Braunkohletagebau Garzweiler II: „Kein Recht auf Heimat“
Das Bundesverfassungsgericht lässt Braunkohlebagger graben – gibt bedrohten Lausitzern aber Hoffnung. Das Recht des Einzelnen wird im Vergleich zum Gemeinwohl gestärkt, aber das "Gemeinwohl" steht in Sachen Braunkohletagebau nach Ansicht der Verfassungsrichter höher als das eines Hausbesitzers.
RWE kann zufrieden sein. Der Braunkohletagebau Garzweiler II verstößt nicht gegen die Verfassung. Das wurde am Dienstag höchstrichterlich festgestellt. Dennoch sprach der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) als einer von zwei Klägern von einem „Teilerfolg“. Der von den Verfassungsrichtern geforderte bessere Rechtsschutz könne Bürgern in der Lausitz in Sachsen und Brandenburg nützen, wo Genehmigungsverfahren für neue Tagebaue bevorstehen. Dafür seien „die Hürden in ganz Deutschland jetzt deutlich höher geworden“, sagte BUND-Landesgeschäftsführer Dirk Jansen in Karlsruhe. Der BUND hatte dagegen geklagt, dass seine Obstwiese für den Tagebau enteignet worden war. Diese Enteignung, entschieden die Karlsruher Richter, sei unrechtmäßig gewesen. Allerdings ist die Wiese längst abgebaggert.
Der Privatkläger Stephan Pütz dagegen war vom Urteil des Ersten Senats „maximal enttäuscht“. Pütz, der seit 1997 im eigenen Haus in Erkelenz wohnt, muss nun den Baggern weichen und umsiedeln. Das Gericht sah in seiner Enteignung keinen Verfassungsverstoß. Das von Pütz geltend gemachte „Recht auf Heimat“ stehe nicht im Grundgesetz. Durch die Enteignung werde zwar in sein Eigentumsrecht eingegriffen, aber die Verwaltungsgerichte hätten festgestellt, dass dies im Interesse der Energiesicherung gerechtfertigt sei.Pütz’ Fall zeigt, dass mehr Klagemöglichkeiten nicht unbedingt mehr Erfolg bringen. Er hatte die Möglichkeit erhalten, seine Einwände gegen den Braunkohletagebau und seine Enteignung erneut darzulegen. Dennoch entschied das Oberverwaltungsgericht Münster 2007 gegen ihn. Dieses Urteil wurde jetzt vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verfassungsrechtlich nicht beanstandet.
Die Richter entschieden nicht über den Wert der Braunkohle für das Gemeinwohl
Der Braunkohleabbau in Nordrhein- Westfalen soll bis 2045 andauern und ein Gebiet von 4800 Hektar umfassen, das entspricht etwa der Größe von Berlin- Neukölln. Das Gelände wird von Baggern aufgegraben, ganze Dörfer werden verlegt, rund 7800 Menschen sollen hier noch umgesiedelt werden. Alles in allem mussten in Deutschland mehr als 100 Gemeinden dem Braunkohleabbau weichen.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun festgestellt, dass damit sowohl in das Grundrecht auf Eigentum als auch in das Recht auf Freizügigkeit eingegriffen werde. Denn sowohl Hauseigentümer als auch Mieter könnten Eigentumsrecht und Bleiberecht geltend machen. Aber Enteignungen seien nach dem Grundgesetz möglich, wenn sie im Gemeinwohlinteresse liegen. Die Energieversorgung habe für ein Land überragende Bedeutung. Über die Kritik der Umweltschützer am Braunkohleabbau entschied das Bundesverfassungsgericht bewusst nicht. Die Politik müsse entscheiden, wie sie die Energieversorgung sichere. Sie habe dabei einen weiten Gestaltungsspielraum.Das Bundesverfassungsgericht könne nur prüfen, ob die Energiepolitik des Bundes und der Länder „offensichtlich und eindeutig unvereinbar“ seien mit dem Staatsziel Umweltschutz oder dem Grundrecht auf Eigentum. Die mündliche Verhandlung im Juni habe aber nicht ergeben, dass die von Nordrhein-Westfalen beschlossene Braunkohlegewinnung nicht in Einklang mit dem Grundgesetz stehe. (Aktenzeichen: 1 BvR 3139/08 u.a.).
Nach fünf Tagen endete die Erörterung über den Tagebau in Welzow-Süd II
Nordrhein-Westfalens Landesregierung kündigte an, zu überprüfen, ob und wo Ergänzungen für den Rechtsschutz der Betroffenen vorgenommen werden müssten. Hier sei aber auch der Bund gefragt, der für das Bundesberggesetz zuständig sei. RWE-Sprecherin Stephanie Schunck sagte: „Wir werden den Braunkohleabbau Garzweiler II wie geplant fortführen.“ Auch Wolfgang Neskovic, bis September Bundestagsabgeordneter für die Lausitz, und einst Richter am Bundesgrichtshof, begrüßte das Urteil. Es sei ein Etappensieg für die Kohlegegner. „Das macht Hoffnung. Unsere Bewaffnung im Kampf gegen neue Tagebau ist verbessert worden“, sagte er dem Tagesspiegel. Die Behörden müssten die Interessen der von Umsiedlung betroffenen künftig ernster nehmen. Für den Tagebau Welzow-Süd II forderte Neskovic einen neuen Erörterungstermin. „Ansonsten laufen die Behörden Gefahr, dass die Entscheidungen unwirksam sind.“
Die Grünen in Brandenburg forderten, das Planverfahren zu Welzow-Süd II auszusetzen. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben würden darauf hinauslaufen, dass das Braunkohleplanverfahren Welzow-Süd II eingestellt werden muss. Das Vorhaben sei durch das Urteil „noch fragwürdiger geworden, als es ohnehin schon war.
Wenn die Begründung vorliege, könne das Urteil in die Abwägung zum Braunkohlenplan Welzow-Süd II einfließen, sagte ein Sprecher der Landesplanungsbehörde in Cottbus. Am Montagabend hatte die Erörterung der Tagebauerweiterung in Welzow-Süd II nach fünf Tagen geendet. In seiner Präsentation verminderte der Gutachter des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums, Georg Erdmann von der TU-Berlin, seine Annahmen über den Braunkohlebedarf des Kraftwerks Boxberg bis zum Ende seiner Betriebsdauer deutlich. Statt 759 Millionen Tonnen von 2012 bis 2050 geht er nur noch von 668 Millionen Tonnen aus. Das sind 91 Millionen Tonnen weniger. Anike Peters von Greenpeace sagte, das sei knapp die Hälfte der vermuteten Abbaumenge des geplanten Tagebaus Welzow-Süd II. Der Gutachter des Umweltministeriums, Christian von Hirschhausen, ebenfalls von der TU Berlin, hält die Erweiterung des Tagebaus energiepolitisch ohnehin nicht für notwendig. Die Versorgung der Braunkohlekraftwerke sei angesichts der Energiewende mit bereits genehmigten Tagebauen zu bewerkstelligen.
Dagmar Dehmer, Ursula Knapp, Alexander Fröhlich
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