Kampf gegen Lebensmittelverschwendung: Julia Klöckner findet Lebensmittel zu billig
Jeder Bürger wirft im Schnitt 75 Kilo Lebensmittel pro Jahr weg. Die Ernährungsministerin will das ändern. Aber wie?
Julia Klöckner plaudert aus dem Nähkästchen. An diesem Mittwoch trifft sich die Ministerin mit Vertretern des Handels, der Bauern, Lebensmittelproduzenten und der Gastronomie, um darüber zu sprechen, wie man Lebensmittelabfälle in Deutschland reduzieren kann. Dabei könnte sie gleich vor ihrer eigenen Haustür kehren. Bevor sie zum Nationalen Dialogforum mit der Wirtschaft gefahren ist, war die Ministerin nämlich bei der Kabinettssitzung. Einige Regierungsmitglieder hätten sich so viele Brötchen auf den Teller gelegt, dass sie diese gar nicht essen konnten, erzählt Klöckner. Namen nennt sie nicht.
Dass die Augen größer sind als der Magen, ist nicht nur ein Problem von Spitzenpolitikern. Wer kennt das nicht? Das Essen im Restaurant ist so reichlich, dass man seine Portion nicht schafft. Beim Frühstücksbuffet im Hotel packt man sich den Teller zu voll. Und auch im Supermarkt kauft man mehr als man braucht. Die Folge: Viele Lebensmittel landen im Müll.
Jedes Jahr werden in Deutschland zwölf Millionen Tonnen Nahrungsmittel weggeworfen, hat das staatliche Thünen-Institut zusammen mit der Universität Stuttgart kürzlich im Auftrag des Bundesernährungsministeriums errechnet. Ein Teil vergammelt bereits auf dem Feld oder verdirbt in der Lebensmittelproduktion. 14 Prozent der Lebensmittelabfälle fallen in Kantinen, Imbissen oder Restaurants an.
Die größten Lebensmittelvernichter sind jedoch wir Verbraucher. 52 Prozent der Lebensmittelverschwendung findet in der heimischen Küche statt. Jeder Verbraucher wirft pro Jahr im Schnitt 75 Kilogramm Lebensmittel weg.
Bundesernährungsministerin Julia Klöckner will das ändern. Bis zum Jahr 2030 will sie die Lebensmittelverschwendung im Handel und bei den Verbrauchern halbieren. Für Klöckner ist das eine Frage der Wertschätzung und auch ein Entgegenkommen gegenüber den Bauern.
Derzeit gehen viele Landwirte auf die Straße, weil sie das Gefühl haben, dass ihre Arbeit nicht anerkannt werde, sagt Klöckner mit Blick auf die neue Bauerndemonstration, die bereits für Donnerstag nächster Woche angekündigt ist. Ein Teil des Problems seien auch die Lockvogelangebote des Handels. "Wenn Lebensmittel billig sind, wirft man sie schneller weg", gibt die Ministerin zu bedenken.
70 Liter Wasser für einen Apfel
Das ist auch mit Blick auf das Klima problematisch. Bis ein Apfel beim Verbraucher ankommt, hat er 70 Liter Wasser verbraucht. Da wäre es doch besser, man schneidet braune Stellen weg, bevor man den Apfel in den Müll wirft, findet die CDU-Politikerin. Oder man lädt gleich die "Beste-Reste-App" herunter, die Rezepte für Resteessen enthält. Sie ist übrigens die erfolgreichste App der Bundesregierung, wie Klöckner gerne betont.
Seit Februar ist die "Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung" in der Welt. Die Idee: Entlang der Produktionskette - also vom Feld bis zum Verbraucher - soll es sektorspezifische Gespräche geben, wie man Abfälle reduziert. Den Anfang machte bereits der "Außer-Haus"-Bereich, also die Gastronomie. Am Mittwoch folgte der Handel.
Vorbildliche Projekte will das Ministerium im Internet auf der Seite Lebensmittelwertschaetzung.de veröffentlichen, zudem soll das Thünen-Institut regelmäßig überprüfen, wie sich die Lebensmittelabfälle entwickeln.
Rewe: 99 Prozent der Waren werden verkauft
Beispiele gibt es allerdings jetzt schon reichlich, etwa im Handel. So hat es die Rewe-Gruppe, nach Edeka die größte deutsche Supermarktkette, geschafft, dass kaum noch Müll anfällt. Moderne Prognosesysteme bis hin zur Wettervorhersage und automatisierte Bestellverfahren haben dazu geführt, dass 99 Prozent der Produkte in den Rewe- und Penny-Märkten verkauft werden, sagt Rewe-Sprecher Raimund Esser. Der Rest geht an die Tafeln, vorausgesetzt die Ware ist in Ordnung. Penny vermarktet zudem Bio-Obst und -Gemüse mit kleinen Makeln als „Bio-Helden“ zu reduzierten Preisen. Mit Erfolg: Seit dem Start vor drei Jahren steigen die verkauften Mengen jedes Jahr um sechs Prozent.
Handel macht nur vier Prozent aus
Allerdings macht der Handel nur vier Prozent aus, wenn es um Lebensmittelverschwendung geht. Eine Halbierung der Menge ist sportlich, heißt es in der Branche. Ein Weg wäre die Reduzierung des Warenangebots, doch damit würden die Vollsortimenter einen großen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Discountern verlieren.
Der Lebensmittelverband Deutschland sieht einen Zielkonflikt zwischen Umweltschutz und dem Vermeiden von Lebensmittelabfällen. "Auf der einen Seite wollen wir zum Schutz der Umwelt Verpackungsmaterial sparen, auf der anderen Seite Lebensmittelverluste reduzieren. Das Problem ist aber, dass manch unverpackte Lebensmittel nicht so lange haltbar sind wie verpackte. Diese Zielkonflikte müssen immer mitbedacht und offen ausdiskutiert werden", gibt Verbandspräsident Philipp Hengstenberg zu bedenken.
In Frankreich dürfen Händler keine Lebensmittel wegwerfen
Im Bundesernährungsministerium ist man gegen ein Anti-Wegwerfgesetz nach französischem Vorbild. Das seit drei Jahren bestehende Gesetz schreibt größeren Supermärkten in Frankreich vor, unverkaufte Lebensmittel an örtliche Tafeln oder andere gemeinnützige Organisationen spenden. Tun sie das nicht, droht pro Vergehen eine Geldstrafe von 3750 Euro. Doch trotz der gesetzlichen Vorgabe liegt Frankreich im Kampf gegen den Lebensmittelmüll zurück. Die Abfallmenge ist drei Mal so hoch wie im deutschen Handel, betont man im Bundesernährungsministerium. Statt eines Gesetzes will man hierzulande die Abgabe von Lebensmitteln an die Tafeln mit der neuen digitalen Eco-Plattform verbessern. Sie soll den freiwilligen Helfern schnell und unbürokratisch zeigen, wo sie welche Lebensmittel abholen können. Klöckner gibt dafür 1,5 Millionen Euro.
Wer den Leuten das 'Containern' weiterhin verbieten will, muss schnellstens dafür sorgen, dass die Händler verbindlich dazu verpflichtet werden, genießbare Lebensmittel, die nicht mehr für verkäuflich gehalten werden, separat zum Mitnehmen anzubieten oder diese anderweitig sinnvoll zu verwerten.
schreibt NutzerIn Sokratis
In Berlin hofft man auf die Einsicht der Verbraucher und der Wirtschaft. „Die Verbraucher haben ein schlechtes Gewissen, und auch die Unternehmen haben kein Interesse daran, Lebensmittel wegzuwerfen“, sagt der Abteilungsleiter im Bundesernährungsministerium, Lorenz Franken. Denn Lebensmittel im Müll sind nicht nur schlecht fürs Klima, sondern auch für den Geldbeutel.
Ikea überprüft Filiale für Filiale
Das gilt auch für die Gastronomie. So geht Ikea derzeit zusammen mit der Initiative „United against Waste“ Filiale für Filiale durch und prüft, wie man sparen kann. Fazit: Das größte Einsparpotenzial liege im „Tellerrücklauf und in der Überproduktion“, heißt es. Nun will man die Portionen anpassen – was wohl auf eine Verkleinerung hinauslaufen dürfte – und die Menge der zubereiteten Essen besser der nach Tageszeit schwankenden Nachfrage anpassen. Hotels tauschen zum Ende der Frühstückszeit große Platten und Schüsseln gegen kleinere ein. Um diese üppig zu füllen, reichen kleinere Mengen. Und auch in den Restaurants hat ein Mentalitätswechsel eingesetzt, ein „kultureller Wandel“. „Immer mehr Menschen lassen sich nach einem Restaurantbesuch ihre Essensreste einpacken“, sagt Franken.
Auf keine Gegenliebe stoßen dagegen im Ministerium Ideen, das Containern von Lebensmitteln zu erlauben. Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne) hatte im Juni einen Vorstoß gestartet, das Sammeln von weggeworfener Nahrung aus Müllcontainern von Supermärkten oder Fabriken straffrei zu machen, war damit aber bei seinen Länderkollegen gescheitert.
„Mit dem Containern ist niemandem geholfen“, meint auch Franken. Denn in den Containern würden auch Lebensmittel landen, die man wirklich nicht mehr essen sollte und die Menschen krank machen können. „Eine Legalisierung des Containerns steht im Moment nicht zur Diskussion, wir suchen nach alternativen Lösungen. Besser ist es, noch verkehrsfähige Lebensmittel an die Tafeln zu geben oder selbst zur kostenlosen Mitnahme anzubieten“, sagt Franken.
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