IG Metall und Bosch: Konzern schließt Tarifvertrag für digitale Elite
Um Fachkräfte an sich zu binden, hat Bosch einen Innovationstarifvertrag geschlossen: Der erlaubt mehr Spielraum bei Arbeitszeiten und Gehalt.
Offene Flächen, Couches, Tischtennisplatten, Loft-Atmosphäre und der unvermeidbare Tischkicker - wenn Großkonzerne kleine agile Firmen für Zukunftsideen rund um das Thema Digitalisierung ausgründen, gehören diese Einrichtungsdetails zum Pflichtprogramm. Doch das reicht längst nicht mehr, um geeignetes Personal zu finden, so die Erfahrung bei Bosch. Für eine neue Einheit, die sich mit Mobilitätsdienstleistungen wie Carsharing befasst, haben die Gewerkschaft IG Metall und der Autozulieferer deshalb nun einen neuen Tarifvertrag ausgehandelt. Er soll auch als Blaupause für andere Bereiche bei Bosch dienen.
Der sogenannte Innovationstarifvertrag lehnt sich an die Verträge der IG Metall an, bietet aber mehr Spielraum bei Arbeitszeiten und Gehalt. Außerdem erhalten die Mitarbeiter besondere Angebote bei Gesundheitsvorsorge und Weiterbildung.
"Wir brauchen Freiheit und Selbstbestimmung"
Um hochqualifiziertes Personal für den digitalen Wandel anzuwerben, brauche Bosch die richtigen Arbeitsbedingungen, sagte Bosch-Personalchef Christoph Kübel der Deutschen Presse-Agentur. „Wir brauchen Freiheit und Selbstbestimmung. Mit diesem Tarifvertrag schaffen wir die richtigen Rahmenbedingungen.“ Bosch besetzt inzwischen jede zweite offene Stelle abseits der Produktion mit Experten für Software und IT.
Üblicherweise gründen große Konzerne Bereiche rund um das Thema Software und Digitalisierung aus, um dem trägen Konzerngefüge und auch dem in den meisten Fällen angewandten Tarifvertrag zu entgehen. Die Manager bemühen häufig das Bild des Schnellboots neben dem großen Tanker Konzern. Dabei spielen flexible Arbeitszeiten genauso eine Rolle wie Bezahlung.
Bei der IG Metall sieht man diese Entwicklung mit Sorge. „Wir wollen, dass diese Bereiche auch tarifgebunden sind“, sagt der baden-württembergische Bezirksleiter Roman Zitzelsberger. Die Gewerkschaft sei deshalb mit verschiedenen Konzernen über ähnliche Vertragswerke im Gespräch.
Bosch will Spezialisten an sich binden
Martina Weiner, Geschäftsführerin der Personalberatung i-potentials, warnt hingegen - die digitalen Experten seien spezialisierte Profis: „In manchen Bereichen gibt es von diesen Spezialisten nur eine Handvoll weltweit, und diese für sein Unternehmen zu gewinnen und dort auch zu halten, ist ohnehin eine große Herausforderung.“ Durch einen Tarifvertrag und die damit verbundenen Grenzen büße ein Unternehmen unter Umständen Wettbewerbsfähigkeit ein.
Und auch der IG-Metaller Zitzelsberger räumt ein: „Da treffen Welten aufeinander.“ Gemeinsam mit Bosch hat die Gewerkschaft nun versucht, diese Welten zueinander zu bringen. Der neue Tarifvertrag gilt von 2019 an für die neue Einheit Connected Mobility Solutions mit 300 Beschäftigten. Dort arbeiten unter dem Dach der Robert Bosch GmbH sowohl Mitarbeiter, die bislang im Tarif waren, als auch solche, die bislang nicht unter den Tarifvertrag fielen.
Mitarbeiter entscheiden, wann sie wie viel arbeiten
Sie haben die Wahl zwischen 35, 38 oder 40 Stunden pro Woche. Es gilt Vertrauensarbeitszeit, der Mitarbeiter entscheidet eigenverantwortlich, wann er wie viel arbeitet. Bei der Bezahlung sind die Regelungen an den bestehenden Tarifvertrag der IG Metall angelehnt. Doch statt der starren Entgeltgruppen gibt es Gehaltsbänder. Die erfolgsabhängige Vergütung beispielsweise ist höher. Als weitere Dreingabe erhalten die Mitarbeiter alle zwei Jahre einen umfassenden Gesundheitscheck, der sonst nur Führungskräften vorbehalten ist, und können frei über ein eigenes Weiterbildungsbudget verfügen.
Doch reicht das, um junge Softwareentwickler statt in einem Start-up in Berlin oder Tel Aviv zum schwäbischen Technologiekonzern Bosch bei Stuttgart zu locken? Maren Freyberg von der Hamburger Personalberatung Dwight Cribb sagt: „Ich kann mir vorstellen, dass das für viele charmant ist.“ Denn für einige Bewerber spiele doch auch Sicherheit eine Rolle. „Zumindest ist es ein Alleinstellungsmerkmal.“ Und das ist die Tischtennisplatte inzwischen eben doch nicht mehr. dpa
Annika Grah