Arbeiten am Wochenende: Keine Ruhe mehr
14 Prozent aller Beschäftigen müssen auch sonntags zur Arbeit - so viele wie nie zuvor. Verdi ist empört und fordert mehr Schutz für die Arbeitnehmer..
Auf den ersten Blick ist der Sachverhalt klar geregelt: „Arbeitnehmer dürfen an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von 0 bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden.“ So steht es in Paragraf 9 des Arbeitszeitgesetzes. In Paragraf 10 folgen die Ausnahmen: Von Notdiensten und der Feuerwehr über die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung, der Betreuung von Personen und zum Zwecke der Zerstreuung und Belustigung in Gaststätten oder Theatern, beim Sport, in der Landwirtschaft und den Medien, in Verkehrsbetrieben und bei Energie- und Wasserversorgern sowie im Bewachungsgewerbe und beim Bäcker. Alle diese Branchen und Berufe haben dazu beigetragen, dass im vergangenen Jahr 14 Prozent der Beschäftigten hierzulande „ständig oder regelmäßig auch sonntags arbeiten“.
Vor 20 Jahren waren es zehn Prozent
Wie das Statistische Bundesamt am Dienstag weiter mitteilte, lag dieser Anteil vor 20 Jahren noch bei zehn Prozent. Die Zunahme der Sonntagsarbeit erklären die Statistiker auch mit der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten. Die Gewerkschaften fürchten um das Wochenende und auch um die Nachtruhe der Beschäftigten. „Mit der Industrie 4.0 entwickelt sich gerade in rasantem Tempo eine Arbeitswelt, in der Beschäftigte an sieben Tagen pro Woche rund um die Uhr erreichbar sind“, heißt es bei Verdi.
Die Dienstleistungsgewerkschaft organisiert unter anderem die Beschäftigten in der Alten- und Krankenpflege sowie in Verkehr und Handel, bei Versorgern und im Sicherheitsgewerbe, die alle stark von Wochenendarbeit betroffen sind. Verdi will von der Politik bessere Schutzregeln für die Arbeitnehmer. „Der Schutz des Sonntags, der seit jeher religiös als Protest gegen die ,Fron der Arbeit’ und die ,Vergötzung des Geldes’ begründet wird, gehört zu den ererbten Regeln, die vor einer vollständigen Ökonomisierung des Menschen bewahren.“ Und dieser Schutz sei eben in der digitalisierten und globalisierten Arbeitswelt noch wichtiger als in den zurückliegenden Jahrzehnten, meinen die Gewerkschaften.
Neun Prozent arbeiten nachts
Das Statistische Bundesamt, das sich mit Bewertungen grundsätzlich zurückhält, wagt sich beim Thema Arbeitszeit ein wenig aus der Deckung: „Neben dem Umfang der geleisteten Arbeitsstunden ist für die Lebensqualität von Bedeutung, zu welchen Zeiten gearbeitet wird.“ Wochenendarbeit sowie Abend- und Nachtarbeit werden von den Statistikern als „atypische Arbeitszeiten“ bezeichnet, die eben durchaus die Lebensqualität beeinträchtigen können. Nach Erhebungen des DGB arbeiten 13 Prozent aller Erwerbstätigen sehr häufig am Wochenende, weitere 14 Prozent sind oft am Sonnabend oder Sonntag im Dienst und 33 Prozent ab und zu. Deutlich stärker als die „abhängig Beschäftigten“ arbeiten Selbstständige am Wochenende, nämlich etwas mehr als die Hälfte. Dagegen arbeiten nur sieben Prozent der Selbstständigen nachts, aber neun Prozent der Arbeitnehmer sind im Schichtdienst tätig.
Für die von den Gewerkschaften häufiger beklagte „Entgrenzung“ der Arbeitszeit spricht eine weitere Statistik: Der Anteil der Erwerbstätigen, die abends arbeiten, ist zwischen 1994 und 2014 von 15 auf 26 Prozent gestiegen. Hier dürften sich vor allem die weitgehend liberalisierten Ladenöffnungszeiten niederschlagen. In Großstädten gibt es inzwischen jede Menge Supermärkte, die bis 22 oder 24 Uhr geöffnet haben. Auch Läden, die rund um die Uhr Lebensmittel verkaufen, sind schon lange keine Exoten mehr.
In den 1950er Jahren ging es um den freien Samstag
In den 1950er Jahren, als in Westdeutschland das Wirtschaftswunder Fahrt aufnahm, erkämpften die Gewerkschaft nach und nach einen Anteil an den Wohlfahrtsgewinnen für ihre Klientel. 1957 setzte die IG Metall einen Stufenplan Richtung 40-Stunden-Woche durch, die durchschnittliche Wochenarbeitszeit lag damals bei rund 48 Stunden. Im Arbeitszeitgesetz wurde später eine Höchstgrenze von acht Stunden am Tag festgeschrieben – aber auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel, ähnlich wie bei der Sonntagsarbeit.
2009 hat das Bundesverfassungsgericht den besonderen Schutz des Sonntags festgestellt, der „einzige verbliebene Tag der Arbeitsruhe“, der „die Möglichkeit des familiären und sozialen Zusammenseins“ bietet. Im November vergangenen Jahres untersagte das Bundesverwaltungsgericht hessische Ausnahmegenehmigungen für Sonntagsarbeit in Call Centern. Und doch: „Angesichts eines gewandelten Verbraucherverhaltens“, so hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, könne Sonntagsarbeit durchaus erforderlich sein. Wenn die Verbraucher also rund um die Uhr im Internet unterwegs sind, um sich zu amüsieren, um zu kommunizieren oder zu bestellen, dann wird sich der Trend fortsetzen und in 20 Jahren die Statistiker einen neuen Rekordwert bei der Sonntagsarbeit melden.
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