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Im Fokus der Öffentlichkeit steht Joe Kaeser schon qua Amt. Aber er sucht auch die mediale Bühne und gehört zu den eifrigsten Twitter-Nutzern
© dpa

Umstrittener Siemens-Chef: Joe Kaeser redet gern und viel – nicht immer zum Besten des Konzerns

Joe Kaeser nimmt kein Blatt vor den Mund. Nicht selten verrennt er sich dabei. Aber der Siemens-Chef ist auch in der Lage, sich zu korrigieren.

Joe Kaeser liebt die Bühne und die Öffentlichkeit. Eitel sind die Chef der Konzerne alle, doch bei Kaeser gab es deswegen Bedenken, als er im Sommer 2013 zum Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG berufen wurde. Kaeser folgte auf den zurückhaltenden Peter Löscher, und es begann tatsächlich eine neue Zeit im Weltkonzern mit seinen 385 000 Mitarbeitern. „Wir haben das Siemens der nächsten Generation auf den Weg gebracht“, schreibt Kaeser in diesen Tagen an die Siemens-Aktionäre. Kaeser ist stolz auf sich: 2019 habe Siemens zum sechsten Mal in Folge seine Ziele erreicht oder übertroffen, also in allen Jahren mit ihm an der Spitze. Besonders freut den Chef, General Electric (GE) abgehängt zu haben: Wettbewerber, die Siemens „jahrzehntelang als Maßstab vorgehalten“ worden seien, „haben wir hinter uns gelassen“. Auch weil der oberste Verkäufer des Konzerns so erfolgreich agierte.

Ein Mann ohne Berührungsängste

Joe Kaeser ist immer dabei, wenn die Bundeskanzlerin mit einer Wirtschaftsdelegation in die Welt aufbricht. Berührungsängste sind dem Konzernchef fremd, er hat Siemens groß ins Geschäft gebraucht unter anderem in Ägypten und im Irak. Als die mutmaßlich vom saudischen Kronprinzen angeordnete Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi weltweite Empörungswellen schlug, sagte Kaeser nach ein paar Tagen Bedenkzeit seine Teilnahme an einer Konferenz in Riad ab. Womöglich hatte sich der Siemens-Chef an die Reaktionen auf seinen verheerenden Auftritt im deutschen Fernsehen erinnert, als er – mitten in der Krim- Krise – aus Russland über sein Treffen mit Wladimir Putin berichtete.

An der Seite von Trump

An der Seite der Mächtigen verliert er bisweilen den Überblick. Vor ein paar Jahren in Davos durfte Kaeser beim Abendessen neben Donald Trump sitzen. Stolz wie Oskar lobte der Siemens-Chef den US-Präsidenten, obgleich dessen America First-Politik inklusive protektionistischer Elemente die Geschäftsgrundlage jedes globalen Unternehmens gefährdet. Wer in der Öffentlichkeit steht und kein Blatt vor den Mund nimmt, geht ein hohes Risiko ein. Kurz nachdem Kaeser die soziale Verantwortung der Wirtschaft betont hatte, gab der Konzern die Schließung seines Werks in Görlitz bekannt. Die Protest gingen weit über Ostsachsen hinaus und veranlasste Kaeser zu einem Werksbesuch. Der Boss aus München war beeindruckt vom Engagement der sächsischen Belegschaft - und korrigierte später den Stilllegungsbeschluss.

22-Jährige als Aufsichtsrat?

Kaeser will offen sein und lernfähig. Das hat er zuletzt betont im Zusammenhang mit dem umstrittenen Investment in Australien. Ein kleines Auftragsvolumen von 18 Millionen Euro für Zug-Signaltechnik nutzte er für eine Shownummer, als er sich mit der Fridays for Future-Vertreterin Luisa Neubauer traf und ihr einen Aufsichtsratsposten im Unternehmen Siemens Energy anbot, das Siemens 2020 an die Börse bringen will. Doch wie kann eine 22-Jährige einen Konzern mit 90 000 Beschäftigten und 27 Milliarden Euro Umsatz beaufsichtigen?

Maximal noch ein Jahr im Amt

Der Siemens-Chef bedauerte die Entscheidung des von ihm geführten Vorstands, bei dem Projekt in Australien vertragstreu zu bleiben - und äußerte gleichzeitig persönliche Betroffenheit. Wenn Siemens sein Unternehmen wäre, dann hätte er wohl anders entschieden. Und wäre vertragsbrüchig geworden?
Keine Angst vor Widersprüchen - womöglich steht das in einigen Überschriften, wenn demnächst die Ära Kaeser resümiert wird. In diesem Sommer entscheidet der Aufsichtsrat, wann der 55-jährige Roland Busch auf Kaesers Platz wechselt. Mit Busch, der 2019 zum Vize befördert wurde, kommt spätestens mit der Hauptversammlung Anfang 2021 wieder ein Techniker an die Spitze des Technologiekonzerns, der ein ganz anderes Gesicht hat als zu Beginn der Ära Kaeser im August 2013.

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