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Zieht nun bald in eine WG nach Pankow: Jörg Hofmann wird kommende Woche erster Vorsitzender der IG Metall
© Stephanie Pilick/dpa

Neuer Vorsitzender der IG Metall: Jörg Hofmann übernimmt Führung der IG Metall

Der gewiefte Tarifpolitiker Jörg Hofmann wird kommende Woche erster Vorsitzender der IG Metall und will stärker in der Berliner Politik mitmischen. Eine WG-Wohnung in Pankow hat er auch schon.

Als Klaus Zwickel vor ein paar Jahren gefragt wurde, ob Jörg Hofmann das Zeug habe zum Chef, grinste er: „Wenn er Deutsch lernt.“ Am kommenden Dienstag ist es so weit. Der aus dem baden-württembergischen Remstal stammende Hofmann wird vom Gewerkschaftstag zum Vorsitzenden der IG Metall gewählt und damit einer der Nachfolger Zwickels, der die größte deutsche Gewerkschaft von 1993 bis zum verlorenen Arbeitskampf in Ostdeutschland 2003 geführt hatte. Seitdem ist viel passiert. Mit Hofmann beginnt jetzt eine neue Ära.

Neue Mitglieder, Milliarden in der Streikkasse

Nach Zwickel kamen Jürgen Peters, Berthold Huber und Detlef Wetzel. Hofmann ist also der fünfte Vorsitzende in zwölf Jahren. Der Gewerkschaft hat das nicht geschadet. Unter Peters kam die tief zerstrittene Organisation nach der Niederlage um die 35-Stunden-Woche im Osten zur Ruhe; Huber führte die IG Metall zurück in die politische Arena und Wetzel steht für Mitgliederwerbung, deren Ergebnisse in der Statistik ablesbar sind: Die IG Metall wächst, hat Milliarden in der Streikkasse und kann auch wieder fette Tarifabschlüsse durchsetzen. In diesem Jahr gab es eine Erhöhung der Einkommen um 3,4 Prozent. Wetzel übergibt Hofmann eine starke Organisation, weil sich die IG Metall verändert hat.

Der gelernte Werkzeugmacher Wetzel beobachtete in den 1990er Jahren als IG Metall-Chef von Siegen, wie sich Betriebe und Belegschaften unter anderem wegen der Umbrüche in der Stahlindustrie immer schneller veränderten – und wie die Mitgliederbasis schmolz. Wetzel hielt dagegen: Was wollen die Belegschaften? Was nutzt den Mitgliedern? Wie beziehen wir die Beschäftigten ein?

Dezentrale Organisation: mehr Geld an der Basis

Mit der Entwicklung und Etablierung einer neuen Beteiligungskultur, mit Organizing und speziellen Kampagnen, etwa für Leiharbeiter, schaffte die IG Metall die Wende. Weil Wetzel in Siegen den Mitgliederschwund stoppte, wurde er IG-Metall-Chef von Nordrhein-Westfalen, 2007 dann zweiter Mann in der Frankfurter Zentrale und schließlich 2013 erster Vorsitzender. Wetzel strich Stellen in der Hauptverwaltung und verlagerte Mittel an die Basis, in die 150 Verwaltungsstellen. Die müssen inzwischen sogar Rechenschaft ablegen über Einnahmen und Ausgaben und die Mitgliederentwicklung vor Ort. In der neuen IG Metall ist immer noch vieles möglich – wenn es den Mitgliedern nutzt und wenn es neue Mitglieder bringt.

Jörg Hofmann, geboren in Oppelsbohm, kommt bislang etwas tollpatschig rüber. Ein bisschen Typ zerstreuter Professor, der beim Anziehen der Socken in Gedanken war. Hofmann ist Diplom-Ökonom, er hat unter anderem in Paris studiert und er kann Makrothemen ebenso gut wie die hinterletzte Verästelung in einem Tarifvertrag erklären. Mit seiner Ehefrau, einer Portugiesin, spricht er französisch. Ein kluger, vielseitiger Kopf der als Fan des VFB Stuttgart in jüngster Zeit leiden musste, der gerne kocht und württembergischen Wein trinkt und der bei wegweisenden Tarifabschlüssen in den letzten 15 Jahren die Finger im Spiel hatte. Anfang Dezember wird der neue Obermetaller 60. Er hat noch einiges vor.

Im Detail ist Hofmann vielen seiner Gegner überlegen

Die tarifpolitische Musik in der deutschen Metall- und Elektroindustrie mit knapp vier Millionen Beschäftigten spielt in Baden-Württemberg. Hier wurde 2001 erstmals ein Tarifvertrag über Weiterbildung geschlossen, hier entstand das hochkomplexe Entgeltrahmenabkommen, mit dem die Trennung der Belegschaft in Arbeiter und Angestellte aufgehoben wird, hier gab es 2004 das Pforzheimer Abkommen, das den Betrieben mehr Gestaltungsspielräume öffnete und die Tarifflucht stoppte. Als Tarifsekretär und anschließend als Bezirksleiter mischte Hofmann immer mit. Niemand sonst beherrscht das Tarifgeschäft wie er – das bringt ihm auf der anderen Seite nicht nur Sympathien ein. Manche Arbeitgeber sind argwöhnisch ob der Freude am Detail, die dem Tariftüftler eigen ist und aus Sicht der Unternehmer deren Spielräume einschränkt.

Andere trauen Hofmann nicht, weil sie ihm mehr zutrauen als sich selbst, wenn es nach einer langen Verhandlungsnacht in den frühen Morgenstunden um die letzten Feinheiten im Tarifvertrag geht. Hofmann ist da schlicht vielen überlegen. Dabei ist unstrittig: Er ist gewieft, aber fair. Ideologie interessiert ihn ähnlich wenig wie seinen Vorgänger Wetzel. Den beiden geht es um gute Arbeit und Emanzipation der Beschäftigten, eine bessere Organisation von Weiterbildung im Kontext der Digitalisierung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, überhaupt mehr Zeitsouveränität für die Arbeitnehmer.

Hofmann zieht in eine WG nach Pankow

Auf diesen Feldern wird der neue IG- Metall-Chef in den nächsten Jahren Pflöcke einschlagen. Sicherheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung sind Begriffe, die auf Hofmanns Agenda stehen. Der neue Chef will gestalten, auch in der Politik. Deshalb wird er in Berlin präsenter sein als sein Vorgänger, in Pankow hat er sich ein WG-Zimmer gemietet. Die Mitbewohner können sich auf gutes Essen und ordentlichen Trollinger freuen.

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