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Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe (Baden-Württemberg) mit Susanne Baer (l-r), Ferdinand Kirchhof (Vorsitz), Michael Eichberger und Johannes Masing.
© dpa

Streit um Tarifeinheit: Karlsruhe entscheidet über Zukunft der kleinen Gewerkschaften

Die neue Regelung zu Spartengewerkschaften ist eines der umstrittensten Gesetze der Bundesregierung - und daher beim Bundesverfassungsgericht gelandet. Am Dienstag soll das Urteil fallen.

Jetzt haben die Richter in den roten Roben das Wort. Nach sieben Jahren findet die Auseinandersetzung um den Grundsatz der Tarifeinheit am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht ein vorläufiges Ende. Eine Handvoll Gewerkschaften, darunter Verdi und der Marburger Bund, die Flugbegleiterorganisation Ufo und der Beamtenbund, haben das Gericht angerufen, weil sie das im Mai 2015 vom Bundestag beschlossene Tarifeinheitsgesetz für nicht vereinbar halten mit dem Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes über die Koalitionsfreiheit. Die Thematik ist kompliziert und brisant. Über Jahre haben die Arbeitgeber für ein entsprechendes Gesetz geworben, um mit dessen Hilfe kleinen Berufsgewerkschaften das Leben schwer zu machen.

Auslöser der Auseinandersetzung ist die veränderte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), das 2010 dem Prinzip der Tarifpluralität Vorrang vor der bis dahin geltenden Tarifeinheit einräumte. Nun sollte es jeder Gewerkschaft möglich sein, in einem Betrieb für ihre Mitglieder Tarifverträge abzuschließen. Bis dahin galt Tarifeinheit: ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag. Mit dem Urteil des BAG sahen die Arbeitgeber das Land auf dem Weg in die Streikrepublik: Piloten, Lokführer, Feuerwehrleute oder IT-Experten würden nun aufgrund ihrer strategischen Bedeutung im Betrieb teure Tarife erstreiken können.

Auch der DGB teilte die Auffassung – mit der Ausnahme von Verdi. Im vergangenen Januar standen DGB-Chef Reiner Hoffmann und Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer an der Seite von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), als das Bundesverfassungsgericht die Befürworter und Gegner des Gesetzes anhörte. Kramer betonte die friedensstiftende Wirkung der Tarifeinheit, Hoffmann bekannte sich zum Vorrang der großen Branchengewerkschaften gegenüber den Berufsgewerkschaften, weil die einen solidarischen Tarifabschluss für viele Beschäftigte im Sinn haben, die anderen dagegen nur ihre spezielle Klientel, also beispielsweise Piloten oder Lokführer.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer (links), Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann hatten sich gemeinsam auf Eckpunkte zum Gesetz verständigt.
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer (links), Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann hatten sich gemeinsam auf Eckpunkte zum Gesetz verständigt.
© Jörg Carstensen/dpa

Nahles hatte einen Deal mit den Sozialpartnern

Kramer, Nahles und Hoffmann traten aber auch deshalb gemeinsam auf, weil sie sich einer informellen Verabredung verpflichtet fühlten. Im Herbst 2013 hatten sich Politiker von SPD und Union mit den Sozialpartnern am Rande der Koalitionsverhandlung auf einen Deal verständigt: Die Arbeitgeber akzeptierten die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, wenn es dafür endlich ein Gesetz über die Tarifeinheit gäbe. In der vorherigen schwarz-gelben Koalition hatte Angela Merkel bereits ein solches Gesetz in Aussicht gestellt, doch das kam dann erst ein Legislatur später mit Hilfe von Nahles und Hoffmann zustande.

Im Kern des Gesetzes steht das Mehrheitsprinzip. Wenn mehrere Gewerkschaften in einem Betrieb für die identische Beschäftigtengruppe Tarifverträge abschließen, dann gilt nur der Tarif der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern. Nach wie vor können also verschiedene Gewerkschaften Verträge für verschiedene Beschäftigtengruppen abschließen – bei der Lufthansa zum Beispiel VC Cockpit für die Piloten und Ufo für die Flugbegleiter.

Die Sorgen der Kleinen

Das neue Gesetz greift erst zugunsten der größeren Gewerkschaft, wenn zum Beispiel VC auch für die Flugbegleiter oder Ufo für die Piloten Tarifverträge durchsetzen will. „Die größte Gewerkschaft wird versuchen, ihre Größe auszuspielen und das allein zu machen“, meint Beamtenbund-Chef Klaus Dauderstädt, zu dessen Verband auch die Lokführergewerkschaft GdL gehört. Nahles’ Gesetz „widerspricht dem Kern unserer demokratischen Verfassung“, schimpft Dauderstädt.

Die Ministerin verteidigt das Mehrheitsprinzip, da der Tarifvertrag angewendet werde, „der die größte Akzeptanz der Belegschaft hat“. Und das Gesetz müsse ja nicht zum Zuge kommen, wenn sich die Gewerkschaften auf bestimmte Zuständigkeiten im Betrieb verständigten oder gemeinsam Tarifverträge aushandelten.

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