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Gespiegelt. Das Twitter-Symbol im Auge einer Userin. Rund 320 Millionen Menschen nutzen den Nachrichtendienst.
© dpa
Update

10 Jahre Twitter: Kein Grund zum Feiern

Twitter wird zehn Jahre alt, 320 Millionen Menschen nutzen den Kurzmitteilungsdienst – dennoch sucht das Unternehmen immer noch nach einem profitablen Geschäftsmodell.

Die Konferenzräume bei Twitter in der Bernauer Straße in Berlin sind nach Vogelarten benannt. Im Kühlschrank liegt Fair-Trade-Bio-Limonade, in der Ecke steht ein Kickertisch. Das soll wirken wie bei einem Start-up. Dabei ist es bereits zehn Jahre her, dass Twitter-Erfinder Jack Dorsey seinen ersten Tweet abgesetzte: „Just setting up my twttr.“ Etwa ein halbes Jahr später wurde die Idee, kurze Mitteilungen zu verschicken, auf der Tech-Konferenz SXSW Interactive in Texas als Riesenerfolg gefeiert und Twitter einer großen Öffentlichkeit vorgestellt.

Just setting up my twttr.

Twitter-Erfinder Jack Dorsey.

Ende vergangenen Jahres hatte Twitter 320 Millionen aktive Nutzer. Das waren zwei Millionen weniger als drei Monate zuvor. Facebook, das weltweit größte Soziale Netzwerk, kommt auf 1,6 Milliarden aktive Nutzer. Facebook wächst, Twitter stagniert. Nach dem Börsengang 2013 stieg der Kurs der Twitter-Aktie zwischenzeitlich auf 69 Dollar, heute sind es nur noch rund 17 Dollar.

In Deutschland kommen pro Monat zwölf Millionen Menschen auf die Plattform

Aus Anlass des zehnten Geburtstag hat der Kurznachrichtendienst nun auch in Deutschland erste Zahlen genannt. Demnach kommen pro Monat rund zwölf Millionen Menschen in Deutschland auf die Twitter-Plattform. Diese Zahl setzt sich zusammen aus angemeldeten Twitter-Mitgliedern und Nutzern, sie sich Tweets ansehen, ohne eingeloggt zu sein. Twitter machte jedoch keine Angaben dazu, wie sich die zwölf Millionen daraus zusammensetzen.

Twitter nennt auch keine Vergleichszahlen für Deutschland zu vergangenen Jahren. Es gebe aber ein positive Entwicklung, betonte Deutschlandchef Thomas de Buhr. „Während der gesamten Fußball-WM 2014 gab es etwa 3,3 Millionen Tweets dazu in Deutschland“, sagte er. Jetzt seien im Februar dieses Jahres in der einwöchigen Aktion „#Twitterstar“ zur Wahl des beliebtesten Web-Video-Stars fünf Millionen Tweets abgegeben worden.

Zweifellos: Twitter ist immer wichtiger geworden. Inzwischen gibt es kaum ein Ereignis, das nicht bei Twitter von den Nutzern kommentiert, aufgegriffen und verbreitet wird. Kurze Botschaften in einer Länge von maximal 140 Zeichen, schnell und in Echtzeit: Was anfangs als Austausch von Belanglosigkeiten abgewunken wurde, ist zu einem Instrument sozialen Wandels geworden.

Twitter ist manchmal schneller als die Nachrichtenagenturen

So umgingen die Demonstranten bei den Massenprotesten während des „Arabischen Frühlings“ mit Twitter die staatliche Zensur. Bei dem Bombenanschlag auf den Boston-Marathon und den Terrorattacken von Paris gab es die ersten Informationen und Vor-Ort-Berichte über das Soziale Netzwerk. Einige der „Tweets“ haben nicht nur historische Ereignisse zugespitzt kommentiert, sondern sogar selbst Geschichte geschrieben: Als 2009 ein Passagierflugzeug im Hudson River notlanden musste, waren die ersten Bilder des Unglückes auf Twitter zu sehen – lange bevor die ersten Fernsehteams vor Ort waren. Erstmals war Twitter schneller als die Nachrichtenagenturen und wurde als seriöse Quelle wahrgenommen. Besonders für Journalisten, Politiker oder Prominente gehört Twitter inzwischen zum Arbeitsalltag. Für klassische Medienhäuser ist der Kurznachrichtendienst zu einer wichtigen Informationsquelle geworden. Bedingt lassen sich sogar gesellschaftliche Debatten über Twitter vorausahnen, weil wichtige Themen hier frühzeitig diskutiert werden. Als Medium der Nachrichtenverbreitung funktioniert Twitter am besten bei Themen, die den individuellen Voyeurismus befriedigen. Also Live-Tweets von dramatischen Ereignissen. Zum Beispiel, wenn der Mob tobt, in einem Ort, dessen Namen zuvor noch kaum jemand gekannt hat – wie Freital im vergangenen Jahr. Aber auch bei Naturkatastrophen, Polizeieinsätzen oder Aufständen. Als der US-Student James Buck im April 2008 aus Ägypten einen Tweet absetzte, der nur aus einem Wort bestand: „Arrested“, löste das riesige Empörung aus. Nach nur einem Tag wurde er daraufhin wieder freigelassen. CNN meldete damals: „Student twittert sich in die Freiheit.“ Bis heute dient das Beispiel als Beweis der Macht sozialer Netzwerke.

Allerdings hat es Twitter bisher nicht geschafft, aus seiner Relevanz ein profitables Geschäftsmodell zu entwickeln. Twitter verbuchte vergangenes Jahr einen Umsatz von 2,2 Milliarden Dollar, hat aber noch nie schwarze Zahlen geschrieben. Eine konsequente Strategie fehlt bisher. So verzichteten die Gründer ursprünglich auf Werbung, um die Nutzer nicht zu verschrecken. Seit einiger Zeit erscheinen im Nachrichtenstrom, dem sogenannten News- oder Homefeed, aber auch bezahlte Tweets und „Trends“. Diese Form der Bezahlinhalte für Unternehmen machen einen Großteil der Twitter-Erlöse aus. Vor allem das Videoangebot wurde von Anzeigenkunden gefragt. Twitter hat das erkannt und mit dem Zukauf des Echtzeitvideodienstes „Persicope“ seine Marktposition gestärkt.

Ob das auf Dauer ausreicht, ist mehr als fraglich. Twitter müsse für stärkeres Wachstum einen „tiefen Wandel“ durchlaufen, sagte der Internetinvestor Lou Kerner kürzlich der Nachrichtenagentur AFP. Twitter-Chef Dorsey scheint derzeit auch Dinge ausprobieren zu wollen, die Twitter grundlegend verändern könnten. Er experimentiert mit einer Sortierung der Posts, sodass Tweets nicht mehr chronologisch geordnet, sondern besonders beliebte Kurzbotschaften zuerst angezeigt werden. Das Unternehmen lässt also durch sogenannte Relevanzalgorithmen die Inhalte neu sortieren – und handelt sich damit sofort einen Aufstand der Stammnutzer ein. Das ist das Kernproblem Dorseys. Er muss den Kurznachrichtendienst für eine neue Nutzerbasis interessant machen, ohne dabei die Millionen zufriedener Twitter-Nutzer zu verärgern.

Hasskommentare, Rassismus, Terror-Propaganda

Außerdem macht Twitter längst der eigene Erfolg zu schaffen. 500 Millionen Tweets werden pro Tag abgesetzt. Bei dieser Masse ist es unmöglich, die Informationen zu verifizieren. Gerade bei dramatischen Ereignissen verbreiten sich in dem Netzwerk daher schnell Gerüchte. Das schreckt neue Nutzer ab.

Auch mit Hasskommentaren, rassistischen Aussagen und Terror-Propaganda muss sich Twitter herumschlagen. Der Kurznachrichtendienst hat seit Mitte 2015 rund 125 000 Zugänge geschlossen, über die terroristische Aktionen vor allem der Terrormiliz „Islamischer Staat“ angedroht oder unterstützt wurden. Das Unternehmen teilte vor ein paar Tagen mit, es verurteile diesen Missbrauch. Alle Twitterzugänge und -mitteilungen würden untersucht, ein internes Team sei dafür verstärkt worden. Neben den bereits geschlossenen Zugängen werde eine ganze Reihe von Accounts beobachtet, die ähnliche Merkmale aufweisen. Schließlich arbeite man eng mit den Strafverfolgungsbehörden und der Justiz zusammen. Gebracht hat das bisher wenig. Ähnlich wie bei der Monetarisierung des Angebots fehlt Twitter auch hier eine Strategie, die wirkt.

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