Götz Werner im Interview: "Konkurrenz führt in die Irre"
Der dm-Gründer Götz Werner ist einer der prominentesten Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens. Im Interview spricht er über den Kapitalismus, Manager-Boni und Schlecker.
Herr Werner, wie fühlt es sich an, der Gutmensch der Drogerie-Branche zu sein?
Es ist Ziel eines jeden Unternehmers, als Vorbild zu wirken. Unser Image zeigt, dass uns das in den letzten 35 Jahren gelungen ist. Ein Unternehmen kann aber nur blühen und wachsen, wenn die Gesellschaft sich weiterentwickelt. Meine Perspektive dafür ist das Grundeinkommen.
Das Sie schon seit Jahren propagieren. Doch nicht einmal jetzt, wo in der Krise immer mehr Menschen das System infrage stellen, scheint Ihre Idee Anklang zu finden.
Sie irren sich. Laut Allensbach-Umfrage sind jetzt schon 30 Prozent der Bürger für ein Grundeinkommen, vor fünf Jahren waren es keine fünf Prozent. Über so viel Zustimmung würden sich viele Parteien freuen. Irgendwann wird der Zuspruch für diese Idee so stark sein, dass sich auch die Politik ihr nicht mehr verschließen kann.
Sorgt nicht gerade der Kapitalismus dafür, dass wir egoistisch handeln und uns von der Gemeinschaft abwenden?
Nein, im Gegenteil, der marktwirtschaftliche Kapitalismus aktueller Prägung zeigt uns, wie notwendig es ist, sich an der Gemeinschaft zu orientieren. Heute haben wir eine völlig arbeitsteilige Gesellschaft, in der niemand mehr unabhängig vom anderen ist. Egoismus und Profitstreben entspringen nicht dem Kapitalismus, sondern unserem Weltbild, auf dessen Grundlage wir agieren. Sie können unser Wirtschaftssystem mit einer Axt vergleichen. Ob Sie mit ihr Holz schlagen, um ein Haus zu bauen, oder einen Mann erschlagen, hängt nur von Ihnen ab. Schlussendlich muss sich jeder fragen: Verhalte ich mich so, dass ich mich vorm Jüngsten Gericht rechtfertigen kann?
Dazu gehört die Solidarität in Europa. Nicht alle haben Verständnis für Hilfszahlungen an Schuldenstaaten wie Griechenland. Verstehen Sie die Ängste der Bürger?
Ja, aber Ängste sind nie ein guter Ratgeber. Momentan kommt es mir so vor, als hätten wir uns mit dem Euro den äußerlichen Anschein einer Gemeinschaft gegeben, sie aber seelisch und geistig nicht vollzogen. Wenn wir in Europa eine Gemeinschaft sein wollen, müssen wir alle füreinander verantwortlich sein. Ich selbst bin mit fünf Geschwistern aufgewachsen und habe sieben Kinder, deshalb stelle ich mir den Euro-Raum wie eine große Familie vor. Und nun stellt sich einer Ihrer Brüder als schwarzes Schaf heraus. Niemals würden Sie ihn fallen lassen! Wir werden in Europa immer füreinander verantwortlich sein, und das heißt auch, dass wir einander immer wieder eine Chance geben müssen – wie beim verlorenen Sohn in der Bibel. Und wir müssen endlich lernen, dass wir nicht von der Konkurrenz, sondern von der Kooperation leben.
Womit wir wieder beim Kapitalismus wären, der den Wettbewerb als einen der wichtigsten Grundsätze hat.
Das ist falsch! Das merken Sie, wenn sie Unternehmer werden. In meiner täglichen Arbeit geht es um Kooperation, etwa mit den Kunden, mit den Lieferanten, und mit den Mitarbeitern.
Und um Ihre Konkurrenten wie Rossmann.
Das ist das Randgeschehen. Wir machen unser Marketing nicht gegen unsere Wettbewerber, sondern für unsere Kunden. Konkurrenz ist ein in die Irre führendes Konzept.
Das Schlecker-Aus und der Kampf um die Arbeitsplätze:
Durch die Pleite Ihres Konkurrenten Schlecker stehen zehntausende Menschen auf der Straße, ihnen bleiben womöglich in erster Linie prekäre Arbeitsverhältnisse.
Was läuft falsch in der Branche?
Prekäre Arbeitsverhältnisse sind nichts Branchenspezifisches. Wenn jemand der Meinung ist, der Mensch sei das Mittel, und der Zweck sei es, möglichst viel Zahncreme zu verkaufen, dann versucht er, so viel wie möglich bei den Personalkosten zu sparen. Wenn man wie ich aber findet, dass der Mensch der Zweck all unseres Tuns ist, dass also das Unternehmen für die Menschen da ist, damit sie sich einbringen und ausdrücken können, ist so etwas wie Leiharbeit völlig ausgeschlossen.
Die ehemaligen Schlecker-Frauen haben aber keine Zeit, auf einen Sinneswandel zu warten. Muss die Politik handeln?
Die Politik kann nicht alles verbieten, die Gesellschaft muss Unternehmen mit dieser Haltung ächten. So wie es auch bei Schlecker passiert ist. Das Unternehmen hat die Akzeptanz bei den Menschen verloren. Die Kunden haben für sich entschieden: „Wenn er sich so verhält, gehen wir da nicht hin.“
Schlecker haben die Löhne das Genick gebrochen, sagen die Experten.
Die Experten sagen, dass der Anteil der Löhne am Umsatz zu hoch war – aber doch nur, weil Schlecker keine Kunden mehr hatte! Wenn die Filialen so gut besucht gewesen wären wie beim Ausverkauf, dann hätte Schlecker die Löhne leicht bezahlen können. Zahnpasta gibt es in Hunderten von Läden in Berlin, Sie müssen den Kunden einen Grund geben, warum sie gerade zu Ihnen kommen sollen. Das ist Schlecker nicht gelungen.
Sind Sie für einen Mindestlohn im Handel?
Nein, da wird vom richtigen Ziel abgelenkt. Wir sind für allgemeinverbindliche Tarifverträge. Diese müssen wiederkommen, sonst ist dem Rabaukentum Tür und Tor geöffnet.
Ursula von der Leyen möchte die Schlecker-Frauen zu Erzieherinnen umschulen. Hat Ihre Branche keine Zukunft?
Doch, die Branche wächst insgesamt, aber nicht überall. Die Schlecker-Frauen verteilen sich aber über die ganze Republik. Somit ist von der Leyens Ansatz in unserem System zwar verständlich, aber er ist trotzdem falsch. Die Schlecker- Frauen sollen nach der Logik der Politiker einen Job annehmen, damit sie ein Einkommen haben. Es sollte aber vielmehr darum gehen, dass sie eine Arbeit finden, mit der sie sich identifizieren können.
Werden Sie durch Ihr hehres Menschenbild nicht ständig enttäuscht?
Um ein Unternehmen zu führen, braucht man Zutrauen. Als ich 32 Jahre alt war, hatte ich 170 Mitarbeiter. Meine Großmutter, eine richtige Preußin, fragte: „Götz, du hast doch jetzt so viele Mitarbeiter, beklauen die dich nicht alle?“ Und da habe ich geantwortet: „Großmutti, mach dir keine Sorgen, einer ist besser wie der andere.“
Ist Schlecker auch an seinem Misstrauen gescheitert?
Die Maxime, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, ist eine dramatische Fehlorientierung. Denn es bedeutet immer: Vertrauen für mich, Kontrolle für die anderen. Damit erleidet jeder Schiffbruch, nicht nur als Unternehmer, auch als Ehemann, Vater und Freund.
In Deutschland hat dm bereits einige Filialen von Schlecker und Ihr Platz übernommen. Wie viele sollen es noch werden?
Wir haben neun Märkte gekauft, alle waren Ihr-Platz-Filialen. Der normale Schlecker-Markt ist für uns zu klein. Da würden wir gerade mal unser Zahnpflegesortiment unterkriegen. Die Geschäfte sehen aus wie unsere vor 30 Jahren! Dass Schlecker mit dieser Ladenstruktur so lange durchgehalten hat, ist für sich gesehen schon eine unternehmerische Leistung.
Würden Sie auch eine Auslandsgesellschaft übernehmen?
Nein, obwohl es eine wunderbare Gelegenheit gewesen wäre, diese Märkte zu erschließen. Uns sind die Töchter angeboten worden, aber auch hier sind die Läden zu klein. In Spanien haben die Filialen im Schnitt weniger als 200 Quadratmeter.
Wann ist die Grenze des Wachstums in Deutschland für dm erreicht?
Noch lange nicht! Wir haben im Drogeriebereich einen Marktanteil von 17 Prozent. Es bleiben noch 83 Prozent für Wachstum. Allerdings gehen wir nur in Regionen, in denen das Einzugsgebiet mindestens 20 000 Menschen umfasst.
Spüren Sie schon Kaufzurückhaltung durch die Krise?
In Deutschland spüren wir nichts, aber in Kroatien und Ungarn. Dort hat es drastische Sparmaßnahmen der Regierungen gegeben, die sich auf die Kaufkraft auswirken. Wenn der Geldbeutel kleiner ist, ist auch die Tragetasche kleiner, mit der die Menschen aus unseren Läden kommen.
In der Krise gerieten die Manager-Boni in die Kritik. Finden Sie auch, dass VW-Chef Martin Winterkorn zu viel verdient?
Es kommt nicht darauf an, was Martin Winterkorn verdient, sondern was er mit dem Geld macht. Es ist doch ein Unterschied, ob ein Manager in Saus und Braus, mit drei Flugzeugen und fünf Häusern lebt, oder ob er mit seinem Geld Universitäten und Pflegeheime unterstützt. Nehmen Sie Herrn Deichmann, der in Indien tolle Projekte macht. So ein Unternehmer müsste noch viel mehr verdienen.
Was die DAX-Chefs verdienen:
Wer soll das kontrollieren?
Jeder muss sich fragen, ob er seine Taten vor sich selbst verantworten kann. Wenn Sie vor dem Jüngsten Gericht stehen, wird Christus nicht fragen, was Sie verdient haben, sondern was Sie mit Ihrem Geld und Ihren Talenten gemacht haben.
Bei Ihnen in der Firma gibt es keine Bonuszahlungen. Ist das nicht frustrierend für Ihre Mitarbeiter?
Das tun wir, weil wir davon ausgehen, dass bei uns jeder immer so gut arbeitet, wie er kann. Und nicht besser, sobald er obendrauf einen Bonus bekommt.
Sie wollten als junger Mann das Drogerieunternehmen Ihres Vaters umkrempeln. Fürchten Sie, dass auch Ihre Grundsätze über den Haufen geworfen werden?
Den Vorsitz der Geschäftsführung hat Erich Harsch von mir übernommen. Weder ihm noch meinem Sohn, der seit anderthalb Jahren in der dm-Geschäftsführung ist, mache ich Vorschriften. Wenn meine Ideen stark genug sind, werden sie mich überdauern.
Götz Werner, 1944 in Heidelberg als Sohn einer Drogistenfamilie geboren, gründete 1973 in Karlsruhe unter dem Namen „dm“ seinen ersten Drogeriemarkt. Heute ist das Unternehmen in Deutschland die Nummer eins der Branche. Europaweit beschäftigt dm, das seit 2008 von Erich Harsch geführt wird, 39 000 Menschen und macht einen Jahresumsatz von mehr als sechs Milliarden Euro. Werner, bekennender Anthroposoph, ist in zweiter Ehe verheiratet und hat sieben Kinder. Werner macht sich für das bedingungslose Grundeinkommen stark. Der Staat soll jedem die gleiche Grundsicherung zahlen, unabhängig davon, ob er arbeitet. Finanziert werden soll das Modell über die Mehrwertsteuer.
Jahel Mielke
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