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220 Kilogramm Plastikmüll produziert jeder Deutsche durchschnittlich pro Jahr.
© dpa

Verpackungsmüll: Kampf gegen die Tüte

Umweltministerin Schulze lädt Industrie, Handel und Verbände ein, um Wege zur Plastik-Reduktion zu finden. Die Erwartungen an das Treffen sind hoch.

Rewe hat sie schon lange abgeschafft, Edeka ist gerade dabei. Bei Rossmann gibt es sie für 20 Cent pro Stück, bei dm kostet sie nur die Hälfte. Die Modeketten H&M, Weekday und Monki bieten sie für 15 Cent an, die zum gleichen Konzern gehörenden aber höherpreisigen Geschäfte Cos und Arket verkaufen sie nicht; sie setzen seit jeher auf Papier. Wovon die Rede ist? Von der Plastiktüte und ihrem Abschied aus dem deutschen Einzelhandel.

Tatsächlich ging die Zahl der Plastiktüten in Deutschland in den vergangenen Jahren dramatisch zurück. Es ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Baustein im Plan von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), mit dem sie den Plastikmüll im Einzelhandel reduzieren will. Um dieses Vorhaben voranzutreiben, lädt die Ministerin am Mittwoch zu einer Art Plastikgipfel im Bundesumweltministerium (BMU). Gemeinsam mit Vertretern von Supermarktketten, Handel sowie Umwelt- und Verbraucherverbänden will sie weitere Maßnahmen besprechen, um Plastikverpackungen zu vermeiden. Wie schwer das werden könnte, wird schon im Vorfeld deutlich.

Dabei ist der Handlungsdruck gewaltig. Allein 2017 fielen in Deutschland 18 Millionen Tonnen Verpackungsmüll an. Mit rund 220 Kilogramm pro Kopf und Jahr ist Deutschland im Plastikmüll-Ranking trauriger Spitzenreiter der EU – der Schnitt liegt hier bei 167,3 Kilo pro Kopf. Die Tendenz in Deutschland ist sogar steigend.

Auch weltweit wird Plastikmüll zu einem immer größeren Problem. Nach Angaben der Ellen MacArthur Foundation, einer britischen Umweltorganisation, gibt es Mitte des Jahrhunderts mehr Plastik als Fisch in den Weltmeeren, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Laut einem UN-Bericht wurden nur neun Prozent der rund neun Milliarden Tonnen Kunststoff, die jemals hergestellt wurden, recycelt. 

Edeka nimmt Industrie in die Pflicht

Das will Schulze nun ändern. Seit diesem Jahr ersetzt das strengere Verpackungsgesetz die bisherige Verpackungsverordnung. Im vergangenen November hatte die Ministerin zudem einen "Fünf-Punkte-Plan für weniger Plastik und mehr Recycling" vorgelegt. Neben dem Verzicht auf überflüssige Plastikverpackungen kündigt sie darin an, umweltfreundliche Alternativen und Recycling stärken zu wollen. Zudem will sie Kunststoffabfälle vermeiden und internationales Engagement gegen Plastikmüll in den Meeren fördern.

Das Treffen im BMU ist Teil dieses Fünf-Punkte-Plans. Im Vorfeld kündigte sie an, "konkrete und messbare Schritte" festzulegen, um das Verpackungsaufkommen schon beim Verkauf zu reduzieren. Als Beispiel, bei denen man ansetzen könnte, nannte sie Verpackungen von Frischware im Geschäft, wie etwa an der Wurst- und Käsetheke oder bei Obst und Gemüse. Erst in dieser Woche hatte Real angekündigt, auch die dünnwändigen Knotenbeutel für Obst abzuschaffen.

Mit der Ministerin am Tisch sitzen etwa Aldi Nord und Süd, die Schwarz-Gruppe (Kaufland und Lidl), Edeka und Rewe. Von den vier größten Lebensmittelkonzernen der Welt nimmt nur Nestlé teil. Coca Cola, Unilever und PespiCo wurden nicht eingeladen, wie alle drei auf Tagesspiegel-Nachfrage mitteilen. "Unilever hat leider keine Kenntnis, auf Basis welcher Kriterien die Teilnehmer für den Plastikgipfel ausgewählt wurden", heißt es bei dem niederländisch-britischen Konzern lapidar.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) lädt Industrie, Handel und Verbände in ihr Ministerium ein.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) lädt Industrie, Handel und Verbände in ihr Ministerium ein.
© dpa

Eine Vorahnung, wie es bei dem Treffen zugehen könnte, gibt Edeka auf Nachfrage. "Rund 75 Prozent unseres Sortiments sind Markenartikel, die uns – inklusive Verpackung – fertig geliefert werden", sagte ein Sprecher dem Tagesspiegel. Häufig werde vor allem der Handel in die Verantwortung genommen – das werde den Fakten aber nicht gerecht. "Die Lebensmittelindustrie, die für den Großteil des Verpackungsmülls bei Lebensmitteln verantwortlich ist, muss hier stärker in die Pflicht genommen werden", fordert Edeka.

Hinter Schulzes Initiative und dem Entgegenkommen von Industrie und Handel steckt auch eine Richtlinie der EU. Denn die Ende 2018 beschlossene Regelung besagt, dass neun verschiedene Einwegprodukte aus Plastik verboten werden, darunter Trinkhalme, Besteck, Teller, Luftballonstäbe, Rührstäbchen für den Kaffee und dünne Plastiktüten. Es wird erwartet, dass dieses Verbot bis 2021 in nationales Recht umgesetzt ist. 

Die Plastiktüte als Vorbild

Wenn es nach Schulze geht, sollte das Vorgehen zur Abschaffung der Plastiktüte als Vorbild für weitere Maßnahmen dienen. Denn was wirkt wie ein Flickenteppich verschiedener Regelungen, ist tatsächlich eine der größten Errungenschaften der Umweltpolitik der vergangenen Jahre.

Im Sommer 2016 hatte das Bundesumweltministerium gemeinsam mit dem Handelsverband Deutschland (HDE) nach zähen Verhandlungen eine Vereinbarung getroffen, wonach teilnehmende Unternehmen Plastiktüten nicht mehr kostenlos anbieten. Viele große Handelsketten schlossen sich der Vereinbarung an, sodass zwei Drittel der Plastiktüten in Deutschland kostenpflichtig wurden.

Doch auch dieser Schritt geschah nicht ganz freiwillig, hier brauchte es ebenfalls einen Schubs von der Europäischen Union. Denn eine EU-Richtlinie besagt, dass der Verbrauch in jedem Mitgliedsstaat pro Kopf bis 2025 auf höchstens 40 Plastiktüten im Jahr sinken muss. Doch die deutschen Maßnahmen zeigten schnell Wirkung. Schon 2017 ging der Kunststofftütenverbrauch im Vergleich zum Vorjahr um 1,3 Milliarden Stück auf 2,4 Milliarden Tüten zurück. Das entsprach einem Pro-Kopf-Konsum von 29 Tragetaschen - damit ist das EU-Ziel bereits erreicht.

Umweltschützern reichen die Maßnahmen nicht aus

Für die Belange des Umweltschutzes wird am Mittwoch der Naturschutzbund Nabu zugegen sein. Nicht eingeladen sind hingegen die Umweltschutzorganisationen Greenpeace und der BUND. Umso lieber äußern sie sich zu den Erwartungen an das Treffen. "Die Ministerin sollte dem Handel und der Industrie gegenüber den Druck erhöhen – und auch mit gesetzlichen Regelungen drohen", fordert etwa Rolf Buschmann, Referent für technischen Umweltschutz bei BUND.

Greenpeace sieht zudem die Nahrungsmittelindustrie in der Pflicht, kein Einmal-Plastik zu produzieren. Man hoffe am Ende eines solchen Treffens aus "konkrete Maßnahmen", so Manfred Santen, der bei Greenpeace für den Bereich Chemie zuständig ist.

Doch auch dem Nabu gehen die bisherigen Regelungen nicht weit genug. "Wir hätten uns schon bei den Plastiktüten eine gesetzliche Regelung, keine freiwillige Vereinbarung gewünscht", sagt Katharina Istel, Referentin für Ressourcenpolitik beim Nabu. Denn nicht alle Branchen, wie etwa Kioske, Imbisse, Wochenmärkte oder Apotheken stünden hinter der Vereinbarung. Zudem umfasse die Regelung keine Einweg-Papiertüten - die aber keine bessere Ökobilanz hätten als Einweg-Kunststofftüten. Überdies gebe es kein Monitoring über die Menge an Kunststoff, die tatsächlich eingespart wird - nur über die Zahl der Tüten.

Aus diesen Gründen wisse man nicht, "wie viel ökologischer Vorteil durch eine Zunahme der Einwegpapiertüten wieder wett gemacht wurde", so Istel. Die Plastiktüten-Vereinbarung könnte "für mich nicht 1:1 als Blaupause dienen für neue freiwillige Vereinbarungen mit dem Handel". Mit genau diesem Wort bedenkt die Umweltministerin allerdings die Plastiktüten-Verordnung in ihrem Fünf-Punkte-Plan. Für ausreichend Zündstoff ist also gesorgt.

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