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Arbeit, ihre Zeit und ihr Ort ordnen sich in Zeiten der Digitalisierung des Alltags und der Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft neu. Die Politik, hier Arbeitsministerin Andrea Nahles, hinkt der Wirklichkeit hinterher.
© dpa

Flexible Arbeitszeiten: Der Acht-Stunden-Tag ist nicht mehr zeitgemäß

Flexible Arbeitszeiten müssen nicht bedeuten, dass Arbeitnehmer das Familienleben oder ihre Interessen aufgeben. Doch der Umgang der Politik mit der Arbeitswelt in Zeiten der Digitalisierung ist ziemlich bräsig, kommentiert Werner van Bebber.

Sie will nicht. Ganz schnell hat Arbeitsministerin Andrea Nahles jüngst dementieren lassen, dass sie das Arbeitszeitgesetz ändern und den Acht-Stunden-Tag aufgeben wolle. Da hatte Nahles die Hand am Puls der Arbeitnehmer. Wer die Diskussion über den Vorstoß der Arbeitgeber verfolgt, kann sich nur wundern: Eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes, die Festlegung einer Wochenarbeitszeit statt der Acht-Stunden-Begrenzung, erschien vielen Kommentatoren wie die Neu-Einführung der Sklaverei. Verwunderlich ist das, weil Statistiken und Erfahrungen zeigen, dass viele Arbeitnehmer allenfalls theoretisch einen Achtstundentag haben.

Acht-Stunden-Tage sind ein sehr theoretisches Konstrukt

Die Arbeitswelt hat sich radikal verändert, seit 1972/73 die hübsch sozialkritische Filmfolge „Acht Stunden sind kein Tag“ von Rainer Werner Fassbinder im Fernsehen lief. Die Malocherjobs werden weniger. Wer eine geistig anspruchsvolle Arbeit macht, der arbeitet selbstständiger denn je, eher an Projekten orientiert und eher in einem Team. Da lässt man nach acht Stunden nicht einfach den Bleistift fallen.

Vor allem verändert die Digitalisierung die Angestelltenwelt. Die oft kritisierte Dauererreichbarkeit mag manchem als ein Nachteil erscheinen – ein Recht auf Unerreichbarkeit aber kann man institutionalisieren; große Unternehmen haben es mit Blick auf E-Mails und Smartphones vor Jahren eingeführt. Auch Ingenieure oder Softwareentwickler können ihren Arbeitsplatz nach Hause verlegen, Fahrzeiten zum Büro und nach Hause einsparen und sich die Zeit selbst einteilen. Das sehen die Arbeitgeber als Vorteil, ebenso Nahles, die die Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt derzeit untersuchen lässt und 2016 diskutieren will. Und wer als Angestellter diese neue Freiheit nutzt, wird sie schätzen.

Fundamentalismus verhindert die Diskussion, wie wir arbeiten wollen

Ohnehin muss eine Novelle des Arbeitszeitgesetzes, das Regelungen enthält wie „Im Bergbau unter Tage zählen die Ruhepausen zur Arbeitszeit“, nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer ausfallen. Das eben ist das Bedauerliche an dem Fundamentalismus, mit dem der Vorstoß der Arbeitgeber abgeblockt worden ist: Eine Diskussion darüber, wie wir arbeiten wollen, gibt es nicht. Es ist einzelnen Arbeitgebern überlassen, Arbeitsumstände zu verbessern, es ist einzelnen Arbeitnehmern überlassen, Regelungen auszuhandeln, mit denen sie Arbeit und Privatleben zusammenbringen.

Gesellschaftlicher Fortschritt findet woanders statt. In den Niederlanden zum Beispiel haben Arbeitnehmer seit Juli das Recht auf einen Home-Office-Tag. Wenn ein Kind krank ist, kann man einen Arbeitstag zu Hause verbringen. Selbstverständlich muss man seine Arbeit machen. Und wenn „schwerwiegende Gründe“, etwa Sicherheitsinteressen, gegen einen Home-Office-Tag sprechen, kann der Arbeitgeber dies ablehnen. Aber die Möglichkeit ist da, die politische Diskussion hat stattgefunden, und sie hat ein Ergebnis.

Acht Stunden oder Selbstbestimmung - das heißt auch: Kalkulierbarkeit vs. Flexibilität

Hierzulande verhindert nur der Dauerstress der Krisenpolitik die Erkenntnis einer gewissen Bräsigkeit der Politik im Umgang mit der Arbeitswelt. Die beiden alles beherrschenden Trends, die Digitalisierung und die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft, ereignen sich einfach so. Das Arbeitszeitgesetz in der Fassung von 1994 mag regeln, dass ein Lastwagenfahrer die Zeit, in der sein Sattelzug beladen wird, nicht zur Arbeitszeit rechnen darf. Doch wer in diesem Job über zu lange Abwesenheit von zu Hause meckert, verliert seinen Job vermutlich ohnehin in kürzester Zeit an einen Kollegen aus Polen.

Gewiss: Der große theoretische Vorteil des Acht-Stunden-Tags ist seine Kalkulierbarkeit. Wer genau weiß, wann er täglich den Dienst beendet, kann nebenher auch noch eine Fußballmannschaft trainieren. Doch flexible Arbeitszeiten müssen nicht bedeuten, dass Arbeitnehmer das Familienleben oder ihre Interessen aufgeben. So schlau, zu wissen, dass gestresste Angestellte schneller krank werden, sind wohl die meisten Arbeitgeber.

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