstmarkt Erfolg zu haben, braucht man mehr als nur Talent. Meisterschülerinnen und Karriereexperten erklären, wie es gelingt.

Marie Jeschke stieß in einem Flur der Universität der Künste (UdK) auf das Plakat, das ihre Karriere bedeutend anschob. Die Meisterschülerin hatte vier Jahre vorher ihren Abschluss gemacht, arbeitete in einer der Werkstätten ihrer früheren Uni und las auf dem Plakat von einem Stipendium. Sie sprach mit ihrer Atelier-Kollegin Anja Langer darüber. Die beiden bewarben sich gemeinsam, bekamen das Stipendium, damit ein Jahr finanzielle Förderung und, was für sie noch wertvoller war, ein Coaching.

„Es war, als würden wir noch ein komplettes BWL-Studium absolvieren“, sagt Jeschke. Das half den beiden Frauen, ihr Start-up „Jeschkelanger GbR“ mit der Marke „BASIS RHO“ zu gründen. Und das Unternehmen läuft gut: „Die erste Edition unserer Objekte haben wir fast vollständig verkauft“, erklärt die Mitdreißigerin.

Jeder fünfte kann von seiner Arbeit leben

Künstlerinnen und Künstler, die gerade von der Hochschule kommen, haben es nicht leicht, sich eine Existenz aufzubauen, die ihnen ein ausreichendes Einkommen sichert. Laut einer Studie des Berliner Instituts für Strategieentwicklung (IFSE) aus dem Jahr 2018 kann nur jeder fünfte Berliner Künstler von seiner Arbeit leben. Corona hat die Lage noch verschärft. Oft genug können sich Künstler nicht einmal ein Atelier leisten – die Preise sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Nur weit draußen, an den Rändern von Berlin, finden sich noch bezahlbare Räume. „In den Unis hat man alle Freiheiten, es herrscht eine Wohlfühlatmosphäre, die Studierenden arbeiten in den tollsten Ateliers mit hohen Decken“, sagt Sabine Reinfeld vom „Berufsverband Berliner Künstler*innen – bbk berlin“. „Deshalb ist der Weg raus aus der Hochschule und hinein in die Selbstständigkeit ein großer Sprung ins kalte Wasser.“ Von heute auf morgen werde man mit dem „kannibalischen Markt“ konfrontiert. Damit klarzukommen, das sei nicht leicht. Zumal Nachwuchskünstler viel zu wenig gefördert würden. „Die wenigen Stipendien sind für die 10 000 Künstler hier nicht annähernd ausreichend.“ Auch gebe es nicht genug geförderte Ateliers.

Bei Jeschke lief es von Anfang an gut. Bei der Abschlussprüfung wurde sie von einem Kurator aus London entdeckt und konnte dort zwei Wochen später ausstellen. Gut gepasst hat auch, dass sie Anja Langer begegnete. Erst wurden die beiden Freunde, dann mieteten sie zusammen ein Atelier in Lichtenberg. Vor allem aber der Entschluss, gemeinsam zu arbeiten und gemeinsam das Stipendium in Anspruch zu nehmen, führte zu ihrem künstlerischen und wirtschaftlichen Erfolg. „Wir haben gelernt, wie man Kunden gewinnt und E-Mails sprachlich auf die Zielgruppe ausrichtet“, sagt Jeschke.

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Kati Gausmann hat an der „weißensee kunsthochschule berlin“ interdisziplinär Modedesign und Freie Kunst studiert. Heute arbeitet sie solo und in der Künstlergruppe „msk7“. Man muss aus eigenem Antrieb lernen, wie man Akquise betreibt, sagt sie. Als sie 2004 als Meisterschülerin die Hochschule verließ, war sie diesbezüglich recht ahnungslos. Erst mit der Zeit hat sie sich angeeignet, wie man sich auf ein Bewerbungsverfahren vorbereitet, eine Ausschreibung liest, ein Portfolio zusammenstellt oder ein „Artist Statement“, einen Kurztext zur eigenen Arbeit, verfasst. Ausschreibungen seien gerade für junge Absolventen eine gute Möglichkeit, ihre Arbeiten zu zeigen. Daneben sei es von Vorteil, sich ein Netzwerk aufzubauen, so erhalte man Empfehlungen, finde möglicherweise private Sponsoren. Ferner plädiert sie dafür, sich auf Förderprogramme zu bewerben, und „dran zu bleiben, auch wenn man beim ersten oder zweiten Mal abgelehnt wird“. Sie selbst arbeitet seit geraumer Zeit in einem bezuschussten Atelier, dem Atelierhaus des Berliner Senats in Adlershof. Ihr Ansatz: die Kosten so gering wie möglich halten und sich über den Verkauf von Kunstwerken hinaus Einnahmequellen suchen. Die 52-Jährige hält daher auch Vorträge, sitzt in Jurys, gibt Workshops.

Kostenlose Unterstützung beim Aufbau von Geschäftsmodellen

Viele Künstler lernen Dinge wie Existenzaufbau und Selbstvermarktung erst im Laufe der Zeit, Learning by Doing. Im regulären Studium wird dieses Rüstzeug kaum vermittelt. Einige Angebote gibt es aber doch für die angehenden Künstler: Die UdK etwa unterstützt in ihrem Career & Transfer Center (CTC) Studierende und Alumni bis zu fünf Jahre nach ihrem Abschluss kostenlos beim Aufbau von Geschäftsmodellen und Gründungsvorhaben. Die Nachwuchskünstler können an Workshops zu Steuern, Verträgen und Recht teilnehmen oder sich beraten lassen dazu, wie sie sich auf dem Kunstmarkt positionieren. Ausgewählte Absolventen werden beim Transfer ihrer Projekte in innovative Geschäftsmodelle gefördert. „Wir vergeben dafür Stipendien und Arbeitsplätze im UDKo-Workspace“, sagt UdK-Sprecherin Claudia Assmann.

Auch die Kunsthochschule in Weißensee bietet Beratung, Workshops und Unterstützung beim Aufbau von Kontakten sowie Atelierstipendien an, sagt Sprecherin Birgit Fleischmann. Seit gut zwei Jahren werden im Rahmen des Absolventennetzwerkes „see up“ auch Arbeitsplätze vermittelt. Der Service werde gut angenommen, sagt Fleischmann.

- Die Stiftung Kunstfonds hat das Sonderförderprogramm 2020/21 ausgeschrieben. Es bietet beispielsweise Antragsmöglichkeiten für bildende Künstler*innen mit Kindern unter sieben Jahren: kunstfonds.de. Auch der Berliner Senat hat ein Soforthilfepaket beschlossen: 18 Millionen Euro für bis zu 2000 Sonderstipendien für Künstler*innen und Kurator*innen. Anträge sind bis zum 11. September zu stellen: stipendium.kulturprojekte.berlin.

Sabine Hölper

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